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Blogeinträge (Tag-sortiert)
Tag:
MindNapping 09 - Montana
Die Handlung ist schwer zu beschreiben, da sie auf mehreren Ebenen spielt. Rahmenhandlung bildet ein Drehbuchautor, der tot in seiner Wohnung aufgefunden wird. Sein letzter Wille: sein Skript muss verfilmt werden, sonst geht sein Geld an die Blackfeet - Indianer. Beim Filmdreh wird schnell klar, dass es mit dem Skript etwas Besonderes auf sich hat, und die Realität beginnt mit der Fiktion zu verschmelzen.
Ein wiederkehrendes Thema des Hörspieles ist die Sebstreferenzialität, einerseits spielerisch erklärt und in witzigen Geschichten oder Paradoxa, andererseits in der Handlung selbst. So handelt der Film von einem Drehbuchautor, der einen Film dreht, in welchem es usw. Nicht umsonst ist auf dem Cover ein >Möbius-Band< abgebildet.
Selten höre oder lese ich etwas zweimal, und noch seltener beginne ich direkt nach dem Ende erneut von vorne. In diesem Fall habe ich es getan, ansonsten wäre es kaum möglich gewesen, die Geschichte zu erfassen. Mit dem Wissen um spätere Entwicklungen und das Ende war das erneute Hören ein komplett anderes Hörerlebnis, das sich absolut lohnte und mir sogar noch besser gefiel als beim ersten Mal. Nein, nebenbei darf man MONTANA auf keinen Fall hören, wenn man es verstehen möchte!
Die Sprecher agieren gekonnt, die Hintergrundmusik vermittelt eine sehr schöne Atmosphäre passend zum Westernsetting des gedrehten Filmes, ich konnte tief in die Welt abtauchen. Mich darin zu verlieren war erst beim zweiten Mal möglich, da anfangs doch zuviele offene Fragen waren und ich Schwierigkeiten hatte, die drei bzw vier Erzählebenen auseinanderzuzalten.
Eine rundum gelungene Folge, die man auch unabhängig vom Rest der Reihe sehr gut hören kann. Wer Hörspiele und Mindfuck liebt, der kommt an MONTANA nicht vorbei!
10 Luchse - 0,9 Kojoten = 9,1 ungleiche Brüder
SaschaSalamander 03.07.2012, 08.27 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL
Mr Gum und der fettige Ingo
Die Essenszeit-Kriege wüten vernichtend über Bad Lamonisch an der Bibber. Wie kam es dazu? MR GUM geht fürs Abendessen nicht mehr zu seinem besten Freund, dem ebenso gemeinen und fiesen Metzger Willi Wilhelm III ff, sondern statt dessen zum fettigen Ingo und dessen Affen "Philipp der Horror". Das kann Willi Wilhelm III ff nicht auf sich sitzen lassen! Und Polly kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie die beiden Stinkstiefel die Stadt vernichten, also muss sie sich etwas einfallen lassen.
BAND 6 DER REIHE UM MR GUM
DER FETTIGE INGO ist der sechste Band einer erfolgreichen Kinderbuchreihe um den miesepetrigen MR GUM. Zwar lassen die Bücher sich unabhängig voneinander lesen, trotzdem ist es natürlich schön, wenn man sich bei den Charakteren auf frühere Bücher beziehen kann, und viele Witze sind umso lustiger, wenn man den Hintergrund versteht. Man begegnet alten Freunden wie dem elektrischen Lebkuchenmann Björn Schneyder oder der angetrunkenen Omimi, es kommen aber auch neue Bewohner der Stadt hinzu, so der titelgebende Ingo Fettig und sein bösartiger Affe.
NONSENS UND JEDE MENGE SPAß
Andy Stanton schreibt die Texte, die von David Tazzyman mit witzigen Kritzelzeichnungen illustriert werden. Und Harry Rowohlt als Übersetzer, ein perfektes Dreierteam! Das Buch ist ein gelungenes Werk unsinniger Fabulierkunst, die aberwitzigen Ideen das Autors sind einfach hinreißend. Völlig unzusammenhängende Metaphern und Vergleiche, unrealistische Aktionen und völlig unbedeutende Nebenstränge. Mitten im Buch findet der Leser plötzlich ein Kapitel über einen balzenden Flamingo, und einige Seiten später direkt in Folge der Entschuldigungsbrief des (fiktiven) Verlegers, welcher sich für den Fehler entschuldigt aber gleichzeitig einräumt, dass das statt dessen fehlende Kapitel sowieso völlig langweilig gewesen sei. Man muss, wenn man z.B. in der U-Bahn liest, wirklich aufpassen, dass man nicht überrascht die Augen aufreißt und laut loslacht, so absurd sind manche Szenen dargestellt.
ROWOHLTS ÜBERSETZUNG
Harry Rowohlt ist es wieder geglückt, das Buch im Sinne des Autors zu übersetzen, wobei natürlich einige Wortwitze nicht möglich waren und er diese umformulierte, dafür an passender Stelle andere Scherze einfügte. Ein gelungenes aber unübersetzbares Wortspiel hat er ausnahmsweise mit Fußnote erklärt (die Aufforderung "Duck", also "duckt Euch", als eine Ente angeflogen kommt). Während das erste Buch eine insgesamt trotzdem weitgehend fortlaufende Handlung hatte und vor allem die Charaktere aus Lamonisch an der Bibber einführte, ist der sechste Band vor allem geprägt von Wiederholungen und freien Versen teils in Reimform sowie sehr viel Lautmalerei.
SCHWÄCHE DES 6. BANDES
Zugegeben, dabei hat Andy Stanton ein wenig übertrieben. Wiederholung mag ein Stilmittel der Nonsensliteratur sein, trotzdem sollte sie maßvoll angewendet werden. Als der stinkende Fiesling Willi Wilhelm III ff das erste mal (nicht) auf einem magischen Einhorn einherreitet, mag man noch losprusten bei der Vorstellung, das zweite Mal schmunzelt man, aber spätestens beim sechsten oder siebten Mal ist es wirklich genug. Außerdem gibt es im Buch diesmal fast keine Handlung, sie erschöpft sich bereits in der Inhaltsangabe des Klappentextes. Doch sie wird enorm in die Länge gezogen durch die freien Verse, die sich teils über 6 oder mehr Seiten erstrecken, jedoch einen Inhalt widergeben, der in einem Satz abgeschlossen wäre und teilweise nur aus sich wiederholenden Lautmalerei besteht. Während im ersten Band die Darstellung einzelner Worte wie BUMM, WATSCH, WACK etc lustig war, wurde auch diese Möglichkeit etwas über Maß strapaziert (wenngleich es einige wirklich witzigen Momente gibt wie etwa KA-WUMM, KA-BLAMM, KA-PITELENDE!). Das "Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnatter! Schnie!" des Affen ist gefühlt auf beinahe jeder dritten Seite zu lesen, was bei der sowieso schon geringen Textmenge (teils nur 5 bis 10 Zeilen) pro Seite einfach zuviel ist, man fühlt sich als Leser doch etwas um den Inhalt betrogen.
TEXTBEISPIELE
Mit einem schrecklichen Geruch nach verbranntem Gummi und Lebkuchen drehte sich das Taxi mitten auf der Straße im Kreise und im Kreise und im Kreise. Ein Vorderrad ging ab, flog erst ins Ober-, dann ins Unterhaus und würde zufällig für die nächsten zehn Jahre Premierminister. (S. 150)
Sie waren die ganze Nacht gereist, aber jetzt erhob sich die Sonne über dem Meer, blendend in ihrer Herrlichkeit, wie die größtvorstellbare Pampelmuse, die sich aus ihrem Nest aufschwingt, um auf Zuckerjagd zu gehen. (S. 169)
Er war ein beängstigender Klumpen von einem Heini, Gesicht und Hirn über und über mit Furunkeln übersät. An seinem linken Arm hatte er eine lange Narbe aus der Zeit, als er noch Stacheldrahtvertreter gewesen war, und eine seiner Hände war aus Messing, Folge eines schrecklichen Unfalls, in den eine Kettensäge, etwas Zwei-Komponenten-Kleber und eine Messinghand verwickelt gewesen waren. (S. 40)
FAZIT
MR GUM ist eine grandiose Reihe, die absoluten Kultfaktor hat. Harry Rowohlt hat ein Händchen für herausragende Literatur und drückt ihr im Deutschen seinen ganz eigenen Stempel auf, man kann gar nicht anders als begeistert zu sein. Trotzdem ist DER FETTIGE INGO ein eher schwächerer Band der Reihe, der durch zu viele Wiederholungen und unnötige Längen auffällt. Was soll ich nun bewerten - die Sprache, die Idee, Rowohlts Genie? Oder einfach nur die Geschichte selbst? Na, ganz einfach:
Wertung:
15 von 10 Zitronenbaisers für die Übersetzung und
5 von 10 Pferde, die Rosinen in den Weltraum schnipsen für die Geschichte
ergibt summa summarum 3,7 von 5 Hunden, die keine Anrufe entgegennehmen ;-)
SaschaSalamander 02.07.2012, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL
Statistik KW 26
1 - Beim ersten Sonnenstrahl 2 (I L Minden)
1 - Klassentreffen (I Meerling)
1 - Black Sun 01 (U Ogasawara)
1 - Midnight Secretary 03 (T Ohmi)
1 - Winternacht - Schamanenpfade (S Wisbar)
1 - Dark Mysteries 01 - Fuchsjagd (Winterzeit)
1 - Dark Mysteries 02 - Das Loch (Winterzeit)
1 - Schrei der Angst 01 - Feeder
2 - Schrei der Angst 07 - Manatalk
2 - Kritiken schreiben (S Porombka)
2 - Das Känguru-Manifest (M-U Kling)
GESEHEN
Der Schuh des Manitu
NEUZUGÄNGE
Usher Grey 02 - Höllenduett (N Henser)
Lust bewusst leben (J E Kleene)
Caprice - heiße Tage geile Nächte (I L Minden)
Wir sollten dringend weniger zusammen unternehmen (R Polzar)
Ich bin Robert, Wanda und Bobby (R B Oxnam)
Gruselfieber - Das Schulmonster (R L Stine)
Wintersmith (T Pratchett)
Unliebsame Überraschungen (P Ardagh)
ANMERKUNGEN:
1 - komplett
2 - teilweise
3 - abgebrochen
SaschaSalamander 01.07.2012, 20.39 | (0/0) Kommentare | PL
Kritiken schreiben - ein Trainingsbuch
"Die fortlaufenden Reflexionen lassen sich mit solchen Aufzeichnungen [Anm: er rät dazu, ein Journal zu führen] plötzlich von außen beobachten - und man selbst kann von sich denken "so denke ich also, so habe ich also gedacht", worüber man dann übrigens wieder nachdenken kann, um sich darüber wieder neue Notizen zu machen, usw. usw., man muss das gar nicht ausspinnen, um sich klar zu machen, wohin das führt: zum dauernden Notieren und Nachdenken über das Notierte.
Wer das macht, wird sich innerhalb von Wochen eine erste Routine des Boebachtens, Denkens und Notierens erarbeiten. [...] Für den Kritiker heißt das: Nichts wird man mehr lesen dürfen, ohne dass das Journal dabei ist. Kein Buch, keine Zeitung, kein Prospekt, kein Plakat am Straßenrand. Was immer man auch sieht, was auch immer interessant scheint, weil es gemacht ist - man sollte sich etwas dazu notieren." (S. 33f)
aus: Stephan Porombka: Kritiken schreiben - ein Trainingsbuch; UVK 2006
Hm ... ja, ich finde mich definitiv darin wieder, fühle mich ertappt und kann es nachempfinden (erlebe mich allerdings auch als etwas freakig, wenn ich ständig im Alltag alles analysieren muss und gar nicht anders kann als ständig zu hinterfragen).
Ich frage mich, wie dieser Text auf einen gesunden, nicht-rezensierenden Menschen wirkt? ;-)
SaschaSalamander 30.06.2012, 17.12 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL
Die Arbeit des Kritikers - Hinter den Kulissen
Diesen Beitrag schreibe ich, um auch ein wenig mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Rezensionsexemplare nichts anderes bedeuten als Gratislesen. Gerade jetzt, wo die Bücherblogs wie Pilze aus dem Boden sprießen, werden auch die Kritiker immer mehr. Es gibt sehr viele Perlen unter diesen neuen Blogs. Aber es gibt auch sehr viele schwarze Schafe. Leser, die Rezensionsexemplare anfordern und die Bücher ungelesen wieder bei Ebay verhökern, nachdem sie den Klappentext und ein "tolles Buch, muss man kaufen" oder "taugt nicht, ich mag das Genre eh nicht" bei Amazon getippt haben (habe ich tatsächlich so erlebt).
Ich habe keinen Grund mich zu rechtfertigen, denn ich fühle mich bei den Beschimpfungen, die man oft liest, in keinster Weise angesprochen. Aber ich sehe dennoch, dass die Arbeit des Kritikers ziemlich nebulös scheint. Welche Arbeit steckt hinter den geschriebenen Zeilen? Oder: wie kann Lesen überhaupt Arbeit sein?
Dieser Beitrag soll also zeigen, welche Arbeit hinter einer ausführlichen Rezension steckt. Er soll angehende Rezensenten motivieren, ihre Arbeit ernst zu nehmen und mehr zu schreiben als nur eine Lesermeinung. Und er soll Lesern meiner Kritiken zeigen, was "hinter den Kulissen" passiert :-)
LESERMEINUNG
Landläufig spricht man von einer "Rezension" oder eine "Kritik", wenn jemand seine Meinung über ein Buch schreibt. Für mich selbst unterscheide ich allerdings sehr wohl zwischen einer Lesermeinung, Kundenmeinung oder einer Rezension / Kritik. Im Blog habe ich nur die Rubrik "Rezension", trotzdem befinden sich dort sowohl Lesermeinungen wie auch ausführliche Rezensionen. Allzu knappe Lesermeinungen kommen in die Rubrik "Aktuelles".
Wenn ich ein Buch privat lese, entscheide ich meist recht früh, ob es eine Lesermeinung oder eine Rezension wird. Für eine Lesermeinung lese ich einfach gemütlich, lasse mich unterhalten, und am Ende fasse ich meine Gedanken in Worte. Zeitaufwand: Lesegenuss und anschließend je nach Länge des Beitrages 5 bis 20 Minuten Schreiben. Keinerlei Aufwand, unsortierte Gedanken fließen vom Hirn in die Tastatur. Einem Verlag oder Autor würde ich diese Lesermeinung keinesfalls als Rezension in die Hand drücken, da wesentliche Elemente einer ausführlichen Kritik fehlen. Für den Leser bietet es dennoch einen groben Überblick, und ich bin meine Gedanken losgeworden, kann mich nun befreit dem nächsten Medium widmen.
KRITIK / REZENSION
Wenn ich das Buch lese und von Beginn an merke, dass da sehr viele Gedanken in mir hochkommen, dann hole ich sofort den Notizzettel. Manchmal tippe ich nach dem Lesen dann einfach meine Notizen und Gedanken, das ist dann die etwas ausführlichere Lesermeinung. Und manchmal entscheide ich mich auch für eine Rezension / Kritik, auch ohne Kontakt zu Verlag oder Autor, sondern weil ich das Bedürfnis danach habe mich intensiver mit dem Titel auseinanderzusetzen.
Wenn ich aber ein Rezensionsexemplar erhalte, gehe ich mit einem für mich anderen Anspruch an das Werk heran. Ich denke, jeder Kritiker hat seinen eigenen Stil, sein eigenes Vorgehen, daher kann ich nicht für andere sprechen. Aber ich möchte einfach einmal beschreiben, wie es aussieht, wenn ich vorhabe, ein Buch ausführlich zu bewerten.
Es ist auch klar, dass die Arbeit an einem Hörbuch anders verläuft als an einem Roman, für einen Jugendroman anders als für eine Biographie, ein Fachbuch oder einen Manga. Was ich hier also schildere, ist eine Verallgemeinerung, die sich nicht auf jeden Titel übertragen lässt aber doch einen guten Überblick bietet über all das, was hinter einer ausführlichen Rezension steckt.
NUR EIN HOBBY
Rezensieren ist für mich nicht nur ein Hobby. Es ist eine Leidenschaft. Ich liebe es, das Buch auseinanderzunehmen, zu zerpflücken und schon während des Lesens auf die Details zu achten. Und ich merke, dass diese Einstellung mich nicht nur beim Lesen begleitet, sondern auch im Alltag. Wenn ich einen Film sehe, wenn ich einen Werbetrailer laufen sehe, wenn ich einen Zeitungsartikel lese, immer habe ich im Hinterkopf "mit welchen Mitteln arbeiten die, wie wollen die ihr Ziel erreichen, warum tun die das, wie kommt das bei den Leuten an". Und selbst, wenn ich nicht rezensiere, habe ich ständig eine Checkliste im Kopf. Ich bin einfach verdammt neugierig, und schon in der Schule bin ich den Lehrern mit meinen abertausend Fragen auf den Keks gegangen ;-)
(Und ich möchte betonen: es ist ein HOBBY. Kein Studium liegt zugrunde, und mir ist klar, dass ich noch eine Menge falsch mache, dass mein Vorgehen das eines Laien ist. Trotzdem bemühe ich mich um korrektes Arbeiten, auch wenn ich viel falsch mache und "echte" Kritiker vermutlich nur das Gesicht verziehen ob meiner Texte. Egal, mir bereitet es Freude zu schreiben, und ich bin stets um Vorankommen bemüht)
VOR DEM LESEN
Vor dem Lesen informiere ich mich über den Autor, dessen bisheriges Werk, über das Genre, den Verlag und andere Rahmenbedingungen. Dies mag nicht unbedingt in die Rezension einfließen, ist mir jedoch wichtig für das Verständnis des Titels. Um ein Buch zu rezensieren, möchte ich den Kontext verstehen, in dem es geschrieben wurde. Denn ein Buch steht niemals alleine, es ist das Ergebnis eines gesellschaftlichen und literarischen Kontexts.
WÄHREND DES LESENS
Wenn ich ein Rezensionsexemplar lese, habe ich immer Stift und Zettel parat, egal ob unterwegs in der Straßenbahn, in der Mittagspause auf Arbeit, zu Hause am Schreibtisch oder abends im Bett. Je nachdem, was das Buch für mich an Gedanken abwirft, mache ich mir Notizen, manchmal nur alle 10 bis 20 Seiten, manchmal fast auf jeder Seite. Ich notiere Zitate, halte meine Gedanken während des Lesens fest. Markiere mir Seitenzahlen, die ich später eventuell brauchen könnte. Während des Lesens und Notierens stelle ich mir die Frage, was das Buch erreichen möchte, welchem Zweck es dient, welche Zielgruppe es anspricht und ob dies gelungen ist. Ich lese das Buch nicht nur aus Genuss (was natürlich trotzdem ein angenehmer Nebeneffekt ist, aber nicht immer ist das möglich), sondern ich lese es auf einer Metaebene und hinterfrage den Satzbau, die Kapiteleinteilung, die Erzählstruktur, die Wortwahl, die Charakterentwicklung und was mir in diesem Moment alles als erachtenswert erscheint.
Das Lesen kann unter Umständen auf diese Weise dreimal so lange dauern wie beim normalen Lesegenuss, weil ich zwischendurch etwas im Web recherchiere, weil ich zurückblättere und eine Szene nochmals lese, weil ich Notizen mache, weil ich pausiere und wirken lasse.
DIE MEINUNG ENTSTEHT
Bevor ich die Rezension beginne, sortiere ich als erstes meine Notizen. Sonst besteht die Gefahr, dass ich zwei oder drei Tage später gar nicht mehr weiß, was diese Stichpunkte bedeuten. Ich schreibe all diese Gedankenfetzen lesbar am Computer untereinander. Danach sortiere ich sie thematisch, z.B. für die Inhaltsangabe, die Charakterbeschreibung, den Aufbau, den Sprachstil. An diesem Punkt entscheidet sich, welche Merkmale des Buches ich hervorheben möchte und was ich in der Rezension alles beschreiben werde, auf welche Elemente ich mich konzentriere.
Nicht in allen Fällen, aber wenn es für das Thema des Buches sinnvoll ist (gerade bei Sachbüchern, Biographien oder auch Romanen um bestimmte wissenschaftliche, religiöse oder andere brisante Themen), recherchiere ich dann im Internet. Wie haben andere Autoren dieses Thema aufgegriffen? Gab es das Thema schon einmal? Wo endet die Realität und beginnt die Fiktion? Falls das Thema es nicht hergibt, lasse ich diesen Punkt auch komplett aus. Falls das Thema dies jedoch ermöglicht und ich tiefer in das Buch eintauchen möchte, kann dies mehrere Stunden beanspruchen.
Wie ein Autor nicht alle recherchierten Elemente in seinem Buch unterbringen kann und viele wertvollen Informationen den Leser niemals erreichen, so geht es auch dem Rezensenten. Der Leser erhält die Essenz der Arbeit, obwohl es sicher noch sehr viel mehr zu erzählen gäbe. Zu trennen, was nun an die Öffentlichkeit soll und was ich zurückbehalte, ist nicht immer leicht, allzu gerne würde man all seine Ergebnisse präsentieren.
FEINARBEIT
Meine Meinung über das Buch ist also gefällt, ich weiß was ich loben, was ich kritisieren möchte. Danach lese ich mir gerne einige Rezensionen anderer Kritiker durch, deren Meinung ich schätze. Was haben sie hervorgehoben, was haben sie kritisiert? Meine Meinung wird dadurch nicht mehr beeinflusst, allerdings kann es sein, dass ich auf einzelne Punkte anderer Rezensenten eingehe: wenn ich ein Buch gelungen fand und sehe, dass viele es für etwas kritisieren, das ich im Gegenteil sogar gut fand, gehe ich auf diesen Punkt verstärkt ein, um meine Darstellung dadurch zu untermauern.
Es kommt in der Tat auch manchmal vor, dass das, was ich aus dem Buch erarbeitet habe, meiner persönlichen Meinung widerspricht. Es hat mir nicht gefallen, hat mich nicht angesprochen, dennoch ist es handwerklich hervorragend umgesetzt, vermittelt eine klare und gute Botschaft. Dann wäre es unfair, das Buch abzuwerten. Ich schildere meine Eindrücke also sachlich, ohne meine persönlichen Gedanken einzubringen, lobe die Umsetzung. Wenn mir das Buch gefiel, obwohl es deutliche Schwächen hat, wird es eine eher persönliche Rezension, in der ich meine Eindrücke schildere und begründe, warum einzelne Kritikpunkte für mich nicht weiter ins Gewicht fallen. Optimal ist, wenn meine Meinung und meine Wertung übereinstimmen, dann wird die Rezension sehr emotional, und ich hoffe meine Begeisterung auf den Leser zu übertragen.
Es gibt Ausnahmefälle, in denen es zu Problemen kommt. Dann halte ich Rücksprache mit dem Verlag oder dem Autor. So ist es möglich, dass ich feststelle "nö, überhaupt nicht meine Welt, will ich nicht schreiben". Oder ich entdecke sehr viele Kritikpunkte an dem Buch. Bevor ich es zerreiße, möchte ich den Grund für diese Mängel verstehen und frage nach, oft lag es an einem Missverständnis meinerseits oder an der Unkenntnis der Umstände des Buches (was trotz der Vorabrecherche immer wieder passieren kann). Manchmal lässt sich die Unstimmigkeit nicht beheben, dann wird es eben eine negative Rezension, das ist in Ordnung und gerecht. Zum Glück fällt diese Situation eher selten an, aber wenn, dann ist es manchmal zeitaufwändig und konfliktreich. Dazu kommt, dass es leicht ist, ein Buch einfach mal so zu zerreißen. Wenn man aber in persönlichem Kontakt mit dem Autor steht, sagt man es ihm quasi ins Gesicht - das ist nicht mehr so leicht, das erfordert Selbstbewusstsein, aber auch Fingerspitzengefühl und Kommunikation. Nix mit Anonymität des Internet ;-)
REZENSION
Die Notizen sind nun in Reinform, die Recherche ist abgeschlossen, die Meinung steht. Das Schreiben selbst ist dann nicht mehr allzu viel Arbeit und ist schnell erledigt, ich muss nur noch die Stichpunkte zu verständlichen Sätzen zusammenfassen. Zugegeben, da ich alleine arbeite, fehlt mir oft das Lektorat, eigenen Texten gegenüber ist man blind, und so schleichen sich doch gelegentlich Tippfehler, fehlende Worte oder verdrehte Sätze in meine Rezensionen ein. In manchen Fällen habe ich in Webportalen oder in Communities einen Lektor zur Seite, wofür ich sehr dankbar bin.
NACHARBEIT
Nach dem Schreiben geht es weiter: Die Rezension muss online gestellt werden. Je nachdem, was mit dem Verlag oder Autor vereinbart wurde, entweder nur in meinem Blog oder aber auch auf verschiedenen Plattformen, allen voran natürlich der große Onlinehändler (was ich nicht toll finde, was aber leider die Nr 1 in Sachen Verkauf und Werbung ist). Eventuell muss der Text auch in einem Forum, einem Portal, einer Community eingestellt werden, wo eine spezielle Zielgruppe angesprochen werden soll. Je nachdem, wie die entsprechende Seite aufgebaut ist, kann dies mehr oder weniger aufwändig sein, manchmal ist es lediglich Copy and Paste, manchmal eine umständliche Fitzelarbeit.
Der Verlag und / oder der Autor sollen weiterhin informiert werden, wann und wo die Rezension erscheinen wird. Und wenn ich das letzte Mail an meine Kontaktpersonen gesendet habe, dann kann ich mich zurücklehnen und endlich sagen "geschafft".
ZUM ABSCHLUSS
Wenn es so viel Arbeit macht - und wenn ich außer dem Rezensionsexemplar (und wenn ich privat rezensiere, nicht einmal das) nichts dafür erhalte - warum mache ich mir diesen Aufwand? Ganz einfach: ich halte wenig davon, ein Buch einfach nur zu konsumieren. Dann könnte ich mich ebensogut vor den Fernseher setzen, mein Hirn abschalten und eine Sendung nach der anderen reinpfeifen. Wenn ich lese, dann will ich damit etwas erreichen: Ich liebe Bücher. Aber ich liebe es auch, mich mit deren Inhalten zu befassen. Ich will sie nicht nur konsumieren, sondern ich will sie erleben, erfahren, erspüren, analysieren, verstehen, begreifen, vergleichen, will hinter die Worte blicken.
Ja, es ist ein Hobby. Ja, ich liebe diese Arbeit und gehe darin auf. Dennoch ist es Arbeit. Es mag viele schwarze Schafe geben, und der Ruf des Kritikers war noch niemals besonders angesehen (wie sagte schon Goethe: "Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent!"). Aber vielleicht konnte ich hier wenigstens einmal zeigen, dass es neben schwarzen Schafen, bösartigen Giftmischern und unfairen Neidern auch Kritiker gibt, die auch Arbeit in das Endergebnis investieren ...
SaschaSalamander 30.06.2012, 07.51 | (0/0) Kommentare | PL
Beim ersten Sonnenstrahl 02
Der erste Teil dient vor allem der Einführung der Charaktere, dem zärtlichen Einstieg in die Liebesgeschichte und dem Aufzeigen der Verwicklungen. Im dritten Teil werden alle Fäden zusammenlaufen, es wird vermutlich einen Showdown geben und - das ist gewiss - ein Happy End. Worauf es hier im zweiten Teil nun ankommt ist die Überleitung von einem zum anderen. Hier besteht in der Regel die größte Gefahr, unnötige Längen einzubauen oder vor lauter Action die Charakterentwicklung zu vergessen. Dieser Fehler ist Inka nicht passiert: Sie hat es wieder einmal wunderbar geschafft, die Elemente aus Handlung, Erotik und Charakteren perfekt auszubalancieren. Keine Längen, keine überladene Story, und gleichzeitig wachsen dem Leser die beiden Protagonisten immer mehr ans Herz. Obwohl der zweite Teil etwas länger ist, empfand ich ihn als ungleich kürzer, konnte mich nur schwer von Zahar und David trennen. Der zweite Teil endet wie von der Autorin angekündigt mit einem heftigen Cliffhanger, aber ich muss zugeben, dass mich diesmal nicht sonderlich ärgert. Dafür weiß ich einfach zu gut, dass alles eine glückliche Wende nehmen wird ;-)
Was mir an der Erotik in diesem Buch besonders gefällt, das ist die Sanftheit. Worte wie "knisternd, prickelnd, heiß" und Co wären hier unangebracht. Ja, natürlich ist es leidenschaftlich. Doch was hier überwiegt sind zwei Seelen, die sich gefunden haben. Der Roman vermittelt das Gefühl des Nach-Hause-Kommens, die angenehme Wärme von Vertrauen und Geborgenheit. Statt zu erklären ein kurzes Zitat: "Sie sprachen kein Wort, endlose Minuten lang, sondern hielten sich an den Händen. Zahar kuschelte sich an Davids Schulter und deckte ihn mit einer Schwinge zu."
Der historische Aspekt ist wie schon im ersten Teil sehr gut recherchiert, und scheinbar nebenbei fließen spannende Details ein. Für die Geschichte selbst unwichtig, doch genau das verleiht dem Text Leben und Fülle, lässt das Bild der damaligen Zeit greifbar werden.
Der zweite Teil ist wunderschön. Kein Sektprickeln, kein elektrisches Knistern. David und Zahars Liebe ist eine sinnliche, süße, wärmende Tasse Kakao ...
SaschaSalamander 29.06.2012, 09.20 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL
Kritiker - allseits beliebt
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
über mein Essen zu räsonnieren:
Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, feiner der Wein.
Der Tausendsakerment!
Schlagt ihn tot, den Hund!
Es ist ein Rezensent.
(Goethe)
Keine Lüge ist so frech,
daß ein anonymer Rezensent sie sich nicht erlauben sollte:
er ist ja nicht verantwortlich.
(Arthur Schopenhauer)
Ein Rezensent, siehst du, das ist der Mann,
Der alles weiß, siehst du, und gar nichts kann!
(Ernst von Wildenbruch)
Wer die Kunst heiratet,
bekommt die Kritik zur Schwiegermutter
(Hildegard Knef)
Rezension: eine Art von Kinderkrankheit,
die neugeborene Bücher befällt.
(Georg Christoph Lichtenberg)
Der Rezensent sollte nie krank werden,
denn sein Zustand ist immer ein kritischer.
("Fliegende Blätter")
Ein Rezensent ist ein Mensch,
der zum Essen eingeladen wird
und zum Dank auf den Tisch kotzt.
(Ulrich Erckenbrecht)
Wenn man will, kann man alles verreißen;
wenn man soll, kann man alles bejubeln –
mehr braucht ein Rezensent nicht zu wissen.
(Ulrich Erckenbrecht)
Wie wird man Rezensent?
Indem man beim Lesen pennt!
(Ulrich Erckenbrecht)
SaschaSalamander 28.06.2012, 19.00 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL
Kämpfe für Dein Leben
>Charly Graf< wurde 1951 in Mannheim geboren und wuchs als uneheliches Kind eines US-Soldaten und seiner alleinerziehenden Mutter auf. Von Beginn an war sein Leben geprägt von Ausgrenzung, Gewalterfahrung und Angst, er lernte im wahren Sinne des Wortes "sich durchzuboxen" und auf diese Weise Anerkennung zu gewinnen. Schnell wurde er von profitgierigen Trainern verheizt, rutschte ab in die Kriminalität, rappelte sich wieder auf, stürzte erneut, sein Leben eine einzige Achterbahnfahrt.
>Armin Himmelrath<, Jahrgang 1967, studierte Sozialwissenschaft und Germanistik, arbeitet unter anderem als freier Journalist und erarbeitete nun gemeinsam mit Charly Graf dessen Biographie.
AUFBAU, SPRACHE
Das Buch steigt ein mit einem Ausschnitt aus Grafs aktueller Arbeit mit Kindern, wirft den Leser mitten hinein. Erst danach beginnt die eigentliche Biographie und geht voran bis in die Gegenwart. Ein sehr schöner Rahmen, durch den KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN an Struktur gewinnt und die spannende Frage aufwirkt, welche Schritte ihn von damals bis nach heute führten. Während ich bei Biographien auch schon eine recht chaotische Schilderung erleben musste, ist dieses Buch dagegen klar chronologisch aufgebaut. Durch sein ereignisreiches Leben enthält KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN sogar einen Spannungsbogen, was in diesem Genre ungewöhnlich ist. Wer bisher nichts von Charly Graf wusste, bekommt eine Geschichte geboten, die kein Autor besser hätte erfinden können. Doch auch für Freunde des Boxsports ist das Buch spannend, es bietet Einblicke in die Welt hinter dem Profiboxer, hinter die Kulissen des Sports.
Dem Schreibstil ist leicht zu folgen, Graf und Himmelrath spielen sich gegenseitig gekonnt den Ball zu. Graf erzählt aus seinem Leben, schildert seine Eindrücke und seine Sicht. Himmelrath (seine Texte heben sich kursiv von denen des Boxers ab) schildert dagegen sachlich die offizielle Seite: wie nahmen die Medien diese einzelnen Stationen wahr. Dadurch bildet sich ein interessanter Kontrast aus dem inneren Erleben und der äußeren Darstellung; sehr gut wird deutlich, wie leicht die Presse einen Sportler nach oben pushen, ihn jedoch auch stürzen kann. Es ist bedrückend zu lesen, wiesehr diese Berichterstattung Graf bedrückte, seinen Lebensweg dadurch auch beeinflusste.
Obgleich Himmelrath Graf unter die Arme griff, mit ihm bzw für ihn schrieb, ist dennoch ein deutlicher Unterschied zwischen der Ich-Erzählung des Boxers und der Schilderung des Journalisten zu erkennen. Grafs Anteil enthält eine deutlich einfachere Sprache, kommt ohne Fachbegriffe aus (erfreulicherweise auch ohne Fachbegriffe des Boxsports, was für Leser wie mich ideal ist), driftet niemals ins Umgangssprachliche, lässt aber dennoch seinen eigenen Stil erkennen.
CHARLY GRAFS LEBEN
Graf berichtet schnörkellos und direkt. Er beschönigt nichts, er verlangt kein Mitleid, kein Verständnis. Er entschuldigt sich auch nicht, schreibt ohne Reue. Sondern er nimmt die Dinge so an, wie sie waren. Er kommt aus der untersten Gesellschaftsschicht, erlebte Diskriminierung, Ausgrenzung. Er klagt niemanden an, obwohl er allen Grund dazu hätte. Die Frankfurter Rundschau schrieb 1971 von seinem "gefährlichen Hang zum Halbwelt-Milieu" und seiner "Trainingsfaulheit", rückblickend meint Graf "damals fand ich, dass die Einschätzung eine bodenlose Frechheit war. Heute weiß ich, da war was Wahres dran".
Bewegt hat mich insbesondere, wie er ohne Scham von seinen Ängsten berichtet. Er wurde von den Liebhabern seiner Mutter geschlagen, einmal sogar hatte er solche Angst vor ihrem Geliebten, dass er die Mutter und den ihm fremden Mann nicht in die Wohnung ließ. Seine Mutter drohte ihm an, dass sie sich unter den Zug legen würde, wenn er die Tür nicht öffnete. Dann ging sie und kam nicht wieder, er suchte sie stundenlang an den Gleisen, bis sie später erst nach Hause kam. Eine kleine Episode, die keiner weiteren Worte bedarf und nichts rechtfertigt, nichts entschuldigt aber Vieles erklärt.
ACHTERBAHN
Geschlagen von den Liebhabern der Mutter, verheizt von egoistischen Trainern, Anerkennung erlebt im Rotlichtmilieu, musste er ins Gefängnis. Nachdem er eine Meuterei anzettelte, wurde er nach Stammheim verlegt, ein Hochsicherheitsgefängnis, wo auch der RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock inhaftiert war. Zwei Menschen, so verschieden wie zwei Menschen nur sein können. Graf trainiert Boocks Körper, und Boock gelingt, was kein Sozialarbeiter bisher vermochte: er zeigt ihm auf, wie wichtig es ist, nicht den Körper sondern auch den Geist zu trainieren. Bildung ist wahre Freiheit, und so beginnt der Boxer zu lesen, von Dostojewski über Faulkner und Hesse.
Doch der Stempel leuchtet auf seiner Stirn: Neger, uneheliches Kind, Benz-Baracken, Zuhälter, Krimineller, Unterschichtler. Es ist faszinierend, auf welch unrechte aber dennoch clevere Weise er dagegen ankämpfte, sich die Möglichkeit erschlicht, aus dem Gefängnis heraus zu trainieren und dann sogar einen Boxkampf zu initiieren. Ein Ding der Unmöglichkeit, doch es gelang ihm, und sosehr ich den Kopf schüttle über die Unverfrorenheit und die Lüge, sosehr bewundere ich insgeheim den Wagemut und die Dreistigkeit dieses Unterfangens. Es ist teilweise absurd zu lesen, mit welchen Mitteln er die Zeit im Gefängnis verbrachte, wie er Dinge zu seinem VOrteil drehte und andere für sich arbeiten ließ. Da wird ein Bordell schnell mal als Hotel deklariert, und ein Inhaftierter sitzt an der Seite des Gefängnisdirektors und trifft Entscheidungen über andere Mitgefangene. Wäre es ein Roman, so würde man ihn abstrafen als unrealistisch, an den Haaren herbeigezogen und völlig hanebüchen, doch was Graf schreibt, ist wahr, und es ist kaum zu glauben.
ARBEIT MIT KINDERN
Charly Graf ist auf jeden Fall ein Sympathieträger, und dieses Charisma ist im Buch deutlich zu spüren. Indem er sich selbst nicht schont, kommt er an Kinder heran, die von Lehrern und Sozialpädagogen bereits aufgegeben wurden. Er versteht die Ängste der Kinder, wie es andere Erwachsene nicht können. Sie fassen vertrauen zu dem Mann, der ohne Scham von seiner eigenen Angst erzählt und davon, dass Gewalt und Kriminalität lediglich Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit darstellen. In der Talkshow des NDR sagt er "Aggressivität kommt von Lebensängsten". Um die Aggressivität abzubauen hilft also nicht die "Sozialpädagogenscheiße" (wie er es drastisch in seinem Buch formuliert, was mich schmunzeln ließ. So ungern ich es zugebe, aber als Sozialpädagoge muss ich ihm dennoch zustimmen), sondern die Bewältigung dieser Ängste. Sein Boxtraining ist mehr als nur ein schlagender Sport, es ist ein Wegweiser zu selbstbestimmtem Denken und Handeln, zu einem Leben in Freiheit ohne Angst.
Wäre KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ein Roman, so müsste ich ihm bescheinigen, dass dem Autor eine herausragende Charakterentwicklung voller Intensität und Komplexität gelungen ist. Da es eine Biographie ist, neige ich mein Haupt vor Charly Graf und zolle ihm meinen Respekt. Einmal dafür, wie er vom kriminellen Underdog den Schritt in ein neues Leben wagte, das dennoch geprägt ist von Enttäuschung, Einsamkeit und Armut, aber erfüllt von Stolz und Selbstbewusstsein. Aber vor allem dafür, dass er diese Erfahrungen nun weitergibt an Kinder, die in ihm ein Vorbild sehen. An Kinder, die durch ihn nun eine neue Chance bekommen.
Graf erzählt in knappen Sätzen von einzelnen Kindern, deren Lebenslauf schrecklich ist. "Es gibt Biographien, da habe ich keine Antwort". Wenn auch nur einem dieser Kinder geholfen werden kann, hat er ein Wunder gewirkt, und einige Male ist es ihm bereits gelungen.
FAZIT
KÄMPFE FÜR DEIN LEBEN ist ein Buch, das jeder Leser anders wahrnehmen wird. Biographie eines Sportlers. Das Märchen vom Underdog zum Helden. Die Zeit in Stammheim und die Begegnung mit Broock. Die Kriminalität im Rotlichtmilieu und der Ausstieg aus der Szene. Oder einfach nur ein packender Lebenslauf. Doch egal, aus welchem Grund man das Buch liest - es lässt niemanden kalt.
SaschaSalamander 28.06.2012, 09.09 | (0/0) Kommentare | PL
Mr Gum und der fettige Ingo
Dies ist die Geschichte von der Schlacht zu Bad Lamonisch an der Bibber bzw von den Essenszeit-Kriegen, als die sie auch bekannt wurde, bzw Ghostbuster III, als die sie nicht bekannt wurde.
Letzter Satz:
Ich hab diesen Affen noch nie leiden können.
Aus: Andy Stanton / David Tazzyman: Mr Gum und der fettige Ingo; Sauerländer 2012
SaschaSalamander 27.06.2012, 18.14 | (0/0) Kommentare | PL
Klassentreffen
Die Geschichte ist knapp und direkt, im Präsens und der ersten Person geschrieben. Mit der Inhaltsangabe ist im Grunde schon alles erzählt, die Handlung wird in sinnliche Worte verpackt und bereitet ein kurzes aber durchaus lustvolles Vergnügen. Was mir besonders gefiel war das Outing vor den Klassenkameraden. Klar hatte man das ausbauen können, aber darum ging es eigentlich nicht, und mir genügte allein der Gedanke, ich konnte mir die Reaktionen voller Möchtegern-Toleranz (Zitat Christoph) sehr gut vorstellen.
Glatt, vorhersehbar, romantisch und ohne Verwicklungen, einfach eine perfekte kleine Wohlfühlstory :-)
Wertung: 8,5 von 10 heimliche Jugendlieben
SaschaSalamander 27.06.2012, 12.53 | (0/0) Kommentare | PL
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