SaschaSalamander

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Eigenständiges Denken

Dass Leser sich unter falschen Voraussetzungen Bücher anschaffen, darüber habe ich >hier< bereits erzählt. Schade, aber kommt vor. Was mich allerdings sehr verwundert, das sind die Erwartungen, die grundlos in eine falsche Richtung gehen. So erlebt aktuell bei DER HUND, DIE KRÄHE, DAS OM UND ICH oder auch TRIFFST DU BUDDHA, TÖTE IHN. Beides lese ich aktuell, und da Spoiler hier irrelevant sind, lese ich auch schon mal ein paar Rezensionen vorab. Und beide Male schwanke ich zwischen Kopfschütteln und Lachen.

Fröhlichs Titel ist eine Art Tagebuch. Es ist keine Anleitung, es ist keine Verkörperung irgendeiner Lehre. Sondern einfach nur ihr Bericht: wie sie dazu kam, welche Probleme sie zu Beginn hatte, was ihr auffiel, warum sie weitermachte, was es bei ihr auslöste. Da finde ich es sowieso seltsam, ein Buch mit Sternchen zu bewerten. Ist ein Tagebuch schlecht? Gut, natürlich ist es aufbereitet als käufliches Produkt, aber dennoch beinhaltet es kein Wissen, keine Weisheit, kein unumstößliches Dogma, sondern einfach nur die Gedanken und Erlebnisse einer Person. Da gibt es Leute, die finden es negativ, dass die Autorin andere Erfahrungen schildert als sie selbst hatten. Oder sie stören sich daran, dass es immer wieder um das Thema Moppel ging, obwohl sie doch Erfahrungen über die gesundheitlichen und spirituellen Aspekte lesen wollten. Oder weil sie ein Lehrbuch erwarteten (woher nahmen sie diese Erwartung?) und nach der Lektüre immer noch nicht wissen, wie diese Yogastellung funktioniert. Manchmal frage ich mich, welchen Zweck Klappentexte erfüllen? Und ob die Leute vor dem Kauf eines Buches vielleicht mal im Buch blättern, was ja inzwischen auch im Internet möglich ist?

Ebenso Altmanns Erfahrungen. Nun ist Altmann ja eh eine Person, die die Gemüter spaltet. Toll, ehrlich, direkt, geradlinig und erfrischend finden ihn die einen. Arrogant, selbstherrlich und ungebildet finden ihn die anderen. Wer ihn nicht mag, kauft seine Bücher trotzdem und wundert sich dann, warum auch dieses ihm nicht gefällt. Und es gibt tatsächlich Leute, die seine Meditationserfahrungen kaufen und sich dann wundern, warum da keine Weisheiten drinstehen sondern nur Meinungen. Wäre Altmanns Buch ein Roman, dann gäbe ich Punktabzug, wenn der Protagonist sich nicht weiterentwickelt und am Ende trotz Meditation und seiner Suche immer noch mit leeren Händen dasteht. Aber sein Buch ist ein Erfahrungsbericht. Und wenn Leser finden, dass er trotz Meditation immer noch ein arroganter Einfaltspinsel ist - dann ist das eben seine Erfahrung, ja und?

Manchmal muss ich schmunzeln. Und ich denke, wenn man ein Buch liest, dann sollte man genau überlegen, was man da zur Hand nimmt. Eine Biographie muss nicht zwangsläufig ein Happy End haben. Ein Tagebuch darf auch gerne Einstellungen beinhalten, die meinen entgegenstehen. In einem Erlebnisbericht ist es nicht erforderlich, dass der Schreiberling danach ein neuer Mensch ist. Und in einem Erfahrungsbericht zum Thema XY darf ich nicht die Lehre des XY an sich erwarten.

Ich liebe Tagebücher und Erfahrungsberichte. Es ist eine spannende Sichtweise hinter die Stirn anderer Menschen. Und wenn sie andere Meinungen als ich vertreten, dann kann ich vielleicht daraus lernen. Oder aber meine eigene Meinung reflektieren und festigen. Ich kann es auch weglegen und sagen "was für ein Schrott, mit der Person mag ich nichts zu tun haben".

Was ich kürzlich in der Rezension >Psycho Shots< schrieb, möchte ich gerne auch auf andere Genres übertragen: ich wünsche mir selbstbewusste Leser. Leser, die fähig sind, ihre eigenen Werte zu hinterfragen. Die die Meinung eines Autors stehenlassen können und sie als das erkennen, was es ist: eine Meinung unter tausend anderen Meinungen. Doch in Zeiten des wachsenden Medienkonsums habe ich immer mehr das Gefühl, dass es viele Leser gibt, die das eigenständige Denken verlernt haben. Bücher, die anders sind, überfordern sie. Ich wünsche ihnen das Selbstvertrauen, beim Lesen den eigenen Kopf zu gebrauchen und immer zu differenzieren zwischen Fiktion, Erfahrungsbericht, Sachlichkeit und Meinungsmache. Und die Fähigkeit, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen für das eigene Vorankommen :-)

SaschaSalamander 09.02.2012, 14.29

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Sonja

*Wenn* man denn reinliest! Meine Ma, die allerdings um den Tagebuchcharakter wusste, hat meinen Bruder beauftragt, das Buch für sie zu bestellen. Andere werden auch nur in den Laden gehen "ich will das Buch" und gar nicht erst reinschauen...

vom 09.02.2012, 16.43
Antwort von SaschaSalamander:

wobei dann die Frage ist, wer Schuld hat an der falschen Vermarktung, der Verlag oder Frau Fröhlich selbst. Oder ob der Bericht schlechtgemacht war vom TV und nicht abgesprochen mit den Verantwortlichen ... aber trotzdem finde ich dann, dass man den Unmut hierüber schlecht an dem Buch selbst auslassen sollte, ... aber da könnte man lange drüber diskutieren ;-)

1. von Sonja

Du fragst, woher die Leute die Erwartung nehmen, dass Fröhlichs Buch ein Lehrbuch sei: aus dem Fernsehen! Meine Ma (praktiziert seit 2 Jahren Yoga) hatte im "Hessenfernsehen" eine Sendung mit ihr geschaut und mir erzählt, dass sie dort einige Yogaübungen (und zwar der fortgeschrittenen Art) gezeigt habe. Es wurden wohl Buch und eine DVD angepriesen. Mich wundert nicht, dass die Leser dann erwarten, im Buch selbst Übungen zu finden...sie wird nun mal unter dem Etikett "ich hab Yoga gelernt" vermarktet, nicht unter "ich erzähle von meinen Erfahrungen".

vom 09.02.2012, 15.08
Antwort von SaschaSalamander:

aha, das erstaunt mich. Ich habe ja keinen TV, deswegen bin ich nur auf das Web angewiesen, ich habe schon öfter von diesem Buch gelesen, und da stand immer nur, dass es ein "Yogatagebuch" sei, und darunter stelle ich mir kein Lehrbuch vor. Gut, von der DVD weiß ich, aber das hatte ich immer getrennt, das eine eine Lehr-DVD, das andere einfach eine Sammlung von Erfahrungen. Wenn das im Fernsehen natürlich anders vermarktet wird, ist das doof ...

aber sollte man dann nicht spätestens beim Lesen merken, dass es ein Tagebuch ist? Hab mal reingelesen bei Amazon, um auch einen optischen Eindruck zu haben, und da habe ich eigentlich schon auf den ersten Seiten gemerkt, dass es kein Lehrbuch ist ...

na gut, es gibt immer mehrere "einzige Wahrheiten" ;-)

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