SaschaSalamander

Blogeinträge (Tag-sortiert)

Tag: Erfahrungen

Frauenknast

FRAUENKNAST von Karlheinz Keppler ist (mal wieder) ein Buch, in welchem ein Fachmann auspackt und aus dem Nähkästchen plaudert. Nachdem Joe Bausch mit seinem Titel >KNAST< recht erfolgreich war, bot es sich an: Frauenknast ist einfach was Anderes als bei den Kerlen, also braucht es auch hier ein Buch. Billige Kopie oder eigenständiges Werk? Ich war neugierig, und hier meine Gedanken zu dem Buch:

Keppler gliedert sein Buch in die Kapitel "in Haft" (allgemeine Themen rund um die Inhaftierung von Frauen), "Haft - nicht mit mir" (Flucht, Betrügerinnen, Haftunfähigkeit), "Medizin" (Bodypacks, Humor auf der Krankenabteilung, wahre und simulierte Krankheiten, Gynäkologie, Sexualität), Drogen (Schmuggel, Konsum, Gesetz) und "die andere Seite" (Mitarbeiter, Ehrenamtliche, Öffentlichkeitsarbeit). Im Epilog ein paar Graffitis mit nachdenklichen / witzigen / frivolen Texten, ein paar Nachworte, Dankesreden. Eine Literaturliste fehlt, Keppler beruft sich einzig auf seine Erfahrung, Fremdliteratur wurde nicht eingebunden.
...weiterlesen

SaschaSalamander 01.12.2014, 08.51 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Und dann kauf ich mir eine Vespa

Wenn schon mein eigener Traum wortwörtlich ins Wasser gefallen ist (vorerst), will ich wenigstens beim Lesen weiterträumen. UND DANN KAUFE ICH MIR EINE VESPA UND FAHRE DAMIT NACH ITALIEN. Ein Buch mit diesem Titel hat gar keine andere Wahl als in meinem Regal zu landen. Erst recht, wenn der Autor das mit einer 125er LX bewältigt hat. Also habe ich zwischen einigen kleineren Touren während meines Urlaubs das Buch von der großen Tour gesen ... 

Der Autor Pivo Deinert ist Musiker. Allerdings steht in seiner Biographie des Buches nicht bei welcher Band, auch konnte ich im Web nichts Konkretes finden. Mit Schriftstellerei selbst hat er wenig am Hut, die Veröffentlichung des Buches war wohl für ihn eher ein Traum, ähnlich der Tour nach Italien. 

Dem Titel nach erwartete ich, dass das Buch ausschließlich seine Planung und Durchführung der Tour beinhaltet, auch das Cover lässt daran schließen. An der Biographie eines Musikers, den ich nicht kenne, hatte ich wenig Interesse. Leider war das jedoch ein großer Teil des Buches. So schreibt der Autor etwa, wie er eben das Stifler Joch erklommen hat, die Landschaft ist atemberaubend. Zack, Break, und dann erzählt er von seiner Arbeit mit Take That. Nichts gegen Take That und die Tatsache, dass der Autor Musiker ist, aber welchen Zusammenhang haben Take That und der unter Mühen erfolgreich erklommene Pass? Solche Momente gibt es sehr viele, sie reißen den Leser immer wieder aus dem Urlaubsfeeling, zerstören die Stimmung. 

Die Schilderung der Planung und der Tour selbst, hm. Ich bewerte ungern Bücher, welche die persönlichen Eindrücke und Erfahrungen einer Person schildern. Es ist eben immer eine Schilderung aus Sicht der Person, die es verfasst hat. Kritik am Werk ist somit Kritik an der Sichtweise und dem Empfinden des Autors, und das liegt mir fern. Dennoch möchte ich erklären, warum mich persönlich das Buch leider überhaupt nicht berührte und ich meinen Traum mit Pivo nicht teilen konnte:

Er geht stellenweise sehr naiv an die Sache heran, das finde ich sympathisch, weil es mir zeigt, dass auch Leute wie ich, ohne Schrauberkenntnis, ohne langjährige Tourenerfahrung, ohne große Maschine und ohne einen Funken von Fachkenntnis dennoch in der Lage sind, ihre Träume zu verwirklichen. Trotzdem fand ich diese extreme Naivität teilweise dann doch sehr anstrengend (was bei mir als Noob wirklich etwas heißen will) ... 

Seine Sprache erzeugt in mir keinerlei Bilder im Kopf. Er beschreibt grandiose, erhabene Momente. Das klingt etwa so: "Es war atemberaubend. Die Landschaft war toll. Ich war ergriffen". Kurze Sätze ohne jegliches sprachliche Feingefühl, die leider beim Leser nicht das Gefühl erwecken können, er wäre selbst dabei gewesen. Dazu streut er weltmännisch immer wieder kleine italienische Sätze und Worte ein, was möglicherweise Urlaubsflair vermitteln soll, aber eigentlich nur wirkt wie ein Tourist, der stolz seine mühsam erworbenen Sprachkenntnisse vor Ort präsentieren möchte. 

Von 140 Seiten kann man etwa 60 Seiten für Musik, Biografie, Grafik, Fotos abziehen, bleiben rund 80 Seiten, von denen ein Großteil dann Vorbereitung, Familienurlaub und Nachwort beinhalten. Macht 15 Euro für das sowieso schön dünne Büchlein ... 

Er schreibt zudem von sehr vielen Belanglosigkeiten, während der eigentliche Tourbericht ziemlich auf der Strecke bleibt. So beschreibt er wörtlich einen Dialog an der Tankstelle, aber was eine Tour (meiner Ansicht nach) ausmacht, ist ihm jeweils nur eine Randnotiz. Die Landschaft, das Gefühl auf der Straße, die Pausen, der Genuss. Mehrere Male erwähnt er "ich bin ein schlechter Langstreckenfahrer". Ich definiere das für mich aus dem, was ich von ihm gelesen habe so: er schrubbt zuviele Kilometer, isst zu wenig (was für mich heißt, dass er auch zu wenige Rastpausen eingelegt hat, sonst hätte er wenigstens eine Kleinigkeit gegessen). Und wie er auf der Tour seine Kilometer geschrubbt hat, so hat er auch das Buch verfasst: voller Begeisterung, aber sehr knapp, ohne große Umwege, mit wenig Vorbereitung, ohne fremde Hilfe und mit einer ordentlichen Portion Naivität. 

Er selbst wirkt sehr sympathisch, und den Menschen hinter dem Buch hätte ich gerne kennengelernt. Nicht als Autor, sondern als Kumpel. Mir gefällt, wie er seinen Plan umgesetzt hat, sich selbst motivierte, gegen die Unkenrufe der anderen trotzdem sein Ding durchzog, und wie er nach Erfüllung des Traumes bereits das nächste Ziel steckt. Seine Lässigkeit ist ansteckend, tut gut. 

Gerne wäre ich mit ihm gefahren, hätte ihn auf seiner Tour begleitet. Ich liebe Reiseberichte, und von Tourenberichten auf der Vespa kann ich nicht genug kriegen! Aber er hat mich immer wieder vom Sattel geworfen, wollte mich nicht als Sozius bei sich haben. Er hat sein Buch eindeutig als Erinnerung geschrieben. für seine Familie, Freunde und Fans ist es ein tolles Werk voller Urlaubsfeeling, Einblicke in seine Denkweise. Für Fremde, die einen spannenden Reisebericht mit der Vespa in deren Heimatland erwarten, ist es leider eine Enttäuschung, denn auf die Bedürfnisse fremder Leser geht der Autor nicht ein. 

Sehr, sehr schade :(




SaschaSalamander 23.07.2014, 09.07 | (3/3) Kommentare (RSS) | PL

Mami, ist das vegan

Jumana Mattukat wird vegan. Aber da sind noch Mann, zwei Kinder und ein Haustier. Nun steht sie vor der Frage, wie weit sie ihre Überzeugung auslebt. Sie möchte auch für die Kinder nur das beste, aber ist es sinnvoll, Kinder auf vegane Ernährung umzustellen? Und wird es ihnen schmecken? Was, wenn der Ehemann weiterhin Fleisch essen möchte? Was ist mit dem Fleisch für die Katze? Wie geht sie damit um, wenn sie bei ihrer Mutter eingeladen ist und diese voller Stolz das bisher so geliebte Lamm serviert? Wie soll sie es den Freunden aus der Kochgruppe sagen, ohne diese vor den Kopf zu stoßen?

Das Buch der Journalistin Mattukat ist kein Roman mit fortlaufender Handlung, auch kein Sachbuch mit exakten Angaben zur veganen Ernährung. Ebenso ist es kein Kochbuch, sondern es sind gesammelte Erfahrungen einer Mutter und ihre ersten Gehversuche als Veganerin inmitten von Fleischessern, am Ende mit ein paar Rezepten ergänzt. 

Rezepte: Manchen Kritiken im Netz entnehme ich, dass die Leute gerne ausgefallenere Rezepte gehabt hätten. Finde ich nicht, denn gerade hier gefällt mir, dass es nicht raffiniert, kompliziert oder aufwändig ist, sondern perfekt in den Alltag einer berufstätigen Frau mit Kindern integrierbar. Lecker, simpel und ohne dafür teure Zutaten kaufen zu müssen. Schlicht, sodass man es problemlos für den Mann mit etwas Speck aufwerten kann, der Tochter ein paar Käsewürfel dazugibt und für den Sohn alles mit pflanzlicher Milch bereitet. Gerade so simple Rezepte wie Gemüsebrühe mit Karotten und Nudeln zeigen, dass Kinder oft die einfachen Dinge lieben. Ich finde es toll, dass die Autorin den Mut hat, keine Hochglanzkreationen zu präsentieren sondern ihren Alltag. Ideal zum Nachkochen, auch ohne teure Zutaten und stundenlangen Aufwand. 

Infopart: Für meinen Geschmack erzählt sie zwischendurch etwas zuviel vom Leid der Tiere. Mich interessieren eher die Erfahrungen mit der Umwelt und ihre Gedanken zu den Problemen des Alltags. Die ethischen Gründe sind mir bekannt, dafür las ich Grabolle, Foer, Kaplan, Sezgin, Singer, Joy und Co. Ich empfinde so etwas immer als Keule, die man den Leuten nicht reindrücken muss, aber das ist Ansichtssache. Außerdem sind in dem Buch ihre Erfahrungen. Sie hat während des Schreibens neue Dinge gelernt über Tierhaltung, und sie muss sich manches auch immer wieder ins Gedächtnis rufen, um ihren Standpunkt zu vertiefen. Denn noch ist ihr Weg nicht gefestigt, noch hat sie sich nicht mit allen Punkten befasst. Daher sind die ethischen Aspekte ein notwendiger Teil im Buch, weil es ihren veganen Werdegang spiegelt. 

Ich finde, gerade als Einsteiger kann man sich sehr gut darin wiederfinden. Vegan zu werden funktioniert selten über Nacht. Meist fängt man damit an, die Ernährung schrittweise umzustellen. Dann ist man plötzlich vegan. Bis man plötzlich merkt "oh, Wein etwa auch?" und "was soll an Honig schlimm sein". Obwohl man sich also bereits als vegan bezeichnet, kommen nach und nach immer mehr Themen dazu, wird man quasi von Monat zu Monat ein Stückchen mehr vegan und erfährt immer mehr darüber ... und muss immer wieder neu für sich überlegen, wo man die Grenze zieht. Wenn man sich damit befasst, entdeckt man Bereiche, mit denen man niemals im Leben gerechnet hätte. 

Mir gefällt, wie die Autorin diese Dinge angeht. Sie nimmt die Probleme ernst, verrennt sich aber nicht plötzlich in irgend etwas. Sie respektiert die Einstellung ihrer Umwelt, möchte nicht missionieren aber trotzdem selbstbewusst den nun gewählten Weg gehen. Ein schöner Mittelweg aus Konsequenz und Kompromiss. 

Zielgruppe? Hm, ich denke die Zielgruppe ist bei diesem Buch breit. Natürlich sollte man der veganen Ernährung gegenüber zu einem gewissen Grad aufgeschlossen gegenüberstehen. Für Interessierte ist es schön zu sehen, dass es nicht so verbissen ist und ein schrittweiser Prozess beginnt. Es dürfte vielen Omnis die Angst vor der pflanzlichen Ernährung nehmen. Frisch gebackene Veganer fühlen sich bestärkt in ihren Erfahrungen, weil sie vor den gleichen Fragen und Problemen stehen und sehen, wie ein anderer mit diesen Dingen umgeht. Und wer schon lange tierfrei lebt, der sollte sich gerade solche Einsteigerbücher durchlesen, finde ich. Denn manche Hardcore-Veggis vergessen vor lauter Enthusiasmus manchmal, dass es außer ihrem Standpunkt auch noch den von Toleranz geprägten Lebensstil gibt, der gelegentlich auch Ausnahmen zulässt, um nicht neues Leid in Form von Moralkeule und Abschreckung zu erschaffen ... 

Kurzweilig, unterhaltsam, und doch informativ. Es tut gut, seine Erfahrungen auf diese Weise zu teilen. Danke, Frau Mattukat, dass Sie uns daran teilhaben lassen :-)

SaschaSalamander 30.06.2014, 08.41 | (0/0) Kommentare | PL

Anständig essen

Karen Duve hat vor einiger Zeit einen Selbstversuch gestartet. Angeregt durch eine Freundin begann sie sich damit zu befassen, wie man sich im ethischen Sinne "anständig" ernähren kann. Dafür hat sie angefangen mit Bio, ist über das Vegetarische zum Veganen, und am Ende testet sie die frugane Ernährung. Welche Erfahrungen sie dabei gemacht hat, wie es ihr ging, was sie dabei herausfand, das teilt sie in ihrem Buch. 

Während viele Sachbücher mit trockenen Fakten daherkommen und die Gewalt an Tieren möglichst blutig und brutal darstellen um zu schockieren, geht Duve das Thema erfrischend menschlich an. Sie liebt ihre Hähnchenpfanne, möchte ungern verzichten, und ohne Cola geht erstmal gar nichts. Als sie allerdings immer mehr "hinter die Kulissen" blickt und sich mit dem Thema der Fleischproduktion und Tierhaltung befasst, wird ihr so einiges klar. Und auch die geliebte Cola schmeckt plötzlich nicht mehr ... 

Während sie immer mehr erfährt, geht viel in ihr vor, es macht sie wütend, sie tritt vor Frust auch mal gegen den Kühlschrank oder redet ihrer vegetarischen Freundin ein schlechtes Gewissen ein, einfach um sich selbst besser zu fühlen. Sie verhält sich nicht immer fair und korrekt. Auch ihre Art der Umstellung und die Wegwerfmentalität stoßen mir gelegentlich auf. Das ist nicht okay, aber wie gesagt absolut menschlich, und gerade das macht das Buch sympathisch. Es zeigt, dass Biokäufer, Vegetarier, Veganer oder Fruganer keine "besseren Menschen" sind und mit ihren eigenen Schwächen ebenso zu kämpfen haben wie Fleischesser. 

Sie geht auch auf ihren Alltag ein. Auf den kranken Hund, auf ihr Maultier, die Hühner, die Katzen, auf ihre Tätigkeit als Autorin. Durch den Vergleich der Käfighühner zu ihrem Haustier-Huhn wird manches wesentlich drastischer, als Zahlen oder Fakten es darstellen könnten. Auch die Gegenüberstellung von Nutztier und Haustier wird sehr deutlich gezeichnet, ohne dass die Autorin es wörtlich ansprechen muss. 

Auf viele Aspekte geht sie nicht ein, zum Beispiel wie ihr Ernährungsplan konkret aussieht oder gar einzelne Rezepte. Auch Dinge wie Klima, Plastik, Regionalität, Nahrungsergänzung und Nährstoffe werden nicht näher behandelt. Das ist okay, denn es ist wie gesagt ein Buch über ihre persönlichen Erfahrungen. Jeder macht seine eigenen Erfahrungen und legt Wert auf andere Aspekte, daher finde ich das absolut okay, mir haben diese Punkte im Buch nicht gefehlt. Wer konkrete Informationen will, sollte besser zu einem Sachbuch greifen.

Sehr schön finde ich im Gegenzug, was hier beschrieben wird und andere Bücher nie beschreiben: den Prozess des inneren Wandels. Fleischesser werden nachvollziehen können, was in ihr vorging und vielleicht sogar angeregt, selbst etwas zu ändern. Pflanzenköstler gleichwelcher Coleur werden sich in diesem Prozess wiederfinden: Die Wut darüber, dass solche Methoden erlaubt und zulässig sind. Das plötzlich Sich-Selbst-Infrage-Stellen, die Mischung aus Scham, Wut, Hilflosigkeit, teilweise auch Verleugnung und Nicht-Wahrhaben-Wollen. 

Wie kann etwas, das so lecker schmeckt, so falsch sein? Warum erzählt man überall, wie notwendig Milch ist, wenn doch Länder ohne Milchkonsum weniger Osteoporose haben und trotzdem nicht an Calciummangel leiden? Warum ist es zulässig, dass selbst bei Bioproduktion noch immer an die fünf Hühner auf einer hasenstallgroßen Fläche sich gegenseitig qualvoll mit ihren gekürzten Schnäbel blutig hacken und kein Gefieder mehr tragen? Kann all das, was man jahrzehntelang verinnerlicht hat, wirklich so falsch sein? Oder biegen Veganer sich ihre Argumente nur zurecht?

In ihrem Stil ist die Autorin sehr direkt, schreibt was Ihr durch den Kopf geht, der ihr eigene Humor über die Tücken des Alltags kommt auch in diesem Buch zur Geltung, macht das an sich ernste Thema etwas erträglicher, ohne es dabei abzuschwächen. 

Es ist eines der Bücher, die man sehr gut empfehlen kann. Ein zweites Mal lesen werde ich es nicht, es war unterhaltsam, auch weil es mal die emotionale Seite der Umstellung zeigt statt nur die Fakten. Trotzdem werde ich das Buch behalten, auch um es an Freunde zu leihen. Denn was die Autorin schreibt, ist wichtig. ANSTÄNDIG ESSEN ist ein Titel, der den Leser wirklich "dort abholt, wo er steht", und das halte ich bei diesem Thema sehr wichtig. Jeder kann sich darin wiederfinden, ob Fleischesser oder Pflanzenköstler, und die Identifikation mit der Autorin ist hoch, sodass beim Lesen zwangsläufig das eigene Hinterfragen beginnt. 

Absoluter Tip für alle, die zwar wissen, dass Strom nicht aus der Steckdose kommt, aber immer noch glauben, dass Kühe vom Biohof glücklich auf der Weide grasen ... 


SaschaSalamander 08.04.2014, 08.44 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL

Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey

Der Titel "SCHANTALL, TU MA DIE OMMA WINKEN" klang vielversprechend, hatte mich jedoch immens enttäuscht. Weil es so dargestellt wurde, als würde ein Sozialarbeiter aus seinem Alltag mit einer Familie erzählen. De facto handelte es sich dann aber um fiktive Situationen, in denen abgelästert wurde und die mit sozialer Arbeit null und nada zu tun haben. Ich fühlte mich ziemlich, pardon, verarscht. 

"Die Schackeline ist voll hochbegabt, ey" springt mit Titel, Inhalt und leider auch Cover genau in diese Bresche. Ich war also einerseits neugierig ("vielleicht taugt es ja doch was") und andererseits extrem vorsichtig, um eine weitere Enttäuschung zu vermeiden. Dank Leseprobe bei Skoobe konnte ich einen Blick in das Buch werfen, und mir war schnell klar: hier würde ich das bekommen, was Schantall versprochen aber nicht gehalten hatte: Erfahrungen einer Fachfrau, die ihren skurillen Alltag für den Leser einfängt. 

Die Autorin ist psychologische Gutachterin beim Jugendamt. Ihre Aufgabe ist es, die Familie im Umgang mit den Kindern zu beobachten, auch Gespräche zu führen und dann eine Stellungnahme vor Gericht abzugeben, ob eine Kindswohlgefährdung vorliegt. Dabei erlebt sie traurige, humorvolle, absonderliche, völlig abgefahrene und auch höchst tragische Momente. 

Ich kann mir vorstellen, dass so manch einer, der mit der Materie nicht vertraut ist, das für erfunden hält. Wenn sie die hygienischen Zustände in der Obdachlosenwohnung beschreibt, die unwirkliche Gesprächsführung mit manchen der "normalen" Kommunikation nicht fähigen Menschen schildert, die verqueren Argumentationen einiger Familien widergibt. Aber da ich selbst viel mit diesen Dingen konfrontiert werde, kann ich aus vollem Herzen sagen: "oooh ja, genau SO ist es manchmal". 

Natürlich werden nur die extrem Fälle herangezogen, sonst wäre ein Buch ja nicht lohnenswert. Es gibt sie, die gesunden und normalen Familien, wo alles glatt läuft. Aber viel spannender ist es, was Frau Seeberg sonst zu erzählen hat. Etwa von dem Vater, der völlig hilflos außer "wie fühlst Du Dich" nichts hervorbringt, während seine Kinder ihn mit Tritten traktieren, die Bude zerlegen und Sachen aus dem Fenster werfen. Oder der Mann, der von seiner Mutter bevormundet wird wie ein kleines Kind und alleine nicht in der Lage ist, sich um den eigenen Nachwuchs zu kümmern. 

Es gibt Geschichten, die auch traurig sind und zu Tränen rühren. So etwa die beiden Geschwister, eines davon minderjährig. Sie wuchsen in völlig gesunden Verhältnissen auf, doch als die Mutter verstirbt, verlangt der Vater das Sorgerecht. Das Kind will auf keinen Fall zum Vater, doch Unsympathie und Arroganz ist kein Argument für eine Kindswohlgefährdung, und allem Widerwillen des Kindes zum Trotz scheint es keine andere rechtliche Lösung zu geben. Und dann war da der Fall des Mannes, der Frau und Kind bedroht, jedoch auf eine solch perfide Weise, dass ihm nichts nachzuweisen ist und er mit seinen fiesen Intrigen das Sorgerecht womöglich an sich reißen wird. 

Gelegentlich geht sie auch mit Kollegen bitterböse ins Gericht, etwa wenn das Jugendamt einen tragischen Fehler begangen hat und dadurch das Leben zweier Familien zerstörte. Dieser Fall ging mir persönlich besonders nahe, und ich fand es wunderschön, wie am Ende doch eine Lösung gefunden werden konnte, um allen Parteien gerecht zu werden und trotz der Streitigkeiten vieler Parteien das Wohl des Kindes zu wahren. 

Ich habe bei jedem der Fälle mitgebangt, mitgelacht, war verzweifelt, traurig, wütend. Es gelingt der Autorin, den Leser zu bewegen und tief in die Geschichten einzutauchen. Ihr Stil zeigt, dass sie Fachkenntnis besitzt, jedoch wird der Leser nicht mit Fachausdrücken oder langweiligen Erklärungen erschlagen. Statt dessen erklärt sie wie nebenbei manche der Zusammenhänge. Und würzt ihre Erlebnisse mit einem trockenen Humor, der manchem Außenstehenden unpassend erscheinen mag. Doch in ihrem Vorwort erklärt sie bereits, dass dieser Humor notwendig ist, um einen solch belastenden Job weiterhin auszuführen. Ich habe oft gelacht, die Metaphern sind teilweise sehr treffend und unterstreichen die Absurdität der jeweiligen Situation. Auch der an manchen Punkten knochentrockene beschreibende Ton, wenn um sie herum gerade das Chaos tobt, ist köstlich. Ohne diesen manchmal sehr eigenwilligen Humor wäre das Buch so wohl nicht zu ertragen, wäre es zu heftig in den Fallschilderungen.

Schön finde ich auch, wie sie im Anschluss oft darauf eingeht, wie die Geschichte sich im späteren Verlauf entwickelt hat. Was aus den Kindern wurde, wie man den Eltern unter die Arme gegriffen hat. Und meistens haben die Geschichten ein Happy End. 

DIE SCHAKKELINE IST VOLL HOCHBEGABT, EY hält das, was SCHANTALL verspricht. Ich habe das Buch von Frau Seeberg schon vielen Kollegen empfohlen, weil es einfach ein Buch direkt aus dem Leben, aus dem Berufsalltag ist und sich dabei sehr gut lesen lässt. Unterhaltsam, schockierend, bewegend und wirklich gelungen.

SaschaSalamander 12.03.2014, 08.42 | (0/0) Kommentare | PL

Kleine Veganer-Bibel

Ein Buch, das mich doch recht interessierte. Wobei das Wort "Bibel" mich ziemlich abschreckte und offen gesagt auch störte, denn es ist ein anmaßendes Wort. Erst recht, wenn das Buch von einer Frau geschrieben ist, die selbst keine Veganerin ist. Aber wortwörtlich, man soll das Buch nicht nach dem Umschlag (bzw Titel) beurteilen sondern nach dem Inhalt. Und der sah interessant aus. 

Die Autorin ist Ökotrophologin und Vegetariern und möchte ihre Gedanken und Erfahrungen zum Thema Veganismus mit den Lesern teilen. Es ist kein Koch- und Backbuch, auch kein Plädoyer für reinen Veganismus, sondern einfach die neugierige Auseinandersetzung mit dem Thema, teils sachlich und fundiert, teils narrativ. Schon deswegen ist der Titel leider völlig daneben, nur um es nochmals erwähnt zu haben *g*.

Die Zielgruppe ist mir stellenweise nicht ganz klar. Für Veganer jedenfalls erachte ich es als zu simpel, da alles schon bekannt ist. Ich denke, es richtet sich einfach an Menschen, die entweder einfach neugierig sind, was die Veganer so treiben, oder aber an Menschen, die selbst überlegen, eventuell vegan zu werden aber noch nicht wissen, wo und wie sie ansetzen sollen. Diese Leser finden hier interessante Gedanken über den Umstieg, über die Gründe für das Vegansein und die Probleme wie auch Vorteile, die es im Alltag mit sich bringt. 

Die Autorin plaudert recht viel, erzählt wie sie eigene Erfahrungen sammelt, was sie erlebt, wie sie mit verschiedenen Personen spricht (die Interviews sind nicht in Interview-, sondern in Textform niedergeschrieben). 

Sehr schön finde ich, dass Schocke weder die eine noch die andere Seite in einem schlechten Licht dastehen lässt. Sie betrachtet sehr aufgeschlossen die Fakten, Möglichkeiten und wägt Argumente ab. Es ist eine reflektierte Auseinandersetzung mit einem Thema, das immer mehr Trend wird und auf beiden Seiten für viel Zündstoff sorgt. Da ist es eine angenehme Abwechslung, einmal eine aufgeschlossene Meinung zu lesen, die nicht nur Phrasen betet sondern bewusst hinterfragt, ohne dabei in irgendein Extrem zu verfallen.

Die Rezepte finde ich eine nette Idee, kann offen gesagt aber wenig damit anfangen. Was mich nervt und verschreckt sind Rezepte, die enorm viele Zutaten beinhalten und für die ich erst einmal recherchieren muss, wo man das kauft. Wenn ich für mich selbst etwas erfahren habe, dann dass Veganismus mit sehr einfachen Mitteln umgesetzt werden kann und man dafür nicht tonnenweise fremdartige Sachen kaufen muss. Außerdem ist es sinnlos, wenn zu Hause dann viele Dinge herumstehen, die man nur für ein einziges Rezept braucht und ansonsten mangels Erfahrung dafür keine Verwendung findet.

Eines der Rezepte interessierte mich, der vegane Kaiserschmarrn. Ausprobiert und mit der Konsistenz nicht so ganz zufrieden. Bei meiner späteren Suche im Web fand ich Rezepte hierfür, die wesentlich weniger Zutaten enthielten, einfacher nachzubereiten waren und besser gelangen. Trotzdem, der Gedanke ist nett, und vielleicht gibt es ja auch Leser, die all diese Zutaten als Nichtveganer bereits zu Hause haben oder das Glück haben, in der näheren Umgebung über einen veganen Supermarkt zu verfügen, wo das alles erhältlich ist.

Insgesamt fand ich das Buch jedoch sehr nett zu lesen. Die Gedankengänge sind sympathisch, der Schreibstil ist flüssig, und die Auseinandersetzung mit dem Thema ist zwar nicht extrem tiefgreifend, erreicht dadurch aber vielleicht eine Zielgruppe, die sich sonst nicht unbedingt damit auseinandersetzen würde. 

Wertung: 6,8 von 10 Filo-Platten

SaschaSalamander 04.02.2014, 08.45 | (0/0) Kommentare | PL

Milliarden-Mike

wappler_mike_1_1.jpgAUTOREN

Mike Wappler ist inzwischen 57. Er ist Betrüger und Hochstapler, und kein kleiner: rund 20 Jahre seines Lebens hat er hinter Gittern verbracht, unter anderem in der berühmten JVA Fuhlsbüttel (Santa Fu). Angedacht war ursprünglich eine Sicherheitsverwahrung, doch kurz zuvor entzog er sich durch Flucht, gerade während der Diskussionen um Neuregelung der SV. Er kann zwar nicht lesen oder schreiben, doch bereits als Kind bekam er Einblick in das Milieu, lernte andere Menschen mit Worten und Lügen (die er selbst als "Geschichtenerzählen" bezeichnet) zu betrügen (er würde sagen "Maß nehmen").

Der Journalist Tim Gutke hat mit ihm nun das Buch MILLIARDEN-MIKE veröffentlicht, in dem er seine Geschichte erzählt. Und es haben sich wohl zwei gefunden, die prima zusammenarbeiten: hier hat man das Gefühl, dass der Journalist die Worte des Betrügers gekonnt umgesetzt hat, sie perfekt in Szene setzte (denn was nützt die spannendste Geschichte, wenn der Schreiber sie nicht umzusetzen vermag). Der Schreibstil Gutkes und die Erzählungen Wapplers - eine kongeniale Mischung, die den Leser anspricht und sofort wirkt.


AUFBAU

Das Buch beginnt mit der Beschreibung von Wapplers Flucht während seines Freigangs. Danach wird seine Geschichte chronologisch von Beginn an erzählt, vom kleinen Bub hin zum heutigen Lebemann mit Porsche, Villa, Rolex, Designerklamotten und einem dicken Bündel Banknoten in der Hosentasche. Dazwischen werden immer wieder einzelne Absätze eingeschoben (optisch gut vom restlichen Text abgegrenzt, sodass man sie auch zwischendurch überfliegen kann). Der frühere Familienanwält, seine aktuelle Anwältin, seine Halbschwester, ein damaliger Weggefährte, sogar "Schneekönig" Ronald Blacky Miehling kommen zu Wort, auch werden Auszüge aus Gerichtsakten und Zeugenvernehmungen eingefügt.

Das führt dazu, dass die Geschichte aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden kann. So hat der Leser nicht nur die beschönigte Variante Wapplers, sondern auch die Stimmen anderer Personen. Der Unterschied fühlt sich manchmal an, als würde man mit einem heftigen Knall auf dem Boden landen. Wappler erzählt von seinen tollen Ansichten und seiner Ehre, und plötzlich liest man, wie die Schwester von seiner Kindheit als Zigeuner erzählt, wie er verhöhnt wurde, dass er selbst in der ersten Klasse überfordert war und in der Schule keine Chance bekam. Er erzählt stolz von seiner durchdachten Flucht. Sie erzählt von der Feier, die extra für ihren Sohn organisiert wurde und bei der auf einmal nur noch die Polizeiaktion und die Flucht im Vordergrund standen. Wenn Milliarden-Mike die Reichen wie Robin Hood abzockt, dann mag vermutlich mancher Leser anerkennend nicken, aber wenn er dem Sohn der Schwester den Ehrentag vermiest, das tut weh, da hat man wenig Verständnis.


UMSETZUNG

Das Buch ist mit Ausnahme der Einschübe anderer Personen durchgehend aus der Sicht des Ich-Erzählers Wappler geschrieben. Die Identifikation mit dem Betrüger fällt, da sie in geschickte Worte gekleidet ist und die Handlungen stets nachvollziehbar dargestellt wurden, erstaunlich (beängstigend) leicht. Ja, Wappler weiß sich in Szene zu setzen, und ich konnte mir sein Auftreten sehr gut vorstellen. Und Gutke weiß ihm das entsprechende Forum für seinen Auftritt zu bieten.

So betont Milliarden-Mike immer wieder seine Ehre. Er habe niemals jemanden Maß genommen, der es nicht verdient hätte. Wer gierig ist, der ist selbst schuld, und einen Milliardär kümmern ein paar Millionen nicht. Einmal nur habe er eine arme Frau um 3000 Euro erleichtert, aber er habe sich sosehr dafür geschämt, dass er sich mit einem Blumenstrauß entschuldigte und ihr statt dessen 4000 Euro zurückgab. Außerdem steht er zu seinen Taten, man muss Verantwortung übernehmen, das hat ihn bereits seine Mutter gelehrt. Mal ehrlich - wem geht bei diesen Worten nicht das Herz auf? Insgesamt ist das Buch sehr emotional geschrieben, offenbart viel über das, was (vorgeblich, wer vermag das zu beurteilen) in Wappler vorgeht.

Über die Gefahren dieses Buches gleich mehr, doch erst einmal das Lob an den Journalisten: es gehört einiges dazu, einen Menschen ins rechte Licht zu rücken, der sogar Sicherungsverwahrung verordnet bekam. Während man als gutbürgerlicher Mensch zu Hause sitzt und sagt "so etwas tut man doch nicht", lässt Gutke den Leser hier statt dessen die Perspektive wechseln. Er zeigt die schillernde Welt des Milieus, die Verlockungen des Reichtums, die dreckige Seite der gierigen Reichen. Er schafft ein Wir-Gefühl mit einem Verbrecher. Beachtliche Leistung und äußerst faszinierend zu lesen.

Es ist gelungen, dem Leser einen Blick hinter die Kulissen zu bieten. Mit Erstaunen liest man, mit welch einfachen Mitteln es möglich ist, ganz ohne Aufwand einen so simplen und doch geschickten Betrug zu organisieren. Es kommt sogar ein wenig Bewunderung auf für den Menschen, der so mühelos solch simplen und doch effektiven Methoden zu entwickeln weiß. In den Zeilen spiegelt sich sehr viel Menschenkenntnis und Gerissenheit, die in diesem Ausmaß absolut beachtlich ist. Und wer kritisch liest, der wird sehr schnell erkennen, weshalb Wappler kein kleiner Betrüger ist, sondern warum man ihm ursprünglich eine Sicherheitsverwahrung andachte.


SCHWIERIGKEIT

Es ist die Aufgabe des Journalisten, aus Sicht Wapplers zu schreiben, und das ist ihm gelungen. Allerdings führt das dazu, dass das Buch sehr kritisch gelesen werden muss. Es verlangt dem Leser eine gewisse Fähigkeit ab, zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, sich nicht um den Finger wickeln zu lassen.

Es ist enorm, wieviel kognitive Verzerrung in diesem Buch aufgezeigt wird, präsentiert im Brustton der Überzeugung. Bagatellisierung, Schuldverschiebung, Generalisierung, logisch erscheinende Rechtfertigung und weitere. Konsequenzen werden in Kauf genommen oder falsch eingeschätzt.

Mit dem Opfer, welches zuletzt genannt wird, empfindet der Leser kaum Mitleid. Im Gegenteil eher Schadenfreude, und das Gesetz gibt sogar Recht, indem unter anderem im Urteil zu lesen ist: "Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer außerdem berücksichtigt, dass dem Angeklagten seine Taten durch die Leichtgläubigkeit seiner Opfer, insbesondere die des Geschädigten Hubert, leicht gemacht wurden". Und ich gebe zu, während des Lesens habe ich oft mit dem Kopf geschüttelt und konnte nicht glauben, was ich da las (jedoch durch Auszüge aus der Zeugenvernehmung und dem Gerichtsurteil untermauert wurde und somit also tatsächlich stattgefunden zu haben scheint). Dennoch - Unrecht bleibt Unrecht, egal wie gut es verpackt wird.

Gelegentlich scheint es fast, als laute die Moral: "Verbrechen lohnt sich" (brüstet Milliarden-Mike sich gar damit, keinen Cent bisher mit ehrlicher Arbeit verdient zu haben, bezeichnet er das Opfer als Kuh, die gemolken werden will). In den Händen der falschen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen könnte ein Bild entstehen, das absolut schädigend wirkt. Zum Glück aber dürften diese Personen eher selten zu einer Lektüre greifen, sodass ich dieses Buch nicht wirklich als "gefährlich" sehe. Der eigentliche Leser wird wohl klar in der Lage sein, Recht und Unrecht zu entscheiden und die Bagatellisierungen, Schuldverschiebungen etc als solche zu erkennen.

Und eine weitere wichtige Frage: Ist es überhaupt nötig, einem Kriminellen wie ihm eine Platform zu bieten? Nötig - nicht unbedingt. Sollte man es trotzdem tun? Ich finde, warum nicht. Es ist spannend, von anderen Menschen über deren Leben zu erfahren, und man möchte natürlich etwas erfahren, das man selbst nicht kennt aber schon immer mal wissen wollte. In dem Fall befriedigt Herr Wappler also wieder einmal die Gier seiner Opfer, äh, Leser, in diesem Fall die Neu-Gier, die Sensations-Gier. Diesmal aber völlig legal, und es profitieren beide Seiten davon. Warum also nicht? Er kann sich jetzt zumindest nicht mehr brüsten, niemals ehrlich Geld verdient zu haben, denn ein Buch zu veröffentlichen ist mehr als legal ;-)


FAZIT

Ein durch und durch faszinierendes Portrait, das Recht und Unrecht scheinbar auf den Kopf stellt und die Welt aus Sicht eines millionenschweren Hochstaplers zeigt. Spannend zu lesen, voller interessanter Erfahrungen und Einblicke. Allerdings sollte das Buch unbedingt mit kritischem Blick gelesen werden, denn der Journalist versteht ebenso wie der Protagonist, den Leser geschickt auf seine Seite zu ziehen.

SaschaSalamander 27.05.2013, 09.31 | (0/0) Kommentare | PL

Tender - Obst

slater_obst_1.jpgZwei Textbeispiele, warum ich das Buch TENDER / OBST von Nigel Slater nicht nur der Rezepte wegen ansprechend finde. Mir gefällt seine Art, Lebensmittel zu betrachten. Nicht schnellschnell, wie es in Zeiten von FastFood und 5Minutenrezepten üblich ist. Sondern voller Genuss. Essen ist Leidenschaft, und das vermittelt er gekonnt:

**********************

S. 087, Aprikosen:
Eine gute Aprikose ist leicht getupft: Sommersprossen in Rot, Rost und Schokolade überziehen ihre Schultern. Vielleicht hat sie auch eine Stelle auf ihrer Schale, die rau aussieht. Ihre samtige Haut strahlt in tiefem, intensivem Orange, so als würde die Flamme einer Kerze leuchten, und dieser Anblick leitet uns im Garten oft zu ihr.

S. 227, Feigen:
Eine Feige ist reif, wenn sich eine Nektarperle am Fruchtansatz zeigt und sich die Schale wölbt. Sie platzt dann leicht auf, weil der Druck des reifen Fruchtfleischs für die Schale zu kräftig wird. Die meisten samthäutigen Feigen, die mir im Sommer und Herbst begegnen, werden meistens in stiller Ehrerbietung verspeist. Diese Früchte kann man nicht wie einen Apfel einfach aus der Hand essen. [...] Das bedeuet nicht, dass ich nicht ein oder zwei Feigen auch gare. Obwohl die Hitze der Konsistenz von Feigen etwas Seidiges verleiht, ereignet sich der wirkliche Höhepunkt, wenn sie die Samen im Inneren probieren. Das warme Fruchtfleisch und die knackigen Samen sind eine Sinnenfreude, wie sie nicht besser sein könnte.

S. 404, Pflaumen:
Wenn ich eine perfekte Pflaume entdeckt habe, fast überreif, mit zartem Fruchtfleisch in einer goldfarbenen Schale mit Purpurflecken, veranstalte ich deswegen ein ziemliches Theater. Wer mich kennt, weiß, dass ich dann einen kleinen Teller und eine Serviette hervorhole. Und sie langsam esse und mir dabei vorstelle, die Zeit würde stehenbleiben. Häufiger begegnet mir eine solche Frucht ohne Vorwarnung und dann gibt es keine andere Möglichkeit, als sie direkt aus der Hand zu essen und den Kern ins lang gewachsene Gras unter den Baum zu spucken.

aus: Nigel Slater: Tender / Obst; Dumont 2013

****************

Mmmh, diese Aprikose, man möchte nicht einfach nur hineinbeißen, man möchte sie erkunden, erschnuppern, betrachten, sie ist geschildert wie eine zarte Frau, und mit ebendieser Ehrfurcht tritt der Autor ihr gegenüber. Berauschend ...

ich finde Feigen etwas höchst Erotisches, und schon einige Leut sagten mir leider, sie können das nicht nachvollziehen. Aber die Frucht, das Fleisch, die Hülle, das Innere, der Geschmack auf der Zunge, das ist unbeschreiblich. Der Autor hat hier in Worte gefasst, was ich mir jedes Mal denke, sobald ich eine reife Feige in der Hand halte, ich fühle mich von ihm verstanden. Und mal ehrlich - wer bei diesem Text nicht Lust bekommt (worauf auch immer *smile*), der ist wahrlich kein Genießer ;-)

Der Text zu den Pflaumen strahlt etwas aus, das mir sympathisch ist. Das Auskosten des Moments, die Präsenz ganz im Hier und jetzt, Genuss mit allen Sinnen. Das verspielte Kind, das den Kern einfach ins Gras spuckt. Der Blick zum Gras in dem Bewusstsein, dass es nicht einfach nur Gras ist, sondern schon lange gewachsen ist. Ja, er personifiziert das Gras und die Pflaume regelrecht, sie begegnet ihm ohne Vorwarnung. Was er über Pflaumen schreibt, so verhalte ich mich bei Kiwis. Die perfekt reife Kiwi (naja, sofern man bei dem langen Transportweg von "perfekt" sprechen kann, aber ich habe leider keinen Garten und wohne auch nicht in Neuseeland) ist selten, meist ist sie etwas zu hart oder weich. Aber WENN ich mal eine für mich perfekte Kiwi erwische, dann ist das ein Fest, und die im Raum Anwesenden sahen mich irritiert an, was für ein Trara ich wegen so einem kleinen Stück Obst machte ;-)

Er schreibt sehr liebevoll, aber auch direkt, mit einer Portion Selbstironie. Das gefällt mir :-)

SaschaSalamander 21.03.2013, 14.20 | (0/0) Kommentare | PL

Tender - Obst

slater_obst_1.jpgVORAB

Wenn ich eine Rezension zu einem Fachbuch lese, finde ich es wichtig, den Rezensenten zu kennen: Laie? Interessierter? Fachkundiger? Mit welcher Intention las er das Buch? Daher für Neugierige mein Bezug zu diesem Buch: Ich liebe kochen und verbringe pro Woche viele Stunden in der Küche. Mir geht es vor allem darum, zu experimentieren. Und ich koche das, worauf ich gerade Lust habe, denn Kochen ist Sinnesfreude, und kein stures Rezept auf dem Papier. Kochbücher habe ich noch nie befolgt. Aber ich habe unzählige davon im Schrank, weil ich mich von den Zutaten und Bildern inspirieren lasse zu eigenen Kreationen. Wenn ich fünf Mal das gleiche Rezept koche - schmeckt es jedes Mal anders. Wenn sich mein Mann wieder beschwert, dass es anders schmeckt als das letzte Mal, zitiere ich zukünftig Slater: "Ein wichtiger Teil des bis in die Zehenspitzen freudemachenden Kochens ist das ständige Optimieren eines geliebten Rezepts" (S. 55).

Dieses Buch reizte mich aufgrund des Autors, denn Nigel Slater ist ein bekannter britischer Koch und Food-Journalist. Hierzulange ist er leider nicht allzu bekannt, was sich hoffentlich bald ändern wird. Ich wurde auf ihn aufmerksam, als ich den ungewöhnlichen Film >TOAST< sah.


ÄUßERLICHKEITEN

Das Buch wiegt stolze 1,9 kg. Man kann es also schon einmal nicht nebenbei in der Hand halten, während man im Topf umrührt ;-)

Der Umschlag ist sehr edel gestaltet, statt eines Schutzumschlages hat das Buch eine Art "Schärpe", die halbseitig über die Front gelegt ist. Man kann sie beiseite schieben, darunter ist der Einband in Stoff gebunden und mit einem kleinen Text bedruckt. Die Idee finde ich sehr originell und chic, leider aber auch etwas unpraktisch. Denn beim Lesen schiebt sich die Schärpe hin und her, ich habe regelmässig Angst, sie zu beschädigen. Sie abzumachen beim Lesen ist eine gute Idee, nur ist das anschließende Wiederbefestigen eine umständliche Fitzelei. Von daher eine sehr schöne Idee in leider etwas ungünstiger Ausführung. Aber das Cover ist nichts, das bei mir in die Bewertung einfließt, es gibt für mich Wichtigeres am Buch ;-)


OBST

Nach der Einleitung folgen 23 Kapitel speziell den jeweiligen Obstsorten gewidmet, dann ein Kapitel mit gemischtem Obst sowie ein Register zu den einzelnen Zutaten. Der Autor schreibt nur von den Obstsorten und auch Nüsse, welche er in seinem Garten hat und die auch in England wachsen. Wer also einen generellen Überblick über alle möglichen exotischen Früchte von Ananas über Banane, Kokosnuss und Zitrone erhofft, ist hier falsch. Das gefällt mir, denn vor zuviel Globalisierung übersieht man manchmal die Schätze, die vor der eigenen Tür liegen. Stachelbeeren, Holunder, Pflaumen, alles direkt aus Omas Garten, da werden Kindheitserinnerungen wach!

Ein Kapitel beginnt damit, wie er seine persönlichen Gefühle bezüglich des Obstes schildert. Von der Freude und Leidenschaft der Frucht, der jeweilige Reiz für ihn: etwa die Vernunft des Apfels, die Sinnlichkeit der Feige, die Vergänglichkeit der Birne, das Zelebrieren der perfekten Pflaume.

Danach sind die Kapitel unterschiedlich aufgebaut, abhängig davon, was und wieviel er zu der gerade behandelten Frucht sagen möchte. Aber allgemein kann man sagen, dass danach ein kurzer Abschnitt über den Garten folgt (welche Besonderheiten im Anbau), die Küche (worauf muss man bei der Zubereitung achten), Auflistung einiger Sorten, Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Lebensmitteln, Rezepte, ein paar Anregungen für Rezeptkreationen und schnelle Ideen zwischendurch.

Zu den Obstsorten - ich war überrascht! Ehrlich, ich wusste, dass es immer mehrere Sorten gibt. Aber irgendwie ... naja, eine Aprikose ist eine Aprikose, eine Feige eine Feige, ich habe da im Supermarkt noch nie darauf geachtet. Er beschreibt 13 verschiedene Feigen, 12 Pflaumen, sieben Sorten Johannisbeeren, und so weiter. Das zeigt mir, wie wichtig es eigentlich ist, sich einmal auf das "vor der eigenen Tür" zu konzentrieren, statt immer nur nach neuen exotischen Genüssen zu suchen.

Es mag ein Kochbuch, ein Sachbuch sein, aber es ist auch unglaublich persönlich und intensiv, das macht es zu etwas Besonderem. Seit das Buch bei mir zu Hause ist, habe ich täglich darin geblättert. Immer wollte ich nur kurz etwas nachsehen, doch dann blieb ich hängen und las mehrere Seiten, konnte nicht mehr aufhören. TENDER - OBST bietet nicht nur Rezepte, sondern auch Anregungen und Ideen, und genau das suche ich.

Gerade heute, wo man im Winter Erdbeeren kaufen kann oder mitten in Deutschland überall Kiwi und Bananen erhält (nichts dagegen, ich freue mich über die Vielfalt und die Möglichkeiten), halte ich es für wichtig, nicht die Ursprünge zu vergessen. Wenn man heute jemanden fragt, wann welches Obst geerntet wird oder ob eine Frucht am Strauch oder einem Baum wächst, ja ob es überhaupt in Deutschland angepflanzt wird oder aus dem Ausland stammt - müssen sehr viele kapitulieren (ich nehme mich in manchen Fällen leider nicht aus). Slater weckt die Lust am Do-It-Yourself, und noch nie habe ich es sosehr bedauert, keinen eigenen Garten zu besitzen. Die Früchte werden dem Leser hier nähergebracht, als wären es Protagonisten eines spannenden Romans, man möchte sie kennenlernen, mehr über ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit erfahren.


REZEPTE

Die Rezepte sind sehr unterschiedlich. Es gibt Rezepte mit und ohne Fleisch, simple Dinge ebenso wie ausgefallene Kreationen. Mit wenig Geld und Aufwand ist es möglich, einen Hauch von Luxus in der Küche zu zaubern, das zeigt Slater ganz deutlich. Denn er ist Purist, einige Rezepte kommen sogar mit gerade einmal 3 Zutaten aus.

Zu den Rezepten schreibt er gelegentlich persönliche Texte, die Anleitung ist ausführlich und anschaulich. Abgesehen vom regulären Rezeptteil hat er häufig weiter hinten im Kapitel weitere Ideen zur Variation und Verbesserung von Rezepten. Für mich, die ich nicht nach Rezept sondern Gaumen koche, ist das perfekt. Besonders ansprechend finde ich seine Auflistung, welches Obst mit welchen Gewürzen und Zutaten harmonisiert. Dadurch ist es möglich, eigene Kreationen zu erschaffen und sich von den vielfältigen Möglichkeiten inspirieren zu lassen.

Selbst habe ich noch kein Rezept davon nachgekocht. Aber erstens werde ich das eh nicht tun, und zweitens bin ich derzeit heftig erkältet und kann nichts schmecken, das kann noch ein paar Tage dauern. Und ich platze, wenn ich Euch das Buch nicht jetzt schon vorstellen darf ;-)


AUFMACHUNG, FOTOS

Die Bilder stammen von Nigel Slaters Stammfotografen, Jonathan Lovekin. Die Bilder sind schlicht und anregend, strahlen Lebensfreude aus und sprechen die Sinne an. Es ist nicht jedes Rezept mit Bildern versehen, das ist auch nicht nötig. Dafür gibt es viele Bilder nicht nur von einzelnen Gerichten, auch von den Früchten selbst, vom Garten, von den Blüten. Passend zum Inhalt, der "tender" (zärtlich, sanft) und nicht nur Titel sondern auch Motto des Buches ist, sind die Bilder lustvoll, zärtlich, ja auf ihre eigene Weise beinahe erotisch. Sie machen Lust, regen an und wecken den Wunsch nach Genuss dieser Köstlichkeiten. Mir gefällt, dass sie trotz allem recht schlicht sind. Keine hochgepushten Bilder, die aussehen wie "oh mein Gott, dieses Rezept krieg ich eh nie hin", sondern die dazu einladen, es selbst einfach einmal zu versuchen.


SPRACHE

Noch nie zuvor habe ich gelesen, wie jemand so leidenschaftlich und emotional über Nahrung spricht. So völlig unverkopft, rein aus dem Bauch heraus und ganz im Hier und Jetzt verankert, den perfekten Genuss, den perfekten Moment zelebrierend.

Obwohl es ein Sachbuch ist, liest es sich unterhaltsam, flüssig und mit einem Lächeln (oder auch verschmitzten Grinsen, je nach Situation). Die Sprache ist klar und direkt in der Aussage, leicht verständlich. Dabei aber sehr weitschweifig in ihren Worten, bildreich und verspielt. Slater spielt nicht nur gerne mit den Rezepten und Variationen, er spielt auch mit der Sprache, mit dem Leser. Er versteht es, beim Lesen alle Sinne anzusprechen und die Vorfreude auf das kommende Rezept zu wecken. Würde man das Buch auf seine Rezepte reduzieren (wie sonst bei Kochbüchern üblich), man nähme ihm die Seele!


FAZIT

Ein wundervolles Buch, das mich durch und durch begeistert. Eine Liebeserklärung an den Garten, das Obst und die Küche. Leidenschaftlich und voller Genuss. Wer mit Leib und Seele die Zutaten würdigt, wer in Essen mehr sieht als nur eine einfache Gaumenfreude, für den ist das Buch ein Quell an Inspiration.

Wertung: 9,7 von 10 Hawke´s Champagne

SaschaSalamander 19.03.2013, 08.48 | (0/0) Kommentare | PL

Dem Tod auf der Spur - Der Totenleser

In seinen beiden Büchern / Hörbüchern DEM TOD AUF DER SPUR und DER TOTENLESER erzählt der Rechtsmediziner Michael Tsokos von seiner Arbeit und von interessanten Fällen. Rechtsmedizin ist interessant, und Krimifans sind sowieso neugierig auf den Background dessen, was sich in den Serien, Filmen und Romanen abspielt. Uns ist ja schließlich klar, dass das alles nicht ganz so läuft wie auf dem Bildschirm dargestellt.

Nun erzählt Herr Tsokos also, indem er unterschiedliche Fälle darstellt und diese dann ein wenig fachlich unterlegt. Ein Sachbuch darf man nicht erwarten, eher Kategorie Infotainment (ich nenn es gerne "Plauderbuch", wenn ein Fachmann für Laien aus dem Nähkästchen erzählt und dabei nahezu alle Fachbegriffe und komplexen Inhalte vermeidet, ob es nun um Medizin, Jura, Philosophie, Physik oder was auch immer geht).

Die Fälle sind interessant, daher lässt sich alles flüssig lesen / hören, und man möchte gerne mehr davon. Allerdings gebe ich zu, dass ich selbst mir gerne ein wenig mehr Info erwartet hätte, meiner Ansicht nach setzt Herr Tsokos sehr niedrigschwellig an. Für mich erweckt es eher den Eindruck, als wolle er einfach nur spannende Fälle erzählen, und diese möglichst reißerisch verpacken.

Stellenweise geschieht es, dass der Fall definitiv Vorrang vor der Rechtsmedizin erhält. Und nicht nur das, er wertet auch. Ähnlich wie Herr Wilfling in seinem Buch >ABGRÜNDE< scheint er die Perversion verschiedenartiger erotischer Neigungen erwähnenswerter zu finden als fachliche Informationen über den Fall (hier bezogen auf DER TOTENLESER). Er beschreibt einige Merkmale des Toten, auf die er in keinster Weise eingeht (kleine rote Punkte). Erst einige Kapitel später, in einem anderen Fall, wird dies erklärt. Wen interessieren schon kleine rote Punkte, wenn statt dessen von einem Mann die Rede ist, der - igitt, wie abartig, dass sowas überhaupt existieren darf - Frauenkleider trägt und bei einem autoerotischen Akt einen tragischen Unfall erleidet. Sorry, das ist meiner Ansicht nach nicht nur unprofessionell, sondern wertend und verachtend. Etwas, das in dem Buch eigentlich nichts verloren hätte.

Auch wird (wieder im TOTENLESER) gerne mal gesplattert. Wenn dies vor allem der Sache dienen würde, wäre das okay, aber in einem der letzten Fälle wird sehr klar geschildert, welch grausame Vergehen ein Mann an seiner Frau in der kleinen Gartenlaube ausübt. Er schmückt die Handlung gerade in dieser Geschichte mit ziemlich vielen Details aus, die wohl eher der Dramaturgie dienen als der Darstellung des Falles (ob und wie laut die Frau schreit, und ob sie sich wieder beruhigt, sorry, das ist Effekthascherei). Voyeurismus pur, ich habe mich gegen Ende geekelt, nicht vor dem Fall sondern davor, dass scheinbar eine Menge Leser genau diese Details wollen, nur um hinterher zu sagen "boah, ey, toll, ich hab wieder was gelernt". Niveau von Galileo und Welt der Wunder, aber nicht von einem Fachmann. Dass man Infotainment auch spannend betreiben kann, dabei aber dennoch sachlich und dem Menschen gegenüber wertneutral bleibt, zeigt z.B. sehr schön Herr Bausch in seinem Roman >KNAST<.

Und ich hätte mir gewünscht, dass Fall und Input wesentlich klarer getrennt sind. Manchmal wird ein Fall geschildert, dann kommt der Autor zu einer fachlichen Erklärung, dieser folgt eine etwas längere Exkursion, und dann wieder zurück zum Fall, bei dem man inzwischen längst den Faden verloren hat. Ich hätte es praktisch gefunden, wenn kurz der Fall geschildert worden wäre, und danach dann die fachliche Seite, sodass man sich auf beides jeweils besser konzentrieren kann.

Ansonsten wie gesagt fand ich die beiden Titel recht nett, unterhaltsam und flüssig. Viel Neues habe ich nicht gelernt, aber es war nett, einiges aufzufrischen und hier und da mal hinter die Kulissen blicken zu dürfen. Und ich möchte anmerken, dass DEM TOD AUF DER SPUR weniger reißerisch ist als DER TOTENLESER.

Fazit: unterhaltsames Buch über die Fälle eines Rechtsmediziners, pro Forma ein wenig gewürzt mit ein wenig "how to". Es ist spannend zu lesen, ist jedoch reißerischer und vor allem wertender aufgemacht als notwendig.

tsokos_totenleser_1.jpg 

SaschaSalamander 30.01.2013, 12.48 | (0/0) Kommentare | PL

Einträge ges.: 3902
ø pro Tag: 0,5
Kommentare: 2812
ø pro Eintrag: 0,7
Online seit dem: 21.04.2005
in Tagen: 7174
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3