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Blogeinträge (Tag-sortiert)
Tag: Tip
MindNapping 09 - Montana
Die Handlung ist schwer zu beschreiben, da sie auf mehreren Ebenen spielt. Rahmenhandlung bildet ein Drehbuchautor, der tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. Sein letzter Wille: sein Skript muss verfilmt werden, sonst geht sein Geld an die Blackfeet - Indianer. Beim Filmdreh wird schnell klar, dass es mit dem Skript etwas Besonderes auf sich hat, und die Realität beginnt mit der Fiktion zu verschmelzen.
Ein wiederkehrendes Thema des Hörspieles ist die Sebstreferenzialität, einerseits spielerisch erklärt und in witzigen Geschichten oder Paradoxa, andererseits in der Handlung selbst. So handelt der Film von einem Drehbuchautor, der einen Film dreht, in welchem es usw. Nicht umsonst ist auf dem Cover ein >Möbius-Band< abgebildet.
Selten höre oder lese ich etwas zweimal, und noch seltener beginne ich direkt nach dem Ende erneut von vorne. In diesem Fall habe ich es getan, ansonsten wäre es kaum möglich gewesen, die Geschichte zu erfassen. Mit dem Wissen um spätere Entwicklungen und das Ende war das erneute Hören ein komplett anderes Hörerlebnis, das sich absolut lohnte und mir sogar noch besser gefiel als beim ersten Mal. Nein, nebenbei darf man MONTANA auf keinen Fall hören, wenn man es verstehen möchte!
Die Sprecher agieren gekonnt, die Hintergrundmusik vermittelt eine sehr schöne Atmosphäre passend zum Westernsetting des gedrehten Filmes, ich konnte tief in die Welt abtauchen. Mich darin zu verlieren war erst beim zweiten Mal möglich, da anfangs doch zuviele offene Fragen waren und ich Schwierigkeiten hatte, die drei bzw vier Erzählebenen auseinanderzuzalten.
Eine rundum gelungene Folge, die man auch unabhängig vom Rest der Reihe sehr gut hören kann. Wer Hörspiele und Mindfuck liebt, der kommt an MONTANA nicht vorbei!
10 Luchse - 0,9 Kojoten = 9,1 ungleiche Brüder
SaschaSalamander 03.07.2012, 08.27 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL
Mr Gum und der fettige Ingo
Die Essenszeit-Kriege wüten vernichtend über Bad Lamonisch an der Bibber. Wie kam es dazu? MR GUM geht fürs Abendessen nicht mehr zu seinem besten Freund, dem ebenso gemeinen und fiesen Metzger Willi Wilhelm III ff, sondern statt dessen zum fettigen Ingo und dessen Affen "Philipp der Horror". Das kann Willi Wilhelm III ff nicht auf sich sitzen lassen! Und Polly kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie die beiden Stinkstiefel die Stadt vernichten, also muss sie sich etwas einfallen lassen.
BAND 6 DER REIHE UM MR GUM
DER FETTIGE INGO ist der sechste Band einer erfolgreichen Kinderbuchreihe um den miesepetrigen MR GUM. Zwar lassen die Bücher sich unabhängig voneinander lesen, trotzdem ist es natürlich schön, wenn man sich bei den Charakteren auf frühere Bücher beziehen kann, und viele Witze sind umso lustiger, wenn man den Hintergrund versteht. Man begegnet alten Freunden wie dem elektrischen Lebkuchenmann Björn Schneyder oder der angetrunkenen Omimi, es kommen aber auch neue Bewohner der Stadt hinzu, so der titelgebende Ingo Fettig und sein bösartiger Affe.
NONSENS UND JEDE MENGE SPAß
Andy Stanton schreibt die Texte, die von David Tazzyman mit witzigen Kritzelzeichnungen illustriert werden. Und Harry Rowohlt als Übersetzer, ein perfektes Dreierteam! Das Buch ist ein gelungenes Werk unsinniger Fabulierkunst, die aberwitzigen Ideen das Autors sind einfach hinreißend. Völlig unzusammenhängende Metaphern und Vergleiche, unrealistische Aktionen und völlig unbedeutende Nebenstränge. Mitten im Buch findet der Leser plötzlich ein Kapitel über einen balzenden Flamingo, und einige Seiten später direkt in Folge der Entschuldigungsbrief des (fiktiven) Verlegers, welcher sich für den Fehler entschuldigt aber gleichzeitig einräumt, dass das statt dessen fehlende Kapitel sowieso völlig langweilig gewesen sei. Man muss, wenn man z.B. in der U-Bahn liest, wirklich aufpassen, dass man nicht überrascht die Augen aufreißt und laut loslacht, so absurd sind manche Szenen dargestellt.
ROWOHLTS ÜBERSETZUNG
Harry Rowohlt ist es wieder geglückt, das Buch im Sinne des Autors zu übersetzen, wobei natürlich einige Wortwitze nicht möglich waren und er diese umformulierte, dafür an passender Stelle andere Scherze einfügte. Ein gelungenes aber unübersetzbares Wortspiel hat er ausnahmsweise mit Fußnote erklärt (die Aufforderung "Duck", also "duckt Euch", als eine Ente angeflogen kommt). Während das erste Buch eine insgesamt trotzdem weitgehend fortlaufende Handlung hatte und vor allem die Charaktere aus Lamonisch an der Bibber einführte, ist der sechste Band vor allem geprägt von Wiederholungen und freien Versen teils in Reimform sowie sehr viel Lautmalerei.
SCHWÄCHE DES 6. BANDES
Zugegeben, dabei hat Andy Stanton ein wenig übertrieben. Wiederholung mag ein Stilmittel der Nonsensliteratur sein, trotzdem sollte sie maßvoll angewendet werden. Als der stinkende Fiesling Willi Wilhelm III ff das erste mal (nicht) auf einem magischen Einhorn einherreitet, mag man noch losprusten bei der Vorstellung, das zweite Mal schmunzelt man, aber spätestens beim sechsten oder siebten Mal ist es wirklich genug. Außerdem gibt es im Buch diesmal fast keine Handlung, sie erschöpft sich bereits in der Inhaltsangabe des Klappentextes. Doch sie wird enorm in die Länge gezogen durch die freien Verse, die sich teils über 6 oder mehr Seiten erstrecken, jedoch einen Inhalt widergeben, der in einem Satz abgeschlossen wäre und teilweise nur aus sich wiederholenden Lautmalerei besteht. Während im ersten Band die Darstellung einzelner Worte wie BUMM, WATSCH, WACK etc lustig war, wurde auch diese Möglichkeit etwas über Maß strapaziert (wenngleich es einige wirklich witzigen Momente gibt wie etwa KA-WUMM, KA-BLAMM, KA-PITELENDE!). Das "Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnie!" des Affen ist gefühlt auf beinahe jeder dritten Seite zu lesen, was bei der sowieso schon geringen Textmenge (teils nur 5 bis 10 Zeilen) pro Seite einfach zuviel ist, man fühlt sich als Leser doch etwas um den Inhalt betrogen.
TEXTBEISPIELE
Mit einem schrecklichen Geruch nach verbranntem Gummi und Lebkuchen drehte sich das Taxi mitten auf der Straße im Kreise und im Kreise und im Kreise. Ein Vorderrad ging ab, flog erst ins Ober-, dann ins Unterhaus und würde zufällig für die nächsten zehn Jahre Premierminister. (S. 150)
Sie waren die ganze Nacht gereist, aber jetzt erhob sich die Sonne über dem Meer, blendend in ihrer Herrlichkeit, wie die größtvorstellbare Pampelmuse, die sich aus ihrem Nest aufschwingt, um auf Zuckerjagd zu gehen. (S. 169)
Er war ein beängstigender Klumpen von einem Heini, Gesicht und Hirn über und über mit Furunkeln übersät. An seinem linken Arm hatte er eine lange Narbe aus der Zeit, als er noch Stacheldrahtvertreter gewesen war, und eine seiner Hände war aus Messing, Folge eines schrecklichen Unfalls, in den eine Kettensäge, etwas Zwei-Komponenten-Kleber und eine Messinghand verwickelt gewesen waren. (S. 40)
FAZIT
MR GUM ist eine grandiose Reihe, die absoluten Kultfaktor hat. Harry Rowohlt hat ein Händchen für herausragende Literatur und drückt ihr im Deutschen seinen ganz eigenen Stempel auf, man kann gar nicht anders als begeistert zu sein. Trotzdem ist DER FETTIGE INGO ein eher schwächerer Band der Reihe, der durch zu viele Wiederholungen und unnötige Längen auffällt. Was soll ich nun bewerten - die Sprache, die Idee, Rowohlts Genie? Oder einfach nur die Geschichte selbst? Na, ganz einfach:
Wertung:
15 von 10 Zitronenbaisers für die Übersetzung und
5 von 10 Pferde, die Rosinen in den Weltraum schnipsen für die Geschichte
ergibt summa summarum 3,7 von 5 Hunden, die keine Anrufe entgegennehmen ;-)
SaschaSalamander 02.07.2012, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL
Beim ersten Sonnenstrahl 02
Der erste Teil dient vor allem der Einführung der Charaktere, dem zärtlichen Einstieg in die Liebesgeschichte und dem Aufzeigen der Verwicklungen. Im dritten Teil werden alle Fäden zusammenlaufen, es wird vermutlich einen Showdown geben und - das ist gewiss - ein Happy End. Worauf es hier im zweiten Teil nun ankommt ist die Überleitung von einem zum anderen. Hier besteht in der Regel die größte Gefahr, unnötige Längen einzubauen oder vor lauter Action die Charakterentwicklung zu vergessen. Dieser Fehler ist Inka nicht passiert: Sie hat es wieder einmal wunderbar geschafft, die Elemente aus Handlung, Erotik und Charakteren perfekt auszubalancieren. Keine Längen, keine überladene Story, und gleichzeitig wachsen dem Leser die beiden Protagonisten immer mehr ans Herz. Obwohl der zweite Teil etwas länger ist, empfand ich ihn als ungleich kürzer, konnte mich nur schwer von Zahar und David trennen. Der zweite Teil endet wie von der Autorin angekündigt mit einem heftigen Cliffhanger, aber ich muss zugeben, dass mich diesmal nicht sonderlich ärgert. Dafür weiß ich einfach zu gut, dass alles eine glückliche Wende nehmen wird ;-)
Was mir an der Erotik in diesem Buch besonders gefällt, das ist die Sanftheit. Worte wie "knisternd, prickelnd, heiß" und Co wären hier unangebracht. Ja, natürlich ist es leidenschaftlich. Doch was hier überwiegt sind zwei Seelen, die sich gefunden haben. Der Roman vermittelt das Gefühl des Nach-Hause-Kommens, die angenehme Wärme von Vertrauen und Geborgenheit. Statt zu erklären ein kurzes Zitat: "Sie sprachen kein Wort, endlose Minuten lang, sondern hielten sich an den Händen. Zahar kuschelte sich an Davids Schulter und deckte ihn mit einer Schwinge zu."
Der historische Aspekt ist wie schon im ersten Teil sehr gut recherchiert, und scheinbar nebenbei fließen spannende Details ein. Für die Geschichte selbst unwichtig, doch genau das verleiht dem Text Leben und Fülle, lässt das Bild der damaligen Zeit greifbar werden.
Der zweite Teil ist wunderschön. Kein Sektprickeln, kein elektrisches Knistern. David und Zahars Liebe ist eine sinnliche, süße, wärmende Tasse Kakao ...
SaschaSalamander 29.06.2012, 09.20 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL
Kämpfe für Dein Leben
>Charly Graf< wurde 1951 in Mannheim geboren und wuchs als uneheliches Kind eines US-Soldaten und seiner alleinerziehenden Mutter auf. Von Beginn an war sein Leben geprägt von Ausgrenzung, Gewalterfahrung und Angst, er lernte im wahren Sinne des Wortes "sich durchzuboxen" und auf diese Weise Anerkennung zu gewinnen. Schnell wurde er von profitgierigen Trainern verheizt, rutschte ab in die Kriminalität, rappelte sich wieder auf, stürzte erneut, sein Leben eine einzige Achterbahnfahrt.
>Armin Himmelrath<, Jahrgang 1967, studierte Sozialwissenschaft und Germanistik, arbeitet unter anderem als freier Journalist und erarbeitete nun gemeinsam mit Charly Graf dessen Biographie.
AUFBAU, SPRACHE
Das Buch steigt ein mit einem Ausschnitt aus Grafs aktueller Arbeit mit Kindern, wirft den Leser mitten hinein. Erst danach beginnt die eigentliche Biographie und geht voran bis in die Gegenwart. Ein sehr schöner Rahmen, durch den KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN an Struktur gewinnt und die spannende Frage aufwirkt, welche Schritte ihn von damals bis nach heute führten. Während ich bei Biographien auch schon eine recht chaotische Schilderung erleben musste, ist dieses Buch dagegen klar chronologisch aufgebaut. Durch sein ereignisreiches Leben enthält KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN sogar einen Spannungsbogen, was in diesem Genre ungewöhnlich ist. Wer bisher nichts von Charly Graf wusste, bekommt eine Geschichte geboten, die kein Autor besser hätte erfinden können. Doch auch für Freunde des Boxsports ist das Buch spannend, es bietet Einblicke in die Welt hinter dem Profiboxer, hinter die Kulissen des Sports.
Dem Schreibstil ist leicht zu folgen, Graf und Himmelrath spielen sich gegenseitig gekonnt den Ball zu. Graf erzählt aus seinem Leben, schildert seine Eindrücke und seine Sicht. Himmelrath (seine Texte heben sich kursiv von denen des Boxers ab) schildert dagegen sachlich die offizielle Seite: wie nahmen die Medien diese einzelnen Stationen wahr. Dadurch bildet sich ein interessanter Kontrast aus dem inneren Erleben und der äußeren Darstellung; sehr gut wird deutlich, wie leicht die Presse einen Sportler nach oben pushen, ihn jedoch auch stürzen kann. Es ist bedrückend zu lesen, wiesehr diese Berichterstattung Graf bedrückte, seinen Lebensweg dadurch auch beeinflusste.
Obgleich Himmelrath Graf unter die Arme griff, mit ihm bzw für ihn schrieb, ist dennoch ein deutlicher Unterschied zwischen der Ich-Erzählung des Boxers und der Schilderung des Journalisten zu erkennen. Grafs Anteil enthält eine deutlich einfachere Sprache, kommt ohne Fachbegriffe aus (erfreulicherweise auch ohne Fachbegriffe des Boxsports, was für Leser wie mich ideal ist), driftet niemals ins Umgangssprachliche, lässt aber dennoch seinen eigenen Stil erkennen.
CHARLY GRAFS LEBEN
Graf berichtet schnörkellos und direkt. Er beschönigt nichts, er verlangt kein Mitleid, kein Verständnis. Er entschuldigt sich auch nicht, schreibt ohne Reue. Sondern er nimmt die Dinge so an, wie sie waren. Er kommt aus der untersten Gesellschaftsschicht, erlebte Diskriminierung, Ausgrenzung. Er klagt niemanden an, obwohl er allen Grund dazu hätte. Die Frankfurter Rundschau schrieb 1971 von seinem "gefährlichen Hang zum Halbwelt-Milieu" und seiner "Trainingsfaulheit", rückblickend meint Graf "damals fand ich, dass die Einschätzung eine bodenlose Frechheit war. Heute weiß ich, da war was Wahres dran".
Bewegt hat mich insbesondere, wie er ohne Scham von seinen Ängsten berichtet. Er wurde von den Liebhabern seiner Mutter geschlagen, einmal sogar hatte er solche Angst vor ihrem Geliebten, dass er die Mutter und den ihm fremden Mann nicht in die Wohnung ließ. Seine Mutter drohte ihm an, dass sie sich unter den Zug legen würde, wenn er die Tür nicht öffnete. Dann ging sie und kam nicht wieder, er suchte sie stundenlang an den Gleisen, bis sie später erst nach Hause kam. Eine kleine Episode, die keiner weiteren Worte bedarf und nichts rechtfertigt, nichts entschuldigt aber Vieles erklärt.
ACHTERBAHN
Geschlagen von den Liebhabern der Mutter, verheizt von egoistischen Trainern, Anerkennung erlebt im Rotlichtmilieu, musste er ins Gefängnis. Nachdem er eine Meuterei anzettelte, wurde er nach Stammheim verlegt, ein Hochsicherheitsgefängnis, wo auch der RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock inhaftiert war. Zwei Menschen, so verschieden wie zwei Menschen nur sein können. Graf trainiert Boocks Körper, und Boock gelingt, was kein Sozialarbeiter bisher vermochte: er zeigt ihm auf, wie wichtig es ist, nicht den Körper sondern auch den Geist zu trainieren. Bildung ist wahre Freiheit, und so beginnt der Boxer zu lesen, von Dostojewski über Faulkner und Hesse.
Doch der Stempel leuchtet auf seiner Stirn: Neger, uneheliches Kind, Benz-Baracken, Zuhälter, Krimineller, Unterschichtler. Es ist faszinierend, auf welch unrechte aber dennoch clevere Weise er dagegen ankämpfte, sich die Möglichkeit erschlicht, aus dem Gefängnis heraus zu trainieren und dann sogar einen Boxkampf zu initiieren. Ein Ding der Unmöglichkeit, doch es gelang ihm, und sosehr ich den Kopf schüttle über die Unverfrorenheit und die Lüge, sosehr bewundere ich insgeheim den Wagemut und die Dreistigkeit dieses Unterfangens. Es ist teilweise absurd zu lesen, mit welchen Mitteln er die Zeit im Gefängnis verbrachte, wie er Dinge zu seinem VOrteil drehte und andere für sich arbeiten ließ. Da wird ein Bordell schnell mal als Hotel deklariert, und ein Inhaftierter sitzt an der Seite des Gefängnisdirektors und trifft Entscheidungen über andere Mitgefangene. Wäre es ein Roman, so würde man ihn abstrafen als unrealistisch, an den Haaren herbeigezogen und völlig hanebüchen, doch was Graf schreibt, ist wahr, und es ist kaum zu glauben.
ARBEIT MIT KINDERN
Charly Graf ist auf jeden Fall ein Sympathieträger, und dieses Charisma ist im Buch deutlich zu spüren. Indem er sich selbst nicht schont, kommt er an Kinder heran, die von Lehrern und Sozialpädagogen bereits aufgegeben wurden. Er versteht die Ängste der Kinder, wie es andere Erwachsene nicht können. Sie fassen vertrauen zu dem Mann, der ohne Scham von seiner eigenen Angst erzählt und davon, dass Gewalt und Kriminalität lediglich Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit darstellen. In der Talkshow des NDR sagt er "Aggressivität kommt von Lebensängsten". Um die Aggressivität abzubauen hilft also nicht die "Sozialpädagogenscheiße" (wie er es drastisch in seinem Buch formuliert, was mich schmunzeln ließ. So ungern ich es zugebe, aber als Sozialpädagoge muss ich ihm dennoch zustimmen), sondern die Bewältigung dieser Ängste. Sein Boxtraining ist mehr als nur ein schlagender Sport, es ist ein Wegweiser zu selbstbestimmtem Denken und Handeln, zu einem Leben in Freiheit ohne Angst.
Wäre KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ein Roman, so müsste ich ihm bescheinigen, dass dem Autor eine herausragende Charakterentwicklung voller Intensität und Komplexität gelungen ist. Da es eine Biographie ist, neige ich mein Haupt vor Charly Graf und zolle ihm meinen Respekt. Einmal dafür, wie er vom kriminellen Underdog den Schritt in ein neues Leben wagte, das dennoch geprägt ist von Enttäuschung, Einsamkeit und Armut, aber erfüllt von Stolz und Selbstbewusstsein. Aber vor allem dafür, dass er diese Erfahrungen nun weitergibt an Kinder, die in ihm ein Vorbild sehen. An Kinder, die durch ihn nun eine neue Chance bekommen.
Graf erzählt in knappen Sätzen von einzelnen Kindern, deren Lebenslauf schrecklich ist. "Es gibt Biographien, da habe ich keine Antwort". Wenn auch nur einem dieser Kinder geholfen werden kann, hat er ein Wunder gewirkt, und einige Male ist es ihm bereits gelungen.
FAZIT
KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ist ein Buch, das jeder Leser anders wahrnehmen wird. Biographie eines Sportlers. Das Märchen vom Underdog zum Helden. Die Zeit in Stammheim und die Begegnung mit Broock. Die Kriminalität im Rotlichtmilieu und der Ausstieg aus der Szene. Oder einfach nur ein packender Lebenslauf. Doch egal, aus welchem Grund man das Buch liest - es lässt niemanden kalt.
SaschaSalamander 28.06.2012, 09.09 | (0/0) Kommentare | PL
Sie sind ein schlechter Mensch, Mr Gum
Mr Gum ist ein alter Ekelbatzen, fies und gemein. Alles an ihm und um ihn herum strotzt vor Hässlichkeit, nur sein Garten ist wunderschön. Denn in Mr Gums Badewanne lebt eine Fee, die täglich den Garten kontrolliert und Mr Gum zur Strafe mit der Bratpfanne verdrischt. Eines Tages kommt Jakob der Hund und beginnt regelmässig das Grün zu verwüsten, also muss Mr Gum zur Tat schreiten. zu einer fiesen, gemeinen Tat. Die kleine Polly möchte Jakob retten, aber was kann ein kleines Mädchen alleine schon gegen diesen Fiesling tun?
NONSENS
Um das Buch zu beschreiben, möchte ich vorab erklären, dass es sich um Nonsense-Literatur handelt. Ich liebe dieses Genre, leider gibt es viel zu wenige intelligente Bücher dieser Art, allen voran ALICE IM WUNDERLAND von Lewis Carroll, gegenwärtig denke ich z.B. an die EDDIE DICKENS Trilogie von Philipp Ardagh oder OTTOLINE von Chris Riddell. Diese Werke zeichnen sich unter anderen dadurch aus, dass es eben non-sense ist, also keinen Sinn ergibt. Der Autor schreibt unlogische Dialoge, erfindet neue Wörter, zieht unpassende Vergleiche aus dem Hut und widerspricht sich sogar selbst. Warum? Was der Sinn davon ist? Nein, zu sagen "das macht keinen Sinn" wäre unpassend. Indem der Autor den Dingen ihren gewohnen Sinn entzieht, wird die Phantasie angeregt, rein passiver Konsum ist kaum möglich, man ist zum Mit- und Umdenken gezwungen. Wie reich der Mensch, der sich vom Erwarteten lösen kann und an das Unmögliche glaubt
AUFBAU
Zurück zu Mr. Gum. Es ist schwer, etwas an diesem Buch konkret zu benennen, denn dazu müsste es ja einen vergleichbaren Sinn ergeben. So ist also auch der Handlungaufbau schwer zu beschreiben. Der Autor hält sich nicht mit wichtigen Details auf, bewahre! Er verliert sich in seinen Ausschweifungen und Belanglosigkeiten, und trotzdem gelingt es ihm irgendwie, die Handlung voranzutreiben und eine Art Showdown zu gestalten. Abzusehen ist das Ende lediglich insofern, als ein Kinderbuch in der Regel positiv endet, doch ansonsten kann sich der Leser auf jede Menge Überraschungen gefasst machen. Und wenn das Buch vorbei ist, wird auf mehreren Seiten angekündigt, dass keinesfalls eine Bonusgeschichte folgen wird, die am Ende natürlich dennoch folgt.
CHARAKTERE
Auch die Charaktere sind abstrus. Etwa ein Mädchen namens Peter. Friday O Leary, der am Ende des Satzes immer sagt "die Wahrheit ist ein Zitronenbaiser". Die Fee mit der Bratpfanne. Der Geist des Regenbogens. Ganz zu schweigen von dem Mädchen namens "Jammy Grammy Lammy F´Huppa F´Huppa Berlin Stereo Eo Eo Lebb C´Yepp Nermonica Le Straypek De Crespin De Crespin De Spespin De Vespin Die Schupp die Wupp de Brönckel Frohe Weihnachten Lenoir" (Freunde dürfen sie Polly nennen, deswegen ist jeder gerne mit ihr befreundet). So wunderlich sie alle sein mögen, eines ist gewiss - gut ist überaus gut, und böse ist böse. So böse, dass es keine Zauberschokolade isst aber dafür Popel.
ZEICHNUNGEN / BUCHGESTALTUNG
Die Reihe um Mr Gum spielt mit Sprache, Sprache wird jedoch auch als optisches Mittel genutzt. Daher hält sich die deutsche Gestaltung nahezu identisch an das Original von Stanton. Die Seite ist nur zu einem knappen Drittel mit Sätzen gefüllt, manchmal bleibt dieser Platz frei, häufig bietet er Raum für Zeichnungen oder hervorgehobene Wörter, die in zigfach vergrößerter Schrift und anderem Schriftsatz (teils wie von Hand gekrakelt) zu lesen sind. Gelegentlich werden Lieder nicht auf Zeilen sondern in Wellenlinien geschrieben. Zudem sind die Seiten des Buches nicht weiß sondern mit grauen Flecken übersät. Einige Male erwischte ich mich dabei, wie ich in Gedanken über die Seiten strich, um den vermeintlichen Staub abzuwischen.
Die Zeichnungen sind witzige Kritzeleien, immer passend zum Inhalt des Buches. Für die deutsche Version wurden einige Dinge geändert, da die Bilder häufig Worte enthalten (etwa die Beschriftung der Milchflaschen, das Städteschild am Bahnhof etc). Tazzyman verleiht der Geschichte eine weitere witzige Note, die die Bücher zu etwas ganz Besonderem macht.
SPRACHE / ÜBERSETZUNG
Übersetzen ist eine Kunst für sich. Doch wie soll man etwas übersetzen, das aus Wortschöpfungen, Wortspielen und ungewöhnlichen Satzkonstellationen besteht? Ich war gespannt auf die Umsetzung und habe mir deswegen sowohl die englische als auch die deutsche Ausgabe gekauft, um diese miteinander zu vergleichen. Und ich bin begeistert:
Harry Rowohlt ist dieses Kunststück hervorragend gelungen, er hat die Eigenheiten Stantons aufgefangen und mit seinem ihm eigenen Stil ins Deutsche übertragen, ohne den Grundton des Buches zu verändern. Manches Mal musste er dafür Sätze umstellen. Einige Wortwitze fielen leider unter den Tisch, dafür hat er an passenden Momenten eigene Feinheiten eingebaut, die widerum in der englischen Sprache nicht möglich gewesen wären. Auch er kreiert Wortneuschöpfungen, wendet Lautmalerei an und spielt mit der Sprache. Zudem verwendet Rowohlt gerne alte, teils fast ausgestorbene Worte udn spielt mit ihnen, was dem Text einen ganz eigenen Reiz verleiht. So wird aus "fürbass" (vorwärts, voran) das Verb "fürbasseln" (vorwärtsgehen). Auch begegnet man so herrlich seltenen Wörtern wie "kabolzen" oder "schlumpeln", für Sprachfreunde sind Rowohlts Übersetzungen wie üblich ein Festmahl.
Sowohl im Englischen wie auch im Deutschen sprudelt der Text über von kreativen Ideen, und MR GUM ist eines der wenigen Bücher, bei denen die Entscheidung "Original oder doch lieber Übersetzung" viel zu schwer fällt.
ZIELGRUPPE
MR GUM ist ganz klar ein Kinderbuch und kann bedenkenlos auch vorgelesen werden. Und trotzdem ist es auch ein Buch für die Großen, denn hier können Alt und Jung gemeinsam lachen. Die Kinder über so schräge Vorstellungen wie eine Fee, die mit ihrer Bratpfanne in der Badewanne lebt, Erwachsene über das kongeniale Sprachgenie von Stanton und Rowohlt. Außerdem - wer geistig jung bleiben will, der macht es wie die Herzogin aus ALICE IM WUNDERLAND: "ich denke schon vor dem Frühstück an sechs unmögliche Dinge". Das Buch ist einfach für alle geeignet, die Spaß haben an folgenden Sätzen:
Jakob war eins dieser großartigen Tiere, die weder Furch noch Zögern noch das Rezept für Rühreier kannten. (S. 110)
Er kratzte nachdenklich seinen Bart, nicht den Bart, der auf seinem Kinn wuchs, sondern einen Ersatzbart, der an der Wand wuchs und den er von Zeit zu Zeit zum Kratzen benutzte. (S. 56)
Die Raupen waren so froh, ihn zu sehen, dass sie sofort zu Schmetterlingen metamorphosierten. Eine der Raupen war sogar so froh, dass sie zu einem Esel metamorphosierte. Die Maulwürfe quiekten, und die Schmetterlinge brüllten vor Vergüngen. (S. 113)
Er tanzte einen grausamen Freudentanz wie ein gehässiges Flaschenteufelchen, welches am 1. Weihnachtstag auf alle Geschenke gerotzt hatte. (S. 86)
Mr. Gum hatte keine Zeit, kurz herinzuschauen [...]. Er hatte wichtigere Igel zu kämmen. (S. 78)
FAZIT
MR GUM strotzt nur so vor Einfallsreichtum und Lebensfreude, und niemand hätte das Buch besser übersetzen können als Harry Rowohlt. Wer sich davon also nicht begeistern lässt, ist selbst schuld ;-)
Wertung: 127,538 von 12,539 Schmetterlingen, die triumphierend ihre kleinen Fäuste in den Himmel recken
SaschaSalamander 27.06.2012, 09.18 | (0/0) Kommentare | PL
Eine besondere Perle
Biographien lese ich eher selten, viele sind recht trocken. Und die Leute, die mich interessieren, schreiben eh keine. Und dann noch die Biographie eines Sportlers? Zweimal nein! Eines Boxers? Dreimal nein!
Aber dieser Boxer war lange Zeit inhaftiert, und inzwischen arbeitet er mit verhaltensauffälligen Kindern. Zwei Themen, die für mich dann doch interessant sind, erst recht in dieser Kombination. Wie kam es, dass er sosehr abrutschte, was hielt ihn aufrecht, wie kam er wieder nach oben? Und mit welcher Einstellung trainiert er die Kinder, was kann er ihnen auf den Weg mitgeben? Ich warf also trotz meiner Bedenken einen Blick in das Buch und war überwältigt. Charlys Leben ist weit spannender, als jeder fiktive Roman es sein könnte! Seine Biographie wäre die perfekte Vorlage für einen Spielfilm im Stil von MILLION DOLLAR BABY und ähnliche des Genres, doch Charlys Geschichte ist wahr.
Am 12. Juni war die Erstausstrahlung der Doku CHARLY GRAF - EIN DEUTSCHER BOXER, am 4. August wird sie um 22.45 im NDR wiederholt. >Hier< kann man sich über den Film informieren. In einer >NDR-Talkshow< erzählt er einzelne Etappen seines Lebens, in der Sendung >DAS< war er ebenfalls zu Gast, bei den angegebenen Links kann man das jeweilige Video streamen. Ich empfehle unbedingt den Film am 4. August, denn das Buch ist sehr spannend, dennoch liest man nur von Charly (als Ich-Erzähler) und Armin (als Beobachter), im Film dagegen kommen z.B. auch Peter-Jürgen Boock (ehem. RAF-Terrorist, der ihm im Gefängnis ein guter Freund wurde), Thomas Classen (sein letzter Gegner im Ring, der ihm den Titel - zu Unrecht? - abrang), ein Ex-Promoter und viele andere zu Wort. Unbedingt sehenswert! :-)
SaschaSalamander 25.06.2012, 15.00 | (0/0) Kommentare | PL
Schweig still, süßer Mund
Jana und Ella sind seit Kindertagen unzertrennliche Freundinnen, keine würde einen Schritt ohne die andere tun. Und dann, eines Tages, ist Ella einfach verschwunden. Sie hat ihre Termine nicht abgesagt, erscheint nicht zur Theaterprobe und ist kurz vor der letzten Abiprüfung weg, einfach weg. Doch da Ella bereits 18 ist, gilt sie nicht mehr als Jugendliche, und die Polizei sieht keine Notwendigkeit, eine Suchaktion ins Leben zu rufen. Also beginnt Jana mit ihren Freunden auf eigene Faust zu ermitteln. Doch je mehr sie über Ella zu erfahren versucht, desto mehr erkennt sie, dass ihre Freundin Geheimnisse vor ihr hatte. Je mehr sie herausfindet, desto größer werden ihre Zweifel, ob sie überhaupt das Richtige tut. Gleichzeitig kommt sie dem Täter immer näher und bringt sich damit selbst in Gefahr.
CHARAKTERE
Jana als Protagonistin ist gut ausgearbeitet. Das Buch ist in großen Teilen in der personalen Sichtweise verfasst, und gerade Jugendliche Leser werden schnell Zugang zu ihr finden. Stets erhält sie unterschiedliche Signale von Freunden, der Polizei, ihrer Familie, und immer wieder muss sie entscheiden, ob sie auf ihre Umwelt hört oder ihre innere Stimme. Dieser Zwiespalt trägt einen Teil der Spannung des Buches und ist gelungen umgesetzt.
Andere Charaktere werden aus Sicht Janas erlebt, sodass ihre Motive unklar bleiben. Viele sind im Laufe der Handlung verdächtig, niemandem kann man trauen. Auch Janas Familie wird eher am Rand behandelt. Lediglich die große Schwester bekommt eine wichtige Rolle, die jedoch lange Zeit ebenfalls unklar bleibt, die Mutter als mahnende Instanz und moralisches Gegengewicht zu Janas innerer, impulsiver Stimme.
Auch in die Sicht des Opfers (hier aus Spoilergründen keine Information) wie auch des Täters gewinnt man einen Einblick. Bald fragt man sich, ob es sich wirklich um eine Straftat handelt und was tatsächlich vorgefallen sein könnte. Entführung? Mord? Lösegelderpressung? Rache? Ein Unfall? Ein Missverständnis?
SPRACHE
Die Sprache und Erzählperspektiven machen das Buch abwechslungsreich, insgesamt liest sich SCHWEIG STILL, SÜßER MUND flüssig und direkt. Der Großteil ist aus Janas personaler Sicht geschrieben. Den Täter liest man als ich-Erzähler. In die Erlebniswelt des Opfers hat man zu Beginn wenig Einblick, der Stil wird immer intensiver, je näher Jana der tatsächlichen Lösung kommt. Dazu gibt es die Emails, die Jana an Ella schickt: Jana ist sich unsicher, ob sie das Richtige tut, und um Ella im schlimmsten Falle ihr Verhalten später zu erklären, schreibt sie diese Mails, rechtfertigt sich für ihr impulsives und nach außen hin unvernüftiges Verhalten. Der Sprachstil hier ist umgangssprachlich und passend für eine 17jährige. Gelegentlich schreibt Jana auch ein Mail an ihren Vater, diese sind in anderem Tonfall gehalten. Auch die Antwort des Vaters sowie einzelne Mails von möglichen Zeugen als Reaktion auf die Internetsuchaktion sind alle in eigener Sprache verfasst. Dadurch hebt sich das Buch für mich aus dem Einheitsbrei der Jungmädchenliteratur deutlich ab, die Autorin bringt Abwechslung in das Geschehen und vermittelt einen netten kleinen Einblick in ihre Schreibkünste.
AUFBAU, GENRE
Es braucht ein wenig, bis das Buch in die Gänge kommt. Da es sich um einen Thriller handelt, weiß der Leser natürlich, dass mehr hinter Ellas Verschwinden steckt, doch außer Jana sieht anfangs niemand wirklich einen Grund zur Sorge. Eine Wende kommt in dem Moment, als Jana über die ersten Ungereimtheiten stolpert und erkennt, dass sie vieles über ihre vermeintlich beste Freundin nicht wusste.
Immer mehr Puzzleteile erhält der Leser von Tag zu Tag (die Kapitel sind in Tage gegliedert), Jana leistet Detektivarbeit, sie forscht nach Hintergründen, befragt Betroffene, sucht Schauplätze auf, die Autorin hat die Möglichkeiten einer 17jährigen nachvollziehbar und glaubwürdig geschildert. Durch die unterschiedlichen Erzählperspektiven erfährt der Leser mehr, als Jana selbst weiß. Während sie also von Selbstzweifeln geplagt wird, weiß der Leser um die drohende Gefahr. Dennoch erfährt der Leser nur Bruchstücke, sodass oft die Frage auftaucht, ob Janas Handeln hilfreich ist oder für sich und das Opfer alles noch schlimmer macht.
Janet Clark legt viele falschen Fährten. Erfahrene Bücherwürmer ahnen schnell, wer der Täter ist, noch bevor dies aus seiner Erzählperspektive ersichtlich ist. Trotzdem ist die Geschichte clever aufgebaut und bietet ebenso Hinweise wie auch Tricks. Es ist erkennbar, dass die Autorin ausführlich geplottet hat, denn oft fallen Andeutungen, die später aufgegriffen werden, Nebensätze vom Anfang des Buches gewinnen an Bedeutung, der rote Faden ist klar erkennbar. Mir fielen trotz der vielen Stränge keine Fäden auf, die ins Leere führten.
Einen geschickten Schachzug finde ich auch, dass dem Leser die Gefahr umso bewusster wird, je mehr Jana an sich selbst zweifelt und ihre Aktivitäten zurückschraubt, sich auf andere Dinge konzentriert. Man möchte fast ihr fast zurufen, selbst eingreifen und ihr Mut zusprechen.
Trotzdem würde ich das Buch nicht als Thriller verkaufen. Gut, "Thriller" vermarktet sich vielleicht besser, aber es ist eine Irreführung. Ich empfinde SCHWEIG STILL, SÜßER MUND eher als Krimi, da der Schwerpunkt weniger auf der Bedrohung und Spannung als vielmehr der Ermittlung und Tätersuche sowie der Ausarbeitung Janas liegt. Jana erlebt eine Entwicklung in diesem Roman, sie wird von ihrer heilen Kinderwelt plötzlich in die harte Realität geworfen: ihr unbedachtes Handeln hat strafrechtliche Konsequenzen, sie muss existenzielle Entscheidungen fällen auch gegen den Willen ihre Familie, sie zweifelt an bis dahin grundlegenden Werten wie Freundschaft, Familie und Loyalität, ihre Welt gerät ins Wanken. Für wen Thriller gleichbedeutend sind mit Blut, Gewalt und stetiger Gefahr für Leib und Leben, der könnte enttäuscht sein. Wer aber die oben genannten Aspekte als spannend empfindet und sich begeistert auf die einzelnen Puzzleteile stürzt, wird das Buch lieben.
THEMEN
Freundschaft, Familie, Loyalität, erste Liebe, geschiedene Eltern, das sind die Dinge, die Jana beschäftigen und die somit auch einen Teil des Buches ausmachen. Doch In SCHWEIG STILL, SÜßER MUND werden noch weitere Themen angeschnitten, die besonders für Jugendliche aktuell und allgegenwärtig sind. Ein großes Thema möchte ich nicht konkretisieren, da es zum Tatmotiv hinführt. Es ist auf jeden Fall sehr schön herausgearbeitet, wie wenig Gedanken sich die Menschen machen über die Hintergründe, und wie schnell einzelne Personen aufgrund (Spoiler) verurteilt werden.
Insgesamt hervorgehoben ist auch die Bedeutung der Medien. Die Jugendlichen nutzen eine Homepage sowie verschiedene soziale Netzwerke für die Suche nach ihrer Freundin. Wertfrei werden dabei die Vorteile aufgezeigt, aber auch die Risiken und Probleme. Gerade der lässige Umgang mit dem Internet wird thematisiert. Die Autorin zeigt auf, was ein Mensch von sich alles unbedacht preisgibt, aber auch, wie die Presse und die öffentliche Meinung einen Sachverhalt verfälschen können. Jana trat, als sie die Polizei zur Suche nach Ella bewegte, eine Lawine los, mit der sie nicht gerechnet hatte, die Konsequenzen hieraus werden sehr schön ausgeführt.
Interessant finde ich auch die ethische Frage, was am Ende zählt: das Ergebnis der Tat oder deren Beweggrund. Sowohl bei Jana wie auch dem Täter wird diese Frage immer wieder gestellt. Die Antwort hierauf muss der Leser für sich selbst finden.
Es wird außerdem sehr schön dargestellt, wie leicht man einem fremden Menschen vertrauen kann. Verbrechen ist nicht schwarz-weiß, und jeder könnte der Täter sein. Sollte Jana deswegen alle Menschen meiden, sich verbarrikadieren und niemanden mehr an sich heranlassen? Aber wie kann sie auf der anderen Seite jemandem vertrauen, wenn sie doch weiß, dass der Täter jemand sein muss, dem Ella vertraute? Auch dies ist eine Frage, die nicht beantwortet wird.
ETWAS KRITIK
Ein paar Kleinigkeiten möchte ich, so begeistert ich insgesamt von dem Buch bin, dennoch anmerken. Besonders das Ende war sehr dramatisch, es kam alles geballt, und ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht ganz einverstanden war mit dem Schluss. Ich verstehe die Botschaft dahinter, doch ich stehe dem sehr skeptisch gegenüber. Gerne würde ich näher darauf eingehen, aber es versteht sich, dass das nicht möglich ist
Ebenso die Frage, ob die Autorin nicht ein wenig übertrieben hat mit der Vorgeschichte einiger Charaktere. Über das Buch verteilt in Ordnung, doch hier ballt sich alles in den letzten wenigen Seiten, sodass es für mich etwas übersteuert wirkt. Es ist durchaus realistisch, und auch die Motive kann ich nachempfinden, trotzdem etwas zuviel des Guten.
Stellenweise hatte das Buch ein paar Längen. Die Treffen mit den Freunden, die Ermittlungsarbeit, ihre Selbstzweifel, die Gespräche mit der Schwester, das wurde sehr gut herausgearbeitet, mancherorts etwas zu gut, zu ausführlich. Etwa 50 Seiten hätte man das Buch gerne kürzen dürfen, ohne dass es an Substanz und Inhalt verloren hätte.
Etwas, wofür die Autorin nichts kann: die Vermarktung des Buches ist ziemlich daneben. die rosa Blumen auf dem Cover und der Titel lassen auf ein reines Mädchenbuch schließen (der Titel weniger in der Aussage als vielmehr in der Wahl seiner Worte und den hervorgerufenen Assoziationen). Das ist etwas, was viele ältere Leser sowie das männliche Publikum abschreckt, obwohl durchaus Erwachsene und auch junge Männer Gefallen an SCHWEIG STILL, SÜßER MUND finden werden. Auch die Klassifizierung als Thriller weckt Erwartungen beim Publikum, denen das Buch nicht gerecht werden kann. Es ist ein hervorragender Krimi und ein sehr schöner Einblick in Janas Entwicklung, jedoch kein Thriller. Sowohl die erwartete Romantik (Blümchen, "süß") als auch der Thrill bleiben aus. Das Buch ist hervorragend, allerdings etwas komplett anderes als erwartet.
FAZIT
SCHWEIG STILL, SÜßER MUND ist ein unterhaltsamer Jugendkrimi, der sich im Aufbau sowie der Klarheit und Aktualität seiner Themen deutlich aus der Masse der derzeitigen Jugendliteratur abhebt. Das Buch liest sich schnell, und oft wird der Leser angeregt, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Der Inhalt des Romans lässt sich gut auf den Alltag übertragen. Ein Buch, das ich sowohl jüngeren Jungendlichen wie auch Erwachsenen bedenkenlos empfehlen kann.
SaschaSalamander 19.06.2012, 17.06 | (0/0) Kommentare | PL
Lady Bedfort 09 - Das Geheimnis der Tauben
Eine erschöpfte und verletzte Brieftaube landet vor der Tür der alten Lady, einen Hilferuf für Mary Broderick am Bein. Lady Bedfort macht die Adressatin ausfindig, und zu dritt machen sie sich auf den Weg zum Absender: die Taube stammt aus der Zucht des Robert Broderick. Lady Bedfort wäre nicht Lady Bedfort, wenn sie am Tod des Butlers und der sofortigen Anstellung eines neuen Hausdieners nicht etwas verdächtig fände, und so beginnt sie wieder einmal ihre Nase in Dinge zu stecken, von denen man sie unbedingt fernhalten wollte.
John Beckmann, der bis auf wenige Ausnahmen fast durchgehend alle Folgen bis 32 geschrieben hat, ist auch für diese verantwortlich. Man merkt, wie es von Mal zu Mal leichter von der Hand zu gehen scheint, und DAS GEHEIMNIS DER TAUBEN ist besonders gelungen. Vom ersten Moment an wird Spannung aufgebaut, die perfekt zur Serie passt: nicht blutig oder thrillerartig, aber dennoch bedrohlich. Die verletzte Taube als Vorbote für kommendes Unheil. Und dann die typische Situation: alle sind an einem Ort, niemand kann weg, jeder ist verdächtig. Klassisches Setting, klassische Folge. Und hier wurde alles richtig gemacht für meinen Geschmack.
Es ist eine der ersten Folgen, in denen Max langsam etwas auftaut. Er wirkt an der Aufklärung des Falles mit, sein Fachwissen trägt zur Klärung bei. Er ist nicht mehr nur Stichwortgeber, sondern er bringt eigene Ideen ein. Zwar muss die Lady ihn dafür rügen, aber es ist klar erkennbar, dass man nun anfängt, ihn intensiver in die Handlung einzubauen. Die Lady, die in den ersten Folgen stellenweise etwas rüde wirkte, wird hier (so empfand ich es zumindest) ein wenig freundlicher, offener ihm gegenüber.
Der Fall selbst ist nicht allzu komplex, man kann sich die Auflösung von Beginn an denken. Trotzdem gelingt es Beckmann, die Spannung aufrecht zu erhalten und den Hörer einige Male schwanken zu lassen, ob Mr Broderick nun Täter oder Opfer ist. In dieser Folge wird auch sehr schön ermittelt, die Lady sammelt durch heimliche Aktionen und provokante Fragen ihre Informationen - ein Genuss für den Hörer, wenn sie wieder einmal zu Höchstform aufläuft und am Ende ihre Lösung präsentiert.
Die Musik war für damals gelungen, sie unterstreicht den Charakter der Folge gut. Nach inzwischen 53 Fällen bin ich dann allerdings doch etwas verwöhnt, Dennis Rohling hat sich hörbar verbessert, die Musik klingt inzwischen aussagekräftiger und markanter, hat mehr Persönlichkeit. Auch die Geräusche der neunten Folge sind passend und fügen sich gut in die Handlung ein, trotzdem ist erkennbar, dass Hörplanet sich in den letzten 5 Jahren sehr weit entwickelt hat, authentischer und professioneller klingt.
Sprecher sind neben den Hauptrollen diesmal passend gewählt, besonders erwähnenswert sind Dietmar Wunder (Cuba Gooding Jr, Adam Sandler, Robert Downey Jr, Omar Epps aus House u.a.) und mein persönlicher Favorit Jürgen Thormann (Ian McKellen, Max von Sydow, Peter O Toole).
Insgesamt also unter den damaligen Folgen eine der besten. Manchmal fragt man sich ja, wenn man aus Nostalgiegründen alte Filme sieht, ältere Hörspiele hört "was hat mich damals daran überhaupt gereizt". Wenn ich DAS GEHEIMNIS DER TAUBEN höre, weiß ich, warum ich die Serie schon damals geliebt habe :-)
SaschaSalamander 14.06.2012, 09.12 | (0/0) Kommentare | PL
Verlockende Versuchungen - Neuauflage
INHALT DES BUCHES
In VERLOCKENDE VERSUCHUNGEN nahezu jedes Märchen- und Fantasyelement geschnappt, das nicht bei drei auf den Bäumen war. Hier ein Drache, dort ein Dämon, Schneewittchen, Rapunzel und Dornröschen dürfen auch nicht fehlen, es gibt einen Zauberspiegel, Elben sind auch zu finden, und natürlich Vampire. Kunterbunt durcheinander, wild vermengt und das Ergebnis ist ein Buch, so humorvoll und zugleich auch erotisch, wie man es noch nicht gelesen hat. Ich habe versucht, einen roten Faden zu finden, doch gemeinsam ist allen Geschichten wohl wirklich nur, dass sie in einer fiktiven Märchen- oder Fantasywelt spielen und direkt oder indirekt mit Sex zu tun haben.
Da verliert ein Vampir seine Geliebte und findet sie nach langer Zeit zurück, doch gehört sie nun nicht einem anderen? Ein Engel und ein Dämon verlieben sich und verbringen gemeinsam ihre Zeit in den unteren Örtern, auf der Erde und im Kino. Das devote Schneewittchen wurde von den Zwergen leider mit dem falschen Prinzen verheiratet und klagt nun über fehlende Schläge. Die böse Moorhexe will ein unschuldiges (?!?) Mädchen verführen und wird von einem selbstlosen Jäger bezwungen. Wer ein Zauberartefakt zu seinem eigenen Vorteil missbraucht, der macht Bekanntschaft mit Rapunzels lukrativem Nebenjob. Eine Elfenprinzessin soll den Prinzen des Nachbarvolkes heiraten, obwohl doch alle wissen, dass dessen Bewohner alle knollennasig und krummbeinig sind. Und einige weitere Geschichten, die den Leser ungläubig, lachend und begeistert mit dem Kopf schütteln lassen.
ÄNDERUNGEN IN DER NEUAUFLAGE
Im Buch selbst waren die Geschichten in mehrere Teile getrennt und bunt im Buch verteilt, zwischen Teil eins und Teil 3 lagen oft mehrere andere Geschichten. Dies wurde nun geändert: die dreiteilige Geschichte, BRENNENDE BEGIERDE, wurde zu einer einzigen Geschichte zusammengefasst (übrigens auch getrennt vom Buch erhältlich), die Zweiteiler sind nun hintereinander angeordnet. Großer Pluspunkt!
Das Cover selbst wurde natürlich auch geändert. Ich poste hier zum Vergleich beide Titel. Das alte Cover ist recht nett, der Blick der Frau verspielt, ihr Haar ein wenig verstrubbelt und passend zu den Geschichten wirkt es erotisch aber doch nicht ganz so ernst. Das neue Cover mit mit dem weißen Kleid, der roten Unterlage und der drapierten Frau betont etwas stärker den Märchenaspekt des Buches. Beide Bilder haben ihren Reiz, das neue dürfte vermutlich aufgrund des netten Farbkontrastes die Blicke der Leser noch mehr auf sich ziehen.
Und natürlich wurde ein klein wenig am Text gefeilt, drei Jahre sind eine lange Zeit für einen aktiven Autor, Minden hat sich seitdem gesteigert, und entsprechend hat sie hier und da ein wenig ausgebessert. In den meisten Stories nur ein paar Formulierungen oder kleine Ergänzungen, in den beiden Gaystories an der Perspektive gefeilt, die Geschichten selbst sind jedoch alle original beibehalten.
Als Bonus gibt es zusätzlich die Geschichte WILDES BEGEHREN aus dem Buch LUSTPUNKTE (erscheint in den nächsten Tagen bei Elysion Books), das die bisherigen dunkleren Geschichten des Bandes um einen Gestaltwandler bereichert.
ERZÄHLWEISE, HUMOR
Die Stimmung des Buches erinnerte mich in nahezu jeder Geschichte an eine Disney - Parodie. Eine Prinzessin, zwitschernde Vögel auf dem Baum, dazu ein geträllerter Song im höchsten Sopran, bauschige Kleider und wunderhübsche Gesichtlein mit geröteten Wangen. Und dazu die witzigen Umschreibungen. Ich bin froh, dass ich noch das ältere Buch habe, denn da sieht man, wie die Autorin sich weiterentwickelt hat, ich mag diese Vergleiche. Doch insgesamt besser ist natürlich die Neuauflage, und die kann man inzwischen nicht mehr nur Fans von Minden empfehlen, sondern auch Neulingen.
Ich habe sehr oft gelacht über die absurden Situationen. Meine Lieblingsszene (kein Spoiler) ist ein sterbender Mann, und zack puff steht plötzlich ein goldener Drache auf der Lichtung und bringt alles wieder ins Lot. Keine Ahnung woher, keine Ahnung wohin, aber sollten wir nicht alle so einen goldenen Zauberdrachen haben? Oder der selbstlose Jäger, der - wir sind ja im Erotikroman - der die Moorhexe mit seinem "Jagdgewehr" von hinten außer Gefecht setzt und dem wirklich außerordentlicher Dank für sein uneigennütziges Tun gebührt (wer will es schon mit einer Moorhexe treiben). Wie gesagt: skurril, völlig abgefahren und so ganz anders als alles, was man von einem Buch mit erotischen Kurzgeschichten erwartet.
FAZIT
Aufgeschlossen sollte man auf jeden Fall sein. Denn abgesehen davon, dass eine Menge Märchen und Fantasyfiguren aufs Korn genommen werden, gibt es hier auch so ziemlich alles: Gay, SM, Hetero, freiwillig und unfreiwillig. Wer also ausschließlich Heteroerotik sucht, oder wer sich nicht für SM begeistern kann oder eben etwas Spezielles sucht, der wird hier nicht fündig. Wer vielseitig ist und sich vorstellen kann, dass Humor und Erotik sich nicht gegenseitig ausschließen, der ist hier auf jeden Fall richtig. Absoluter Geheimtipp für alle Inka Loreen Minden Fans, die bisher nur die neueren Werke kennen ;-)
SaschaSalamander 09.06.2012, 08.48 | (0/0) Kommentare | PL
Nur eine Woche
Ein Roman, den ich in die Hand nahm, weil ich einfach zwischendurch gerne mal Sachen lese, mit denen ich auf den ersten Blick nicht viel anfangen kann, schließlich lasse ich mich gerne vom Gegenteil überzeugen und befasse mich mit Dingen, die mir nicht unbedingt zusagen. Latex, Bürojob, 24/7 mit Kleiderordnung ... "wem´s gefällt", wie man so schön sagt. Ein gutes Buch schafft es aber, den Leser mitzureißen, ob er sich für ein Thema interessiert oder nicht. Und das war hier absolut der Fall! Und ich muss sagen, der Autor hat das Thema Latex und Fetisch so gut erklärt, dass man auch als Außenstehender wirklich einen schönen Einblick bekommt. Was findet jemand an Latex toll? Wie fühlt es sich an, dieses Material auf der Haut zu tragen? Wie pflegt man Latex, und was gibt es für Möglichkeiten mit diesem Material?
Als ich die Beschreibung las, dachte ich "na toll, und wieder ein Top, der irgendwelche dummen Sachen verlangt, und irgendein Weibchen rennt ihm hinterher und erfüllt ihm seine Phantasien". Pustekuchen! Statt dessen konfrontiert Mike Orca, der sich selbst in der Fetischszene bewegt und sehr gut weiß, wovon er hier in seinem Buch erzählt, den Leser mit einer selbstbewussten jungen Frau, die zwar ihrem Herrn ergeben ist aber dennoch ihren eigenen Kopf hat. Sie weiß, dass sie ihrem Freund vertrauen kann, und sie weiß, dass er sie auffangen wird, falls es auf Arbeit schiefgeht. Zugegeben, hier kommt der Faktor Geld dazu, der so in der Realität wohl nicht gegeben ist in diesem Ausmaß, aber dafür ist es ein Roman, fast schon ein Märchen. Ein Märchen von einer selbstbewussten Prinzessin und ihrem strahlenden Ritter auf dem weißen Pferd, jedoch alltagsnah und fast realistisch.
NUR EINE WOCHE ist stellenweise weniger ein Roman als vielmehr fast schon eine Beschreibung. Sehr detailliert wird auf die Kleidung, die Latexpflege, die Aufgaben eingegangen. Die Charaktere sowie die Handlung selbst bleiben dabei etwas im Hintergrund, sind jedoch trotzdem sehr gut durchdacht und greifbar. Das Verhalten der Protagonistin ist erstaunlich gut nachvollziehbar, und auch wenn der Leser selbst nicht so gehandelt hätte, ist doch alles gut erklärt und einfühlsam geschildert. Besonders gefielen mir die Reaktionen der Kollegen. Wie gesagt, es mutet stellenweise fast ein wenig wie ein Märchen an, es geht alles gut, und recht schnell erkennt der Leser, dass man sich hier weniger auf Konflikte einstellen muss denn auf bewegende Momente. In der Realität mag es nicht so glimpflich ablaufen, und nur wenige würden ihren Job auf diese Weise riskieren wollen. Aber NUR EINE WOCHE ist Fiktion, und dementsprechend geht alles glatt, die Kollegen halten zu ihr, der Chef geht auf ihre neue Rolle ein, und wenn Not am Mann ist hat ihr Herr ganz sicher noch einen Trumpf in der Hand.
In der Realität kann man den Job verlieren, und deswegen (oder vielleicht auch aus einem anderen Grund, das weiß ich nicht) schreibt der Autor unter einem Pseudonym. Aber hey, Lesen soll dazu dienen, dem Alltag zu entfliehen, sich seinen Phantasien hinzugeben. Und deswegen gibt es in diesem Buch ein Outing vor Kollegen, Freunden und Familie, wie jeder es sich nur erträumen kann. Ach, wenn das wahre Leben nur genauso einfach wäre :-)
Was ungewöhnlich ist in diesem Genre, aber was mir außerordentlich gut gefiel: ich habe sehr oft gelächelt, es tat einfach gut: die Reaktionen der Kollegen, die Begeisterung Janinas, ihr stetig wachsendes Selbstbewusstsein von der schüchterenen Frau hin zur stolzen Sub, es berührt den Leser und zaubert mehrfach ein Strahlen ins Gesicht. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Es ist witzig, wenn durch Janinas Verhalten nach und nach die Kollegen anfangen sich zu outen. Denn mal ehrlich, ein klein wenig Abenteuerlust steckt doch in uns allen, und wer weiß schon, was die Chefsekretärin unter ihrer Bluse trägt und welche Schuhe die Kollegin abends für ihren Freund anzieht und ob der schüchterne Kollege die Lederhose wirklich nur fürs Motorrad gekauft hat? Auch wenn Janina ihrer Aufgabe nachkommt und offen allen Fragen Rede und Antwort stehen muss, ergibt sich so manch witzige Situation, sei es im Fitness-Studio, beim Autowaschen, auf der Post oder oder oder.
Erotik im sexuellen Sinne gibt es keine, denn Janina trägt einen Keuschheitsgürtel, außerdem ist ihr Herr in dieser Woche für sie nicht greifbar, sie soll die Situation alleine meistern. Aber Erotik ist nicht nur Sex, Erotik ist Sinnlichkeit, und auch Fetisch hat seinen eigenen Platz in der Welt des BDSM und Bizarr, und für die Sinne wird hier viel geboten, denn das Gefühl von Latex, der Geruch, die Haptik, das vermag der Autor so deutlich zu beschreiben, dass man direkt meint es beim Lesen zu riechen.
Auch, wenn die Geschichte sehr vorhersehbar ist und man nach wenigen Seiten ahnt, worin es gipfeln wird und dass Janina keine wirkliche Gefahr auf Arbeit droht - trotzdem konnte ich das Buch nur schweren Herzens beiseite legen. Ich konnte das nächste Gespräch mit der Kollegin nicht abwarten, danach wollte ich sofort wissen, welche Aufgabe ihr Herr als nächstes stellt, und danach musste ich doch unbedingt erfahren, was sie im Laden für neue Kleidung kaufen wird, und so weiter und so fort, ich war wirklich erstaunt über die Faszination, die dieses Buch auf mich ausgeübt hat.
So begeistert ich bin - eine Kleinigkeit muss ich dennoch anmerken: es ist wie gesagt recht nüchtern geschrieben, die Dialoge klingen stellenweise ein wenig hölzern. Es liest sich eben wie gesagt weniger wie ein glatter Roman als vielmehr wie eine Beschreibung. Doch nach wenigen Seiten hat man sich an diesen ungewöhnlichen Stil gewohnt und empfindet ihn nicht mehr als störend, sondern im Gegenteil einmal angenehm anders. Der >ReDiRoma Verlag< war mir bis dato unbekannt, aber bei einem Blick auf die Homepage wird schnell klar, um was es sich handelt. Von daher sind ein paar Rechtschreibfehler oder grammatikalische Ausrutscher zu verzeihen, ich habe einfach darüber hinweggesehen ;-)
Wer Latex mag und sich für das Thema interessiert, kann bei diesem Buch gar nichts falsch machen, für den ist es sicher ein Festmahl. Und für alle, die aufgeschlossen sind, bietet NUR EINE WOCHE einen sehr schönen Einblick in den Fetischbereich.
SaschaSalamander 08.06.2012, 09.11 | (0/0) Kommentare | PL
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