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Blogeinträge (Tag-sortiert)
Tag: BewusstSein
Treue ist auch keine Lösung
Es werden verschiedene Lebensmodelle beleuchtet, von der momentan gesellschaftlich anerkannten Monogamie hin zu anderen Formen wie Polygamie, Polyamorie, Cuckold, Swinger und einige weitere. Dabei soll es keinesfalls darum gehen, eines als besser oder schlechter darzustellen. Aber bevor ich das Ziel des Buches selbst formuliere, überlasse ich dies den Autoren: "Wir möchten zeigen, [...], dass das Dogma der Treue Menschen und Beziehungen auf dem Gewissen hat, obwohl die Treue einen wundervollen Kern hat und würden dann gerne gemeinsam mit Ihnen über die Liebe grübeln, streiten und herumspinnen." (S. 22)
Das Buch ist gegliedert in drei Hauptteile: Untreue, Treue und Liebe. Untreue wiederum wird unter biologischen, religiösen und kulturellen Aspekten betrachtet. Treue wird aus dem Blickwinkel der Natürlichkeit, Neurologie und Tragik (das Drama, wenn Treue enttäuscht wird) beleuchtet. Liebe wird unterteilt in die Aspekte der Heilung, Freiheit und Philophilia (Liebe zur Liebe).
Die Autoren haben einen recht lässigen Schreibstil, bringen nette Vergleiche ein, werden gelegentlich auch mal flapsig, bleiben dabei aber immer seriös und belegen ihre Aussagen mit entsprechenden Quellen. Das führt dazu, dass die teils sehr komplexen Inhalten leichtgängig gelesen und verarbeitet werden können, Fallbeispiele sorgen für Abwechslung und besseres Verständnis. Und die Autoren zeigen besonders dann Humor, wenn es darum geht, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Sie wissen um ihre Position und ihre teils sehr kontroversen Ansätze, vertreten diese selbstbewusst und ohne Scham, bleiben aber realistisch und gestehen dem Leser eine eigene Meinung zu. Eine Haltung, die mir sehr imponiert hat und die sich durch das gesamte Buch zieht: der Leser fühlt sich angenommen und hat die Möglichkeit, seine bisherige Sichtweise genau zu analysieren, für sich zu bestätigen oder neue Gedanken aufzugreifen, ohne sich dabei überrumpelt oder in die Enge gedrängt zu fühlen. Sehr sympathisch.
In ihren Thesen greifen sie auf viele Beispiele zurück. Sie ziehen die Bibel heran, werfen einen kritischen Blick ins Tierreich, berufen sich auf bekannte Soziologen, Psychologen, und immer wieder entkräften sie die Argumente der heute gelebten strengen Monogamie (die im Grunde keine lebenslängliche sondern meist eine serielle ist). Es werden die Mechanismen aufgezeigt, die einen Menschen zum Fremdgehen verleiten, und auch die Gefühle der Betrogenen werden ausführlich geschildert. Wie gesagt, ein Ratgeber ist das Buch nicht, dennoch lassen sich aus den geschilderten Situationen und Beispielen einige wichtige Grundlagen für eine funktionierende Beziehung herauspicken. Typische "Fallen" innerhalb einer langfristigen Beziehung werden geschildert, das Prinzip AMEFI ("alles mit einem für immer") wird zerlegt und entmystifiziert.
Auch, wenn Fischbach und Lendt niemandem eine Meinung aufdrücken, ist in jedem Kapitel spürbar, was sie selbst favorisieren: Lösungen ohne Lügen. Nicht aus moralischen Gründen, sondern weil sie sich in unserer Praxis als die entwicklungsträchtigeren erwiesen haben" (S. 115). Wie viele Personen in welcher Konstellation diese lügenfreie Lösung nun beinhaltet, das lassen sie dahingestellt, das soll jeder für sich entscheiden.
TREUE IST AUCH KEINE LÖSUNG ist ein Buch, das trotz seiner komplexen Inhalte flüssig und gut verständlich zu lesen ist. Die Autoren zeigen an verschiedenen Beispielen und Modellen, was der wahre Kern der Liebe ist und wie eine funktionierende Beziehung aussehen könnte. Wer nur die Monogamie anerkennt und nicht bereit ist, über den Tellerrand zu blicken, wird sich von diesem Buch in seinem Weltbild heftig erschüttert sehen. Wer allerdings kritisch hinterfragt und sein Leben aktiv entscheiden möchte statt stur den gesellschaftlich vorgegebenen Normen zu folgen, der wird hier sehr viele Denkansätze finden. Ein Buch, das jeden Leser bereichern wird.
SaschaSalamander 11.10.2012, 08.47 | (0/0) Kommentare | PL
Blind Date mit dem Leben
Ich weiß nicht mehr, wodurch ich auf das Buch MEIN BLIND DATE MIT DEM LEBEN von Saliya Kahawatte aufmerksam wurde. Da er aber buddhistisch orientiert ist, vermute ich, dass ich irgendwo in einer meiner Zeitschriften oder in einem Buch darauf gestoßen bin. Jedenfalls bin ich froh, über dieses Buch gestolpert zu sein, es hat mich sehr bewegt und bereichert. Und noch vor dem Lesen habe ich mit Freunden bereits darüber diskutiert. Erzählte ihnen vom Buch, und wir kamen ins Gespräch "ja, warum hat er das keinem gesagt" oder auch "wie ist das denn möglich, so etwas geht gar nicht", und so ergaben sich schon vor der Lektüre viele Fragen, sodass ich umso gespannter wurde, wer dieser Mensch ist und was ihn antrieb.
Vorab zum Inhalt: Als Spoiler empfinde ich es hier nicht, was ich schreiben werde, denn auch auf seiner Homepage, in Fernsehberichten etc hat man schon einiges über ihn gehört bzw kann viel über ihn finden. Eine Biographie bzw einen Erfahrungsbericht kann man meiner Ansicht nicht spoilern. Wer anderer Ansicht ist, der sollte den Abschnitt "Lebenslauf" bitte überspringen und erst bei "Aufbau" weiterlesen. Wer mehr über den Autor wissen möchte: >Seine Homepage<, >sein Blog<, seine Firma >minusVisus< und ein Interview in >Zibb<.
LEBENSLAUF
Was er beschreibt, ist sein Leben. Und einige Male musste ich innehalten und es auf mich wirken lassen. Sähe ich einen fiktionalen Film, würde ich den Drehbuchautoren ersteinmal mäßigen: "das ist zu viel, das kauft Dir keiner ab, bleib mal auf dem Teppich und sei realistisch". Aufgewachsen als Kind eines singhalesischen Adels, um die gesamte Welt gereist, er speiste im Dschungel, er erlebte auf dem Gut seiner Familie arbeitende Kinder, bereiste ferne Länder, er hat bis zu seinem 15ten Lebensjahr mehr gesehen als mancher Mensch in seinem ganzen Leben. Dann der Beginn der Netzhautablösung, vom Vater fallengelassen, Trennung der Eltern und vom reichen Sohn plötzlich zum Jugendlichen ohne jegliche finanzielle Unterstützung auf Sozialhilfe, ohne Hoffnung, doch er strebt ein normales Leben an, boxt sich durch, verheimlicht seine Krankheit, belügt seine Freunde ebenso wie seinen Arbeitgeber und die Kollegen, macht eine Lehre, ja eröffnet sogar nebenher bald ein eigenes Restaurant. Und dann die Diagnose Krebs, Chemotherapie, er springt dem Tod von der Schippe. Doch die Lügen, die Mehrfachbelastung durch Arbeit, eigenes Restaurant, Krankheit fordern Tribut, und es folgen Drogen, Alkohol, Medikamentenmissbrauch. Und dann aufgrund der Chemotherapie ein Hüftleiden, OP, künstliches Hüftgelenk, reguläres Arbeiten ist nicht mehr möglich, es ist die Zeit gekommen, die Lügen zu beenden, doch vom Amt hagelt es nur niederschmetternde Aussagen: "nicht auf dem normalen Arbeitsmarkt", "behindert", "Einrichtung". Das will er nicht akzeptieren, bewirbt sich an einer Uni, scheitert, es folgt ein Suizidversuch. Später wendet er sich an die Presse, nimmt den Studiengang wieder auf, bis er dann eines Tages angesprochen und um Coaching gebeten wird, was nun sein neues Arbeitsfeld ist. Nein, für ein Drehbuch zu unrealistisch. Doch das Leben hält sich nicht an Drehbücher, und nur so sind Lebensläufe wie der von Saliya Kahawatte möglich.
AUFBAU
Das Buch liest sich in seinem Stil sehr flott und ebenso spannend wie ein Roman. Der Autor hat es strikt gegliedert in verschiedene Abschnitte seines Lebens. Dabei geht jedem Kapitel eine Betrachtung der Gegenwart voraus, in der er von seinem jetzigen Leben schreibt sowie seine heutige Sichtweise des damaligen Geschehens. Es folgen ein, zwei Abschnitte aus der Vergangenheit, klar nach Jahreszahlen und Lebensereignissen geordnet. Dann das nächste Kapitel. Ein strikter, klar geregelter Aufbau, so wie auch sein Leben und Tagesablauf heute geordnet und gut geplant ist. Die Worte für die Kapitelüberschriften sind klar, direkt, energisch. Er beschreibt im Laufe des Buches, warum er so klar reglementiert in seinem Leben vorgeht, ich finde es gut beschrieben und nachvollziehbar, es ist das was er braucht. Und, offen gesagt, mir ist das sympathisch, er hat seine Grundsätze nicht einfach aus dem Ärmel geschüttelt, sondern er hat sie sich erarbeitet und lebt nun danach, er weiß was er will und braucht. Noch vor dem Lesen fiel mir das sehr deutlich auf, und dieses Selbstbewusstsein zieht sich durch das gesamte Buch.
ERZÄHLWEISE
Was mich unglaublich fasziniert ist die bildreiche, lebendige Erzählung des Autors. Mag er auch selbst nicht mehr sehen können, so erzeugt er beim Gegenüber dafür umso klarere Bilder. Seine Schilderung beispielsweise vom Urlaub bei der "Dschungeloma", die Besuche bei seinem Freund Thuya, alles war so farbenreich wie ein 3D-Film. Die Rituale im Tempel, die Pilgerreisen, das Schlafen auf den Strohmatten, das Essen im Dschungel und die Besonderheiten des "Geschirrs" und "Abwaschs", ich meinte im Tempel die Räucherstäbchen zu riechen und vor mir spazierten greifbar die Elefanten bei der Hochzeit. Kahawatte hat ein sehr gutes Gespür für die Wirkung seiner Worte, sie wirken charismatisch und fesselnd. Auch die Beschreibung, wie er das erste Mal bei einem Coaching etwas versuchte greifbar zu machen und darzustellen, war sehr anschaulich. Selbst habe ich ihn nicht erlebt, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Menschen an seinen Lippen hängen, wenn er spricht.
In seiner Schilderung ist er stets klar und direkt. Er schmückt das Gesagte aus, verschwendet aber keine unnötigen Worte, verliert sich nicht in belanglosen Schilderungen. Er kommt sofort zum Punkt und reduziert seine Aussagen auf das Wesentliche. Am Text erkenne ich einen Menschen, der zielstrebig seinen Weg geht und sehr viel reflektiert. Er beschönigt auch nichts, steht klar zu dem, was er getan hat, beschreibt sich auf S. 69 sogar selbst als "armselige, heruntergekommene Gestalt". Er sucht keine Entschuldigung, heute ist er aufrecht und sich seiner selbst bewusst.
DER MENSCH HINTER DEM TEXT
Anfangs war ich erstaunt, wie es das möglich ist: ein solch reflektierter, durch und durch reifer Text. Und dann ein solch unreifes Verhalten. Warum all diese Lügen? Ich konnte verstehen, dass er nicht als behindert gelten wollte, dass er kein Mitleid wollte. Doch warum sich selbst so viele Dinge erschweren, wo es doch so viele hilfreiche Möglichkeiten gibt, die sehbehinderten Menschen den Alltag erleichtern? Warum sogar in einer Beziehung monatelang die Partnerin belügen? Das war für mich der Punkt, der einen Teil der Spannung ausmachte, denn ich fragte mich, ob und wann der Knackpunkt kommen würde, der diesen für mich nicht erklärbaren Widerspruch auflöste. Und hier möchte ich tatsächlich nicht spoilern, denn die "Auflösung" kommt. Wann und warum er lernte, die Dinge anders zu betrachten, wann er diese Hilfe (z.B. PC mit spezieller Software, Monitor zum Lesen von Texten) entdeckte und wann er begann, sich selbst zu reflektieren. Als es soweit war, hatte ich eine Gänsehaut, ich spürte, was das für ihn bedeutet haben mochte und welch großen Schritt er in dieser Phase seines Lebens gegangen war, welche inneren Hürden er überwunden hatte.
Trotz der vielen Schicksalsschläge in seinem jungen Alter spürt man auf jeder Seite die Lebensfreude und die unglaubliche Power, die er jetzt ausstrahlt. Sein Lebenslauf ist keinesfalls Maßstab für die Allgemeinheit, denn so viel Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Energie haben nur wenige Menschen. Viele seiner Erkenntnisse und jetzigen Weisheiten hat er sich erarbeitet, doch die Kraft, die ihn dazu brachte, es überhaupt erst durchzuziehen, die hatte er schon von Kind an, eine starke Persönlichkeit, wie er sich selbst schilderte. Doch auch, wenn nicht jeder seine Probleme wie er sosehr in Gutes wandeln kann - seine Biographie ist Inspiration, sie macht Mut und zeigt, dass ein Mensch auch am tiefsten Punkt seines Lebens aufstehen und das Beste aus sich herausholen kann.
Er hatte viele Helfer, zu Beginn seine Schwester und Mutter, die mit ihm lernten und ihm den Schulabschluss ermöglichten. Später enge Freunde und Weggefährten, mit deren Hilfe er die Ausbildung bestehen konnte, die ihn hier und da durch Prüfungen manövrierten und ihm hinter den Kulissen gelegentlich zur Hand gingen. Nur so gelang es ihm, eine normale Ausbildung im Gastronomiebereich zu absolvieren, ja sogar fast zum Leiter aufzusteigen, später ein eigenes Restaurant zu führen, in einem angesehenen Hotel zu arbeiten, einen riesigen Weinnkeller mit über 200 Sorten zu betreuen. Ihm wurde später bewusst, wieviel er diesen Menschen abverlangte, und seine Schlussworte mit dem Dank an seine engsten Freunde empfand ich als sehr bewegend, sie zeigten die tiefe Dankbarkeit hinter den Worten, es waren keine Phrasen, nicht die sonst üblichen Danksagungen am Ende eines Buches.
GESELLSCHAFTLICHE SITUATION
Sehr gut schildert er - nicht mit dem Holzhammer, eher nebenbei, wenn es sich in der Erzählstruktur ergibt - von der momentanen Situation sehbehinderter Menschen. Ein großes Problem sieht er in der Trennung von Behinderung und "normalem" Leben, von der Verortung des Problems in Einrichtungen. Gesunde Menschen, abgeschoben in eine eigene Welt, ohne die regulären Berufsmöglichkeiten, das ist etwas, das er nicht akzeptieren kann. Und ich muss ihm rechtgeben, denn es gäbe sehr viele barrierefreie Möglichkeiten im Alltag, die noch immer ungenutzt sind, einfach weil ... nun ja, ein sehr komplexes Thema, das hier den Rahmen sprengt. Ein Thema, mit dem ich mich beruflich wie auch privat schon häufig auseinandergesetzt habe und das noch sehr viel Handlungsbedarf in der Gesellschaft erfordert. Er bietet hier einige Denkanstöße. Geht stellenweise recht forsch vor, und was er verlangt ist teilweise etwas sehr hoch gegriffen, doch um das Mögliche zu erreichen, muss man das Unmögliche einfordern, und vielleicht wird eines Tages sogar das Unmögliche möglich, denn nur so ist eine vollständige Integration ohne Grenzen erreicht. Kahawatte hat sich noch einige Ziele gesteckt, und ich wünsche ihm von Herzen alles Gute für das, was er sowohl persönlich als auch gesellschaftlich noch alles vorhat :-)
FAZIT
Inspirierend und bereichernd. Ein Buch, dem ich unzählige Leser und einen großen Erfolg wünsche.
Wertung: Biographien, Lebensläufe und Erfahrungen erhalten von mir keine Wertung, das wäre vermessen ;-)
SaschaSalamander 31.08.2012, 15.05 | (0/0) Kommentare | PL
Freigang - warum es sich unter allen Umständen lohnt, Buddhist zu sein
Calvin Malone wurde 1951 in Deutschland als Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters geboren. 1992 kam er für Körperverletzung ins Gefängnis, wo er derzeit noch inhaftiert ist und bereits verschiedene "prisons" und "correction centers" durchlaufen hat. In diesem Buch schildert er, wie er während seiner Haft mit dem Buddhismus in Berührung kam, wie dieser ihn veränderte und wie er ihn nun lebt. In einem Umfeld, das sosehr von Gewalt, Ablenkung geprägt ist und scheinbar so wenig Raum lässt für Meditation und sanftmütiges Wesen. Doch Malone beweist dem Leser, dass gerade hier Großes gewirkt werden kann durch kleine Gesten, liebevolle Worte und das rechte Maß an Zurückhaltung.
GENRE
FREIGANG ist kein Lehrbuch über Buddhismus. Zwar gibt es im Anschluss an seine Erlebnisse auch eine kurze Erklärung sowie ein paar Anregungen zur Meditation in diesem besonderen Umfeld, doch dies ist nicht Kern des Buches. Inhalt ist vielmehr das Erleben seines Alltages sowie die praktische Umsetzung und Anwendung. Auch werden seine Geschichten nicht chronologisch erzählt, denn Ziel ist nicht die Wegbeschreibung der "Wandlung". Als Ziel des Buches empfand ich die Beschreibung seiner Erlebnisse, um auf diese Weise andere Menschen an den Auswirkungen seiner Religion teilhaben zu lassen. Dies ist bewegend und glaubwürdig gelungen.
RELIGIONSÜBERGREIFEND
Das Schöne finde ich unter anderem auch, dass der Leser nicht von einer blinkenden Werbekeule erschlagen wird. Den Untertitel "warum es sich unter allen Umständen lohnt, Buddhist zu sein" könnte Problemlos ersetzt werden durch "Christ", "Jude", "Moslem", "Hindu", "Taoist" oder oder oder ersetzt werden. Denn was Malone praktiziert, das ist Nächstenliebe und Achtsamkeit, die in allen Religionen gelehrt wird. Dadurch erreicht der Autor, dass die Leser nicht mit fremden Philosophien erschlagen werden oder zu etwas bekehrt werden, sondern er - um es christlich zu sagen - "legt Zeugnis ab". Und dies ist die beste Methode, wenn man anderen Menschen seine Überzeugung nahebringen möchte: unaufdringlich, geduldig, als Vorbild.
"WAS KANN ICH ALLEINE SCHON BEWIRKEN"
Der Strafvollzug ist ein eigener Mikrokosmos, den ein Außenstehender sich oft nicht vorzustellen vermag. Es gelingt Malone sehr gut, dem Leser einen Einblick in den amerikanischen Gefängnisalltag zu vermitteln. Und diesen zwar knallhart und direkt zu präsentieren, dabei aber auch die Chancen aufzuzeigen, die sich für ihn daraus ergeben.
Zu den Geschichten selbst: der Autor beschreibt verschiedene Situationen, in denen ihn unangenehme Menschen herausforderten und wie er mit dieser Herausforderung umging. Er macht Menschen, die ihm Probleme bereiten, zu Lehrern, denn sie zeigen ihm seine Schwächen und helfen ihm diese aufzulösen. Man denkt sich oft "ach, was soll ich schon ausrichten" oder "ist doch nur eine Kleinigkeit, nur ein Moment". Wie oft schon hat jeder von uns gesagt "nein, wenn der mir immer so blöd kommt, den lade ich bestimmt nicht ein / den lächle ich bestimmt nicht an / dem werd ich was erzählen". Hier wird wunderschön beschrieben, wie auch ein winziger Moment große Auwirkungen haben kann und warum es sehr wohl von Bedeutung ist, ob ich lächle oder schimpfe, ob ich mich vom Zorn davontragen lasse oder dem anderen vergebe.
Einzelne Geschichten komplett wiederzugeben ist im Rahmen der Rezension nicht möglich. Aber ein paar Schlüsselmomente, die dennoch keine Spoiler sind, möchte ich gerne nennen: Malone hört das Gespräch zweier Rassisten, einer von ihnen hat Hunger, und so bietet er ihm von seinem Essen an, egal ob sie zur gleichen Gruppierung gehören, denn Hunger kennt keine Nationalität. Ein Päckchen Suppe, eine kleine Geste, mit unglaublich bewegender Auswirkung. Er lädt einen Menschen zu seiner Weihnachtsfeier ein, den er eigentlich nicht mag, ohne zu erahnen, welche große Bedeutung dies für den Gast hat. Einem Insassen, der überall aneckt, gibt er etwas zur Aufbewahrung, dieser hintergeht ihn, und statt ihn zu strafen geht Malone freundlich auf ihn zu - was dazu führt, dass der andere ihn respektiert und Tage später ein tragisches Ereignis verhindert werden kann.
All diese kleinen Gesten sind Kleinigkeiten. Sie erfordern jedoch Mut, Respekt und Achtung vor dem anderen. Es sind Gesten, die jedem von uns möglich sind, niemand kann sich herausreden und sagen "was kann ich alleine schon bewirken". Denn Malone zeigt, wie hoch unsere Eigenverantwortlichkeit ist und wieviel zu bewegen uns tatsächlich in unserem Umfeld möglich ist.
KLEINE ANMERKUNG
Es ist unwichtig, führt zu keinerlei Punktabzug und geht im Textfluss unter. Dennoch würde ich für die nächste Auflage empfehlen, dass jemand das Buch noch einmal überarbeitet, speziell im Hinblick auf die dass / das - Problematik. Da schien es dieses Mal ein paar Verwechslungen zu geben ;-)
Schön finde ich übrigens auch den Titel, denn er zeigt auf, wie es möglich ist, trotz der Umstände innere Freiheit zu finden. Innere Freiheit sogar im Gefängnis, ein sehr schönes Bild, das die Auswirkungen der buddhistischen Praxis sehr schön erklärt.
FAZIT
FREIGANG ist ein bewegendes Buch, das religionsübergreifend gelesen werden kann und dazu motiviert, endlich selbst aktiv zu werden. Achte Deinen Nächsten, liebe Deine Feinde, denk nach bevor Du im Zorn etwas zerstörst. Und sei Dir bewusst, dass Du etwas bewirken kannst, egal ob auf Arbeit, in der Familie oder gar an kalten, gefährlichen Orten wie einem Gefängnis. Die Geschichten treffen ins Herz, Malone und seine Freunde, Lehrer und Mitinsassen bleiben dem Leser noch lange im Gedächtnis.
SaschaSalamander 24.05.2012, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL
Triffst Du Buddha, töte ihn
Kürzlich stieß ich durch sein biographisches Buch >DAS SCHEIßLEBEN MEINES VATERS, DAS SCHEIßLEBEN MEINER MUTTER UND MEINE EIGENE SCHEIßJUGEND< (den Titel kann man ja quasi gar nicht übersehen) auf den Autor, der mir bis dahin unbekannt war und wurde neugierig auf weitere Bücher von ihm. Sein Schreibstil sagt mir zu, er ist wunderbar direkt, und er beschönigt nichts, steht zu dem, was er sagt und tut. Diese Ehrlichkeit gefällt mir.
In seinem Buch TRIFFST DU BUDDHA, TÖTE IHN, berichtet er von seiner Reise nach Indien und einem zehntätigen >Retreat<. Einerseits natürlich die zehn Tage als solche, wie er sie verbrachte, welche Regeln er heimlich brach, was ihm leichtfiel und was ihm Probleme bereitete. Und andererseits natürlich von dem Gedanken, die ihm hierzu kommen, seine Einsichten über Spiritualität und Religion.
Er nimmt dem Buddhismus seinen Glanz, beschreibt Meditation aus rein profaner Sicht. Es geht nicht um Erleuchtung, Absagen vom Ich und um Heiligkeit. Sondern um Rückzug, Selbsterkenntnis und Selbst-Bewusstsein.
Was mir an dem Buch überaus gut gefiel war seine knallharte Ehrlichkeit. Und auch, dass er offen Dinge ausspricht, die andere nicht zu sagen wagen. Er spricht sich aus gegen Heiligenkult und Bigotterei. Benennt Autoren, die ihm mit der aufgedrückten Spiritualität gegen den Strich gehen. Spricht sich aus für das eigene Denken und stellt klar, dass der Mensch für sich alleine verantwortlich ist. Keine höhere Macht, die einen von jeglicher Schuld und Verantwortung befreit, kein Schicksal, welches das Leben vorausbestimmt.
Was ich dabei nicht mochte ist allerdings die Überheblichkeit, die ich oft in seinen Worten herauslese. Ich verstehe seine Meinung und teile sie in vielen Dingen. Allerdings vermisse ich manchmal den Respekt vor dem, was anderen Menschen bedeutsam ist. Er knüppelt alles nieder, was nicht in sein Weltbild passt, beschimpft es stellenweise und klingt dabei sehr destruktiv. Wo er auf der einen Seite eine Stärke zeigt, die mich beeindruckt, nutzt er diese auf der anderen Seite nicht zur Hilfe für andere und zur persönlichen Weiterentwicklung sondern ist noch gefangen in Abscheu und Hass auf das, was ihn damals prägte (seine urchristliche Erziehung, siehe der Link zu seiner Biographie). Das tat mir stellenweise weh zu lesen, denn auch wenn ich vieles der einzelnen Religionen und Kulte nicht gutheißen kann, so respektiere ich doch deren Lebensweg, beziehe das schlechte Verhalten einzelner Menschen dieser Gruppe nicht auf die komplette Gruppierung.
Dennoch, ich mag seine direkte Art und seinen Schreibstil, das Buch liest sich sehr flüssig. Auch, wenn ich ihn stellenweise zu aggressiv finde, so tut es doch gut, dieses Buch zu lesen. Seine Erfahrungen sind interessant und informativ. Besonders die Beschreibungen des Landes, wie er es erlebte, berührten mich sehr.
SaschaSalamander 15.02.2012, 15.12 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL
Tao Te Puh
Genauso wie bei der Philosophie ist es unglaublich schwer, einen Anfang zu finden. Und bevor ich mich bemühe, irgendwo anzufangen und weiterzumachen, steige ich mittendrin ein und schnappe, was mich anspricht. Manche lege ich mittendrin wieder weg, andere lese ich und finde sie gut, andere nehme ich halt im Vorbeigehen mit aber vergesse sie wieder. In der Regel rezensiere ich diese Bücher nicht. Denn ich möchte Philosophie, Religion und Meinung nicht bewerten. Puh dagegen möchte ich kurz vorstellen, dieses Büchlein war etwas ganz Besonderes. Bewerten möchte ich damit jedoch nicht den Inhalt, sondern allein die Aufmachung und den Stil des Buches :-)
Puh, wie der kleine Bär aus dem Hundertmorgenwald? Genau der! Hoff beschreibt anhand des naiven und liebenswerten Bärchens die Grundgedanken des Tao. Und zwischendurch bringt er auch noch die Unterschiede und Parallelen zu Buddha und Konfuzius. Leichtfüßig erklärt, nicht schwer zu verstehen. Kein Buch zum Überfliegen, aber auch keines, das man fünfmal lesen müsste, um es zu begreifen.
Er beschreibt in simplen Sätzen eine einfache Wahrheit und bringt anschließend Passagen aus den Büchern um Puh. Schmunzelnd, lächelnd und wesentlich reicher schließt man das Buch nach 140 Seiten ab und muss wieder einmal feststellen, dass wir uns es meist sehr viel schwerer machen, als es eigentlich wäre.
Außerdem gibt es sehr viele Anreize, die zum Googeln und Nachschlagen animieren. In all den komplizierten Werken sieht man typischerweise den Wald vor lauter Bäumen nicht. Mir geht es oft so, dass ich dann wie erschlagen bin von all der vermeintlichen Weisheit, die mit dem Holzhammer auf mich eingedroschen wurde, und dann vergesse ich es wieder. Dieses Büchlein ist klein, kurz, einfach. Und gerade dadurch sehr einprägsam, sodass ich sogar zum ersten Mal ein paar einfache Grundbegriffe verstanden habe, die mir bisher schwer fielen im Gedächtnis zu behalten. Vielleicht, weil ich es nicht wie die anderen Bücher anging, sondern hier wesentlich lockerer startete. Und genau das ist es auch, was das Buch vermitteln will ... das Buch zeigt und lebt, was es lehrt.
Wer Puh mag, mag auch dieses Buch. Und wer sich für asiatische Lehren interessiert, sollte auch mal hineinschnuppern. Es muss nicht immer so kompliziert sein, wie es dargestellt wird ;-)
SaschaSalamander 02.05.2011, 09.38 | (0/0) Kommentare | PL
Abschluß des Jahres 2009
"Die Eleganz des Igels". Es ist mir normalerweise erst nach vielen Wochen oder oft auch Monaten möglich zu sagen, ob ein Buch mich bereichert hat. Denn ob ein Buch für mich wertvoll ist, erkenne ich erst daran, wenn ich nach langer Zeit noch immer daran zurückdenke, wenn mich Gedanken des Buches im Alltag begleiten. Ich denke an bestimmte Momente der Handlung und fühle mich mit Einzelfiguren der Handlung verbunden.
Bücher, die mir sofort nach dem Lesen sosehr ins Bewusstsein gehen, gibt es nur selten. Ein solches Beispiel war "Die Stadt der träumenden Bücher" von Moers, "Monsieur Linh und die Gabe der Hoffnung" von Claudel, "Seide" von Baricco oder "11 Minuten" von Coelho, "Briefe in die chinesische Vergangenheit" von Rosendorfer oder die Snicket-Reihe. Doch diese Bücher sind selten. Pro Jahr ist es vielleicht ein Buch, mit sehr viel Glück sogar zwei. Und ich bin dankbar für den Genuss eines jeden einzelnen. Und unbeschreiblich dankbar und glücklich bin ich, das Jahr nun mit einem Solchen Roman abschließen zu dürfen. Mit der "Eleganz des Igels".
Warum ich weiß, dass dieses Buch sich in mich gegraben hat, dass es nicht morgen vergessen sein wird, sondern in mir ist und mich begleiten wird? Weil ich vorhin etwas feststellen durfte, das eine so große Seltenheit ist, dass es in diesem Fall erwähnenswert ist. Denn ich habe ja schon darüber geschrieben, dass ich ohne Lesezeichen hoffnungslos verloren wäre. Ich finde nicht mehr die Stelle, wo ich war, zumindest nicht ohne Aufwand. Ich überfliege die Texte, und der Inhalt ist klar, doch die Worte sind vergänglich. Anhand eines Absatzes kann ich nicht sagen, wie weit zurück ich mich befinde und worum es gerade geht und wieviel weiter ich schon gelesen habe. Manchmal nicht einmal, ob ich es überhaupt schon gelesen habe.
Doch dieses Werk ist für mich eindeutig. Ich schlug eine beliebige Seite im Buch auf. Las nur einen einzigen Satz. Und ich wusste sofort, um welchen Gedanken es ging, welche Handlung damit verknüpft war, wo im Buch ich mich gerade befand. Dachte daran zurück, erfreute mich daran. Ich werde es ganz vorne in mein Regal stellen. Damit ich genauso wie in einige der anderen Werke, die ich oben nannte, immer wieder einmal ins Regal greifen kann, ein beliebiges dieser Bücher an einer beliebigen Stelle aufschlagen und mich dann lächelnd zu erinnern ...
SaschaSalamander 31.12.2009, 15.12 | (2/1) Kommentare (RSS) | PL
Der Zweifler und die Dreieinigkeit
Ich kann nicht einmal wirklich Tags für diesen Beitrag erstellen, weil ich nicht weiß, wo man dieses Buch einordnen kann. Aber ich versuche es einmal, kann es ja anschließend noch ändern, wenn ich falsch liege ;-)
SaschaSalamander 12.11.2009, 10.46 | (0/0) Kommentare | PL
Das Geheimnis des Weinbergs
Eines Tages wird Pierre für einige Tage vermisst, man findet ihn auf dem brachliegenden Acker des alten Weinberges. Seitdem hat er einen Glanz in den Augen, den nur seine Mutter, die selbst ein wunderbares Geheimnis in sich trägt, erkennen kann. Immer wieder besucht Pierre den Acker, übernachtet sogar dort, verbringt seine Zeit auf dem wertlosen Stück Land. Als er später sogar bereit ist, 10 Goldstücke zu opfern, um den Weinberg zu kaufen, wird er nur mit noch mehr unverhohlenem Spott betrachtet. Auch seine Liebe zu dem Bäckersmädchen Pauline verläuft sehr unglücklich. Doch bald darauf erbt Pierre von einer reichen Witwe, der er damals in seiner Selbstlosigkeit einen großen Gefallen getan hat, ein prächtiges Haus mitsamt Mobiliär, Gehöft, Land und Vieh. Vergessen der Spott, nun wird er von allen Mitgliedern des Dorfes umgarnt und verwöhnt, die Mädchen liegen ihm zu Füßen, und auch Pauline erhört ihn. Aber Pierre kümmert sich nicht um das falsche Geschwätz der Dörfler, und endlich bekommt er, was er sich sosehr ersehnt: er tauscht all seinen Besitz gegen das kleine, wertlose, karge Stück Land, ...
Neid, Missgunst, Verleumdung, die Dorbewohner werden immer mehr von ihren eigenen Intrigen zerfressen und verbünden sich gegen Pierre. Was will er mit dem Land? So unterstellen die Bewohner ihm in ihrer eigenen Bosheit allerlei Dinge. Trifft er sich dort mit einer Geliebten? Hat er gar einen so großen Schatz gefunden, dass er ihn nicht des nachts heimlich davontragen kann? Ein fremder Reisender schürt neue Gerüchte, und dann geschieht das Unvermeidliche, das schon lange in den Honoratioren des Dorfes gärte, sich machen sich auf, Pierre das Geheimnis notfalls mit Gewalt zu entlocken ...
Was macht den Zauber dieses Buches für mich aus? Hm, in der Fassung als Hörbuch natürlich ganz besonders die Stimme des Sprechers, Friedrich Schoenfelder. Ein bekannter Synchronsprecher, den bestimmt jeder schon in Film und Werbung gehört hat, eine weiche, angenehme Stimme, zu der man sich so richtig wohlfühlt.
Auch die einfache Sprache hat es mir sehr angetan. Kurze, einfache Sätze ohne besondere Fremdwörter, ohne Verstrickungen, ohne komplizierte Gebilde. So schlicht und natürlich Pierres Naturell, so einfach und unkompliziert ist auch der Erzählstil der Geschichte. So simpel es auch sein mag, vermag der Text sofort zu fesseln. Ich sah nur allzu lebhaft die Bilder vor mir: die neidvollen Blicke der Dorfbewohner, das ruhige Erdulden der Mutter, der Glanz in Pierres Augen, die schüchternen Blicke der Stummen, der fruchtlose Weinberg, das Misstrauen fast greifbar, als wäre ich mitten unter ihnen, beengt und erdrückt von den Menschen um mich. Es fällt nicht schwer, sich schon nach wenigen Sätzen in Pierre hineinzuversetzen, mit ihm zu fühlen, und am Ende mit ihm zu leiden ...
Was natürlich auch das gesamte Buch hinweg die Spannung trägt, ist die Frage nach Pierres wundersamem Geheimnis. Vielfach stellte ich mir die Frage, ob es überhaupt gelüftet werden würde, denn es hätte auch gut gepasst, es dem Leser freizustellen mit offenem Ende. Denn ich bin sicher, jeder Leser trägt seinen eigenen Weinberg in sich, und jeder Leser wird seine eigene Version davon haben, was Pierre nun gesehen, gefunden oder erlebt haben mag. Doch das Geheimnis wird gelöst, ich freute mich, wie nah ich mit meiner Vermutung lag, wie gerne hätte auch ich dieses Geheimnis mit ihm geteilt ...
Das Ende wird von manchen Rezensenten als schwach bezeichnet, denn in der Tat ist es kein großer Knall, keine besondere Wende, nichts, das all das Getue der Dorfbewohner gerechtfertigt hätte. Doch ich finde, es passt, und auch der Schluss, so traurig er sein mag, ist für mich wundervoll und bewegend ...
SaschaSalamander 02.04.2007, 10.58 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL
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