SaschaSalamander

Polinas Geheimnis

blazon_polina_1_1.jpgDrei Au-Pair-Mädchen haben die Zwillinge Erik und Joanna bereits verschleißt, alle haben sie genug von den fiesen Streichen. Doch dann kommt Polina, und die Kinder mögen sie nicht sonderlich. Sie kümmert sich um nichts, ist irgendwie komisch, und statt sich über die Streiche zu ärgern, lacht sie die Kinder nur aus und zahlt es ihnen doppelt heim. Aber irgendetwas ist mit Polina, irgendetwas an ihr ist seltsam, Erik und Joanne versuchen das Geheimnis des Kindermädchens zu ergründen. Dabei kommen sich Mutter, Kinder und Polina schließlich immer näher.

Nina Blazon lese ich sehr gerne, seien es ihre Jugendkrimis, Fantasyromane, historischen Titel oder Kinderbücher. Sie gehört zu den Autoren, die fähig sind, über ihr eigenes Genre hinaus immer wieder neue Werke zu erfinden ohne sich selbst zu wiederholen. Mal düster und gruslig, man spannend, mal zum Brüllen komisch oder geheimnisvoll und fantastisch. POLINAS GEHEIMNIS richtet sich an Kinder, es ist witzig, und es ist - hm, ob es fantastisch ist oder nicht, ist eine der Kernfragen (und somit ein Spoiler), das muss der Leser selbst erfahren ;-)

Die Geschichte selbst ist nicht neu, Kinder bekommen eine neue Nanny und erleben dann einige Abenteuer. Altbekanntes Thema, und falls gut umgesetzt eines, aus dem man viel machen kann. Das hat Nina Blazon getan. Auch, wenn das Thema an sich bekannt ist - was die Kinder hier mit Polina erleben, habe ich in dieser Form noch nicht gelesen. Denn ein Kindermädchen, das so unselbständig ist, dass die Kinder anfangen müssen, den Haushalt selbst zu führen, das ist neu. Aber ob dieses Verhalten nun Taktik ist? Oder ob Polina tatsächlich nicht fähig ist? Und warum sie die einfachsten Dinge nicht weiß? Ich hatte schon nach den ersten beiden "Hinweisen" eine Ahnung und lag sogar richtig. Doch die Autorin hat das Geheimnis geschickt in die Geschichte eingebunden, die Hinweise nur spährlich gestreut, viele falsche Fährten gelegt. Ich denke, die jungen Leser werden sehr überrascht sein am Ende.

Die Handlung ist aus der Ich-Perspektive von Erik erzählt. Dadurch kann man den Zwillingen nie wirklich böse sein, selbst wenn sie wieder Unsinn angestellt haben. Aus seiner kindlichen Sichtweise heraus ist es wunderbar verständlich und unschuldig, auch als Erwachsener kann man sich problemlos in die Kinder hineinversetzen. Und Polina ist ebenfalls sehr schön dargestellt. Man weiß nie, was in ihr vorgeht, und viele Ideen, was mit ihr los sein könnte, schießen dem Leser durch den Kopf.

Das Hörbuch ist mit Katharina Thalbach als Sprecherin ideal besetzt. Sie beherrscht alle Tonlagen, ob es nun die wutentbrannte Mutter ist, die chaotische Polina, das verschreckte französische Au-Pair, die abenteuerlustigen Kinder. Mit ihrer ungewöhnlichen Stimme passt sie besonders gut zu Polina, da sie durch ihre krächzende Stimme zusätzlich zur erzählten Geschichte eine ganz eigene Persönlichkeit verleiht und sie noch undurchdringlicher wirken lässt.

Es ist ein Genuss, dem Hörbuch zu lauschen, egal ob Kind oder Erwachsener. Eine Geschichte mit Herz und jeder Menge Humor.

Wertung: 9 von 10 Goldfische namens Elvis

SaschaSalamander 20.06.2013, 17.22| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Hörbuch

Das Kind

daskind_1_1.jpgVORAB

Endlich habe ich DAS KIND gesehen. Die ersten Bücher von Fitzek haben mich ja absolut begeistert, er ist ein Meister des Mindfuck und grandiosen deutschen Thriller. Okay, bei den neueren Werken hätte ich mir ausgegorenere Erklärungen für die Geschichte gewünscht, aber man kann nicht nur TopTitel schreiben, ich lese die neuen Sachen trotzdem gerne. Der Ruf nach einer Verfilmung war da also schnell laut.


ÜBER DEN FILM

Im Internet konnte man den Entstehungsprozess und das Crowdfunding mitverfolgen, die Fans wurden mit ihrer Beteiligung in das Projekt eingebunden, von Finanzierung über Plakatgestaltung, Erwähung im Abspann usw. Daher wurde der Film natürlich heiß erwartet und war lange Zeit DAS Thema Nummer eins unter Thrillerfreunden.


MEINE ERWARTUNGEN

Nun ja, was soll ich sagen. Meine Vorfreude: ein Thriller von Fitzek, und noch dazu einer der besten. Meine Sorge: ein deutscher Film, auweia! Leider hat sich die Sorge bestätigt, und ich möchte Fitzek raten, sich lieber auf das Schreiben zu konzentrieren. Obwohl der Film sich sehr um Internationalität bemühte, ist es ein sehr deutscher Film geworden. Und was die Deutschen und ihre Filme betrifft, nun ja, da scheiden sich die Geister, ...


INHALT

Zum Inhalt nur kurz so viel: der 10 jährige Simon behauptet seit der Rückführung, dass er ein Serienmörder sei und noch einmal morden werde. Er kann den Anwalt, der eingeschaltet wurde, sogar zu einem der Opfer führen.


INTERNATIONAL

Der Film stammt aus Deutschland. Es wurde dennoch versucht, ihn international zu gestalten. Das heißt, er wurde in Berlin gedreht (die dreckige Gegend passt so richtig zum düsteren Ambiente, das ist durchaus gelungen, man hat ein paar herrlich dunkle Ecken ausgegraben), aber die Requisiten wurden international gehalten (z.B. ein Schild "Elevator out of order" oder die Schrift an der FlipChart des Psychologen). Auch die Schauspieler wurden nicht nur mit Deutschen besetzt. So wird unter anderem die Rolle des Simon vom jungen Christian Traeumer aus Californien verkörpert, der Anwalt wird von Eric Roberts gespielt. Die deutschen Parts sind mit Ben Becker, Dieter Landuris oder Dieter Hallervorden gut besetzt.


SYNCHRONISATION

Dadurch entsteht ein typisch deutsches Filmproblem: Synchronisation. Ich weiß nicht, wie die Deutschen das schaffen, aber die meisten Filme scheitern meiner Ansicht am Ton. Es wird genuschelt, geflüstert, geschrien, aber immer so, dass man kein Wort versteht. Egal, wiesehr ich mich anstrengte, mindestens ein Drittel der Dialoge war kaum zu erfassen. Dazu kommt in diesem Fall, dass der Film auf Englisch gedreht und im Deutschen nachsynchronisiert wurde. Was dazu führt, dass die Lippensynchronität trotz deutscher Schauspieler und deutscher Stimmen etwas seltsam wirkt.


SCHAUSPIELER

Eigentlich wurde der Film mit vielen Größen besetzt. Umso mehr wunderte ich mich, wie hölzern und gestellt viele Szenen wirken. Besonders Eric Roberts als Anwalt wirkte absolut künstlich. Mal schreit er überzogen und unangemessen, ein andermal haut er völlig trocken böse Drohungen raus, und seine Mimik wirkt dabei stets gespielt. Sunny Mabrey als seine Freundin kam scheinbar keinerlei Funktion zu als lediglich die, danebenzustehen, blond und sexy zu sein.

Ben Becker, das mag jeder anders sehen, er hat viele Fans, aber ich gehöre nicht dazu. Was man ihm aber lassen muss: er wirkt absolut authentisch und kommt gut an, er wirkt nicht aufgesetzt sondern direkt aus dem Leben. Landuris hatte nur eine kurze Rolle, konnte diese aber überzeugend darbieten. Und Dieter Hallervorden - viele haben ein Problem damit, dass er einen Bösewicht spielt. Ich fand das allerdings großartig. Er hat seine Rolle sehr überzeugend gespielt (und als einziger konnte er mir wirklich eine Emotion abringen, während ich den Rest des Filmes unbeteiligt danebensaß), er hat so gut gespielt, dass man gar nicht anders konnte als seine Rolle zu hassen. Ich finde es großartig, wenn ein Schauspieler das fertig bringt, und ich ziehe meinen Hut davor, dass Hallervorden den Mut zu dieser undankbaren Rolle bewiesen hat. Doch außer Hallervorden, Landuris und Becker - Leere und Emotionslosigkeit.


VERGLEICH ZUM BUCH

Der Vergleich zum Buch gehört hier nicht her. Das Buch ist äußerst komplex, und Fitzek ist ein großartiger Autor, der viele Zwischentöne in seine Bücher einbaut. All das in einen Film von gerade einmal 102 Minuten zu packen, das ist nicht möglich. logisch gibt es Abstriche. Dass der Film aber so direkt zur Sache kommt und dann alles zackzack durchackert ohne Punkt und Komma, das hat der Stoff nicht verdient. Vor allem am Ende wird alles so schnell abgehandelt, dass man kaum hinterherkommt, und dann plötzlich ist alles wieder Friede Freude Eierkuchen.

Einige Male habe ich lachen müssen. Das lag nicht in der Absicht des Filmes, aber ich fand ihn an vielen Stellen unfreiwillig komisch. Meine "liebste" Stelle:

SPOILER
Exfrau hat ihn belogen. Eigener Sohn wurde an den Pornoring verkauft. Mehrere Leute sind gestorben. Ein Kind wurde zum Mörder. Viele Kinder wurden missbraucht. Jetzt im Augenblick stirbt ein Kind in seinen Armen (zwar in schöner Umgebung aber viel zu dicht an all den anderen Ereignissen). Kind: "Sei nicht traurig". Er: "Es ist der schönste Tag meines Lebens" *muahaha* entschuldigung, aber da fehlt mir jeglicher Sinn für Kitsch, Dramatisch oder Schmonz, aber ich finde das einfach nur unfreiwillig komisch. Der Zuschauer hatte noch nicht einmal eine Minute Zeit, all die Dramen um den Pornoring zu verarbeiten, schon folgt ein solcher Satz.
SPOILER ENDE


FAZIT

Ein großartiges Buch. Ein nicht einmal mittelmäßiger Film. Der Versuch, ihn international zu gestalten, hat viel von der Atmosphäre zerstört, die er hätte haben können. Weniger Geld in ausländische Schauspieler, dafür mehr Geld in Drehbuch, Dialoge und deutsche Schauspieler investiert hätte diesem Titel gut getan. Fitzek ist eben ein Deutscher: Filme drehen kann er nicht. Aber er kann schreiben wie kein anderer.


WERTUNG: mit ganz viel Extrabonus für den Autor und die ursprüngliche Story geraaaade noch 4 von 10 Engel am Strand

SaschaSalamander 18.06.2013, 08.20| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Film | Tags: Film, Thriller, Deutsch,

Der Mieter

INHALT

Die Vormieterin hatte sich aus dem Fenster gestürzt und liegt im Krankenhaus, es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass sie überlebt. Und so bekommt Trelkovsky die neue Wohnung. Die Nachbarn sind sehr auf Ruhe und Ordnung bedacht, immer mehr muss Trelkovsky sich selbst zurücknehmen, um nicht in der Hausgemeinschaft anzuecken. Was ab hier geschieht, das kann jedoch nur schwer beschrieben werden, ohne etwas vorwegzunehmen ...

Ich habe das Buch begonnen, ohne irgend etwas über die Handlung zu wissen, ich musste mich komplett dem Autor in die Hände legen, und ich habe es nicht bereut, vorab absolut keine Inhaltsangabe dazu gelesen zu haben. Denn ich hatte da eine Ahnung, und die hat sich bestätigt: DER MIETER ist eines der wenigen Bücher, die ihre Wirkung dann am besten entfalten können, wenn man absolut nichts über Genre, Handlung oder Zielsetzung weiß. Wenn man es einfach wirken lässt und abwartet, was geschieht. Wenn man sich seine eigenen Gedanken machen muss und immer tiefer in das Geschehen verstrickt wird ohne zu wissen, was es mit den seltsamen Ereignissen auf sich hat.

Wer aber gerne ein wenig mehr erfahren möchte, kann beruhigt weiterlesen: ich bringe selbstverständlich keine fiesen Spoiler, aber ein klein wenig über die Richtung des weiteren Handlungsverlaufes muss ich schreiben, sonst wäre die Rezension nicht möglich ;-)



CHARAKTERE

Trelkovsky ist absolut durchschnittlich, er steht für jeden von uns, und jeder wird sich zu einem gewissen Grad mit ihm identifizieren können. Das macht einen Teil des Schreckens dieses Buches aus, denn was ihm geschieht, könnte vielleicht auch uns geschehen.

Doch unabhängig von seiner Durchschnittlichkeit ist er natürlich dennoch eine eigene Persönlichkeit. Trelkovsky etwa ist geprägt von Scham, er ist weich und formbar, er versucht es allen recht zu machen, er scheut Konflikte und leidet sehr unter Dingen, die manch anderer einfach mit einem ärgerlichen "Ihr könnt mich mal" beiseite wischen würde.

Dadurch, dass das Buch nicht nur aber zu einem sehr großen Teil vor allem aus seiner Innensicht heraus geschrieben ist, fällt es dem Leser jedoch sehr leicht, sich in ihn hineinzuversetzen. Auch, wenn man selbst anders reagieren würde, sind seine Handlungsweise absolut nachvollziehbar. Der Leser erkennt, dass Trelkovsky selbst gar nicht anders handeln kann, dass er in sich selbst und seiner Umgebung gefangen ist, zielstrebig dem Untergang entgegengeht ohne es verhindern zu können. Diese Unabdingbarkeit war für mich eine große Zerreißprobe, am liebsten hätte ich ihm zugerufen "mensch, dann zieh doch aus" oder "das ist doch völlig egal, vergiss das einfach", und zugleich wusste ich, dass egal was man ihm geraten hätte, er niemals anders handeln konnte. Roland Topor hat eine Figur geschaffen, die in sich selbst so stimmig ist, dass es regelrecht erschreckend ist. Selten habe ich so intensiv mitgefiebert wie in diesem Roman, ich habe Trelkovskys Scham, seine Angst, seinen Wahnsinn und seine Hilflosigkeit regelrecht körperlich gespürt, habe gezittert und war dankbar für jede Pause, die mir zwangsweise auferlegt wurde beim Hören der CDs.

Die anderen Figuren werden aus der Sichtweise des Protagonisten beschrieben. Doch auch sie werden sehr deutlich wahrgenommen und detailreich geschildert, man beginnt sie regelrecht zu hassen.


AUFBAU

Im Grunde beginnt DER MIETER absolut alltäglich. So durchschnittlich Trelkovsky ist, so normal ist auch die Handlung: ein Mann zieht in eine neue Wohnung und muss lernen, sich mit den Mietern, die sich durch Geräusche gestört fühlen, zu arrangieren. Wer hat das noch nicht erlebt? Wie reagiert man, wenn die Nachbarn laut sind? Was sollte man tun, wenn die Nachbarn sich gestört fühlen, man sich selbst jedoch im Recht sieht?

Aus dieser durch und durch banalen Situation gelingt es Topor ein Meisterwerk zu erschaffen. Er steigert die Situationen, bis man sich als Leser fragt, ob das jetzt noch normal ist oder ob es nicht langsam absurde Züge annimmt. Sehr lange bewegt man sich auf einem schmalen Grat zwischen "normale Nachbarschaftsprobleme" und "das geht nun wirklich zu weit". Gerade das ist das Erschreckende daran: wie würde man selbst reagieren? Die meisten wären wohl kulant, würden solche Kleinigkeiten auf sich beruhen lassen, würden freundlich lächeln. Wozu einen Streit vom Zaun brechen. Doch wenn man dies zulässt, warum sollte man sich dann über die nächste kleine Steigerung beschweren? Und irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man spürt, dass die anderen zu weit gegangen sind. Aber ist man nicht selbst schuld, wenn man es bisher zugelassen hat? Wann hätte man einschreiten müssen?

Und als man dann endlich erkannt hat, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, ist es zu spät, darauf zu reagieren. Die Situationen werden immer bizarrer, immer absurder. Doch dabei belässt der Autor es nicht, sondern er überschreitet die nächste Grenze: ist das, was geschieht, überhaupt noch real? Ist das Paranoia? Ist das Mobbing? Sind übernatürliche Kräfte am Werk? Was geschieht hier eigentlich? Und dann, als der Leser endlich begreift, was vor sich geht, ist es zu spät: Trelkovsky steuert auf den Abgrund zu, und jedem von uns wäre genau das gleiche geschehen. Der Leser wird sich seiner eigenen Verwundbarkeit schmerzlich bewusst. Die Frage nach der eigenen Identität schwebt verhängnisvoll im Raum ...

Der Autor lässt uns mit unseren Fragen hilflos zurück. Viele Ereignisse bleiben ungeklärt, lassen mehrfache Interpretationen zu. Ist es symbolisch zu deuten? Ist es tatsächlich geschehen? Was steckt hinter den Ereignissen? An welchem Punkt endete die Realität und begann - ja, was war es eigentlich, was dann begann? Und dann endet alles wieder dort, wo es begann, rückt alles in ein völlig neues Licht. Mindfuck vom Allerfeinsten.


SPRACHE, STIL

Topor schreibt sehr eindringlich und bildgewaltig. Ich fühlte mich teilweise regelrecht erdrückt von dem Gebäude, dem Treppenhaus, der Wohnung. Die Sprache dazu ist einfach und flüssig zu hören / lesen. Die Ereignisse selbst sind größtenteils metaphorisch zu verstehen, die Worte dagegen sind klar und direkt. Der Autor schreibt nicht um den heißen Brei, er nennt die Dinge beim Namen. Der Leser sollte also kein Problem haben, sich auch mit sexuellen, fäkalen und anderen körperlichen Themen auseinanderzusetzen. Was mir daran jedoch gefällt: Schock und Ekel, Topor genießt es regelrecht, immer mehr Dreck aufzuwühlen. Und doch dient es nicht der billigen Schaulust sondern vor allem der der Verdeutlichung der Dramatik der Ereignisse, es ist ein Stilmittel und wurde gekonnt eingesetzt.

Dazu kommt die im Laufe des Buches immer intensiver werdende Innensicht Trelkovskys: Wer ist Freund, wer ist Feind? Wer will ihn manipulieren, wer will ihm helfen? Ist sein Freund ignorant, oder ist er durchsetzungsfähig, wenn er dem Nachbarn die Stirn bietet? Hegen die Nachbarn bösartige Pläne, oder fühlt sich Trelkovsky aufgrund seines geringen Selbstwertes einfach nur beobachtet und verfolgt? Der Leser kann nicht beurteilen, ob die Schilderung der Situation einer verzerrten Wahrnehmung entspringt oder objektiv betrachtet tatsächlich so drastisch zu deuten ist. Hier wurden Sprache und Stilmittel perfekt genutzt.


HÖRBUCH

Edition Eudoba wurde von Jens Wawrczeck ins Leben gerufen. Mit der Umsetzung des Romanes DER MIETER hat er sich nun einen langjährigen Traum erfüllt. Und ich finde, Wawrczeck ist perfekt geeignet als Sprecher für dieses Werk. Virtuos spielt er auf der Klaviatur menschlicher Emotionen, vermittelt Unsicherheit, Sanftheit, Weiblichkeit ebenso wie Stärke, Härte, Männlichkeit hin zu Panik und absolutem Wahnsinn. Vermag die Handlung bereits den Leser zu fesseln, so setzt er noch eines obenauf, macht es noch intensiver, noch eindringlicher. Auch, wenn ich ihn schon oft in Hörbüchern, Hörspielen etc gehört habe, verband ich bisher mit ihm immer Peter Shaw von den Drei ??? (wer nicht?). Seit diesem Hörbuch allerdings werde ich nun auch immer Trelkovsky im Ohr haben und eine Gänsehaut verspüren ...

Die musikalische Untermalung von Henrik Albrecht unterstreicht die geheimnisvolle Atmosphäre und schafft sehr gute Übergänge zwischen den einzelnen Passagen. Das Schlusslied ist französisch und wird gesungen von Wawrczeck selbst. Gehalten im Stil der alten Chansonetten passt es perfekt zur Handlung und rundet die Geschichte sehr schön ab. Ich mag Wawrczeck als Sänger ja sowieso sehr gerne und hoffe, dass es nun endlich einmal eine CD von ihm gibt statt der bisher nur einzelnen Titel.


FAZIT

DER MIETER zeichnet ein anfangs völlig alltägliches Bild, das sich in einer Abwärtsspirale immer schneller dreht. Es lässt den Hörer verstört zurück und gräbt sich tief in das Bewusstsein. Zusehr wird man selbst Teil des Geschehens, als dass man es einfach vergessen könnte. Ein nicht zu beschreibendes Meisterwerk, das man selbst erleben muss ...


SaschaSalamander 17.06.2013, 08.37| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Hörbuch | Tags: Tip, Thriller,

Statistik KW 24

GELESEN / GEHÖRT
1 - Ein Wispern unter Baker Street (B Aaronovitch)
1 - Porterville 08 - D Chronistin d Bösen (A Strohmeyer)
2 - Wächterschwingen 02 - Dunkle Träume (I L Minden)
2 - Das Tal 2.3 - Die Jagd (K Kuhn)
2 - Still (S Cain)


GESEHEN
Abraham Lincoln Vampirjäger


NEUZUGÄNGE
Das gestohlene Lachen (J Berkeley)
Dunkeldingens Düsterschau (C v Aster)
Fleisch (Antho)


ANMERKUNGEN:
1 - komplett
2 - teilweise
3 - abgebrochen

SaschaSalamander 16.06.2013, 20.54| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Statistik

Paranormal Activity - Tokyo Night

paranormaltokyo_1.jpgINHALT

Nach einem Unfall in den USA muss Haruka zurück nach Japan. Dort sitzt sie nun mit zwei gebrochenen Beinen, während ihr Bruder Koichi sich um sie und den Haushalt kümmert. Der Vater ist auf Geschäftsreise. Bald gehen merkwürdige Dinge vor, und Koichi beginnt in der Wohnung zu filmen, um den sonderbaren Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Sie rufen einen Priester, um gegen das Böse in der Wohnung vorzugehen, doch dies erzürnt den Geist noch mehr ...


EINORDNUNG IN DIE REIHE

Der Film ist kein offizieller Teil der PARANORMAL ACTIVITY - Reihe (>Teil 1< und >Teil 3< habe ich bereits rezensiert), sondern ein japanisches Spin-Off. Aber als Fan der Reihe sowie als Liebhaber des japanischen Horrors kam ich um diesen Teil natürlich nicht herum. Und ich muss sagen, dass er mir persönlich sogar enorm gut gefiel.


WAS GLEICH IST

Der Spuk beginnt langsam und wird dann immer gefährlicher von harmlosen bewegten Gegenständen hin zur Besessenheit eines Protagonisten. Und da die Geschichte quasi direkt an den ersten Teil anschließt, kann jeder Zuschauer sich natürlich denken, wie es enden wird. Die Handlung ist also weder eine Überraschung noch ein Twist. Und auch hier gibt es immer wieder einige Momente, in denen man sich fragt "ja, wer hält hier die Kamera, wo ist die befestigt?". Ich finde, man hätte die Idee des Found Footage wesentlich konsequenter umsetzen können statt Handkamera, fixe Überwachungskamera und Filmkamera zu vermischen (eine Schwäche, an der leider 95 Prozent aller Found Footage kranken. Aber ich sehe diese Film ja auch nicht wegen ihres Realismus *g*).


WAS ANDERS IST

Im ersten Teil war die Idee an sich, im zweiten Teil war es dann die Überwachungskamra in verschiedenen Räumen, im dritten Teil vor allem die auf dem Ventilator befestigte Rotation. Im Tokyo-Spin-Off ist das Besondere die Aufteilung in zwei Bilder. Gleichzeitig sieht der Zuschauer links die Schwester in ihrem Bett, rechts den Bruder. Stets ist die Frage, auf welchem der beiden Bilder etwas geschehen wird, das Auge springt von einem Bild zum anderen, stets die bange Frage, ob man gerade etwas verpasst. Zudem kann es geschehen, dass in beiden Bildern etwas geschieht, man die Handlung parallel verfolgt und doppelt gruselt.

Anders ist auch, dass es sich hier nicht um ein junges Paar handelt, sondern um Geschwister. Das gefällt mir, da einmal keine Beziehungskiste ausgepackt wird, sondern das typische Geplänkel zwischen Bruder und Schwester. Das ändert im Prinzip wenig an der Handlung, aber immerhin hat man sich bemüht, der an sich im Grunde gleichlaufenden Handlung ein wenig Variation zu verleihen.


JAPAN-VERSION DES HORRORS

Viele Gesten, die Einrichtung, das Essen, die Kleidung, Verhaltensweisen sind japanisch. Trotzdem sind sowohl die Wohnung als auch die Geschwister sehr westlich angehaucht. Gerade die Einrichtung der Wohnung, die Dekoration, die Kleidung zeigen, wie der Westen immer mehr Einfluss in Japan hält. Dadurch passt der Film sehr gut in die PARANORMAL-Reihe, da sich doch viele vertraute Elemente wiederfinden und der "Kulturschock" für den Zuschauer nicht allzu groß ist (nicht jeder mag bzw kennt Asia-Horror, was mich immer wieder erstaunt, da er für mich inzwischen eigentlich zum Alltag gehört).

Mir gefällt japanischer Horror sehr. Was ich mag ist, dass er nicht so plakativ präsentiert wird wie im Amerikanischen, sondern etwas subtiler. Für Fans des amerikanischen Horros mag dies bedeuten, dass TOKYO NIGHTS langweiliger ist, weil scheinbar weniger passiert. Ich dagegen mag es, weil die Asiaten sehr viel mit Symbolen spielen. Auch die Rituale des Priesters sind optisch ansprechender, weil einfach für uns Europäer ungewohnt und neu. Was ich immer wieder faszinierend finde ist, wie es den Japanern gelingt, die langen Haare der Frauen in den Horror einzubinden. Inzwischen dürfte das nach RING, DARK WATER, JU-ON langsam ausgelutscht sein, aber ich finde es immer noch gruslig, wenn die Haare wirr ins Gesicht hängen, wenn etwas Unsichtbares daran zieht und wenn ein solches Gesicht plötzlisch ins Bild springt *schauder*. Mit noch weniger Effekten als in den vorherigen Teilen wurde wesentlich mehr Spannung und Horror erzeugt als in den amerikanischen Originalen.

Ansonsten ist der Horror wie gesagt oft sehr subtil. Während in den anderen Teilen der Reihe wesentlich mehr geschieht, deutet sich hier einiges anfangs eher an, der Horror spielt sich vor allem im Verborgenen ab, in der Vorstellung des Zuschauers, mit dessen Ängsten hier gespielt wird. Das Ende dann allerdings ein richtiger Schocker, sehr schön umgesetzt und für mich ein absolutes Highlight der Reihe. Nein, überrascht mich diese "Wendung" nicht, es war mir in dem Moment klar, als ich sah, dass sie mit gebrochenen Beinen im Bett sitzt, aber es war einfach genial umgesetzt, ich konnte kaum hinsehen und war doch gebannt, sosehr hat es mich schockiert, geekelt und fasziniert zugleich.


SYNCHRONISATION

Die Synchro fand ich allerdings schrecklich! Die Sprecher hat man nicht allzu gut gewählt, ich bin durch viele Asiafilme und Animes verwöhnt. Hier passen die Stimmen absolut nicht zu den Sprechern, auch die Übersetzung wirkt sehr gekünstelt auf mich und hat mich einige Male schmerzhaft das Gesicht verziehen lassen. In diesem Punkt hätte man sich auf jeden Fall sehr viel mehr Mühe geben müssen!


FAZIT

Wer die PARANORMAL ACTIVITY - Reihe mag, darf sich diesen Teil natürlich nicht entgehen lassen. Wer Asia-Horror liebt, ebenfalls nicht. Ob der Film dann gefällt oder nicht, das ist allerdings Geschmackssache. "Zigster Aufguss, ausgelutscht, vorhersehbar, passiert zu wenig" werden wohl die einen sagen. Ich gehöre zu den anderen, die trotz einiger Mängel sagen: "subtil, erschreckend, viel besser".

Wertung: 9 von 10 einsame, traurige Zierfische

SaschaSalamander 14.06.2013, 08.33| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Film | Tags: Horror, Reihe,

Gute Nacht, PunPun

asano_punpun_1.jpgAls ich GUTE NACHT, PUNPUN las, musste ich gelegentlich aufgrund des Humors und der Darstellung an David Füleki  (>BLUTROTKÄPPCHEN<, >SERIAL SAUSAGE SLAUGHTER<) denken: vordergründig abgedreht und verrückt, dahinter jedoch sehr viel Aussage und jede Menge kunstvoller Stilmittel. Der Manga hat mich sehr beeindruckt, und ich kann es kaum erwarten, die folgenden Bände zu lesen. Ich habe einige Zeit gegrübelt, wie ich all das in Worte fassen soll. Es gibt sehr viel zu analysieren: der Autor verwendet sehr viele Techniken, um aus einer an sich normalen Coming-of-Age-Story ein wirklich abgefahrenes und ungewöhnliches Stück Literatur zu machen, das sich von anderen Titeln abhebt. Und dann, als ich die Rezensionen bei Amazon gelesen habe, sah ich, dass David Füleki selbst diesen Manga empfiehlt. Also, warum soll ich mir dann noch die Mühe machen, wenn er doch schon alles gesagt hat?

Ich habe ihn gefragt, ob ich seine Rezension auch bei mir veröffentlichen darf. Und ich darf. Also, genug von mir, ab jetzt lass ich Def zu Wort kommen.

Aber vorher als Dank für die übernommen Rezi noch ein wenig Werbung, ganz unauffällig und subtil zwischen Vorwort und Hauptfilm, damit Ihr das gar nicht mitkriegt: Def tummelt sich bei >Tokyopop<, >DeviantArt<, >Animexx<, >L-Comix< und natürlich auch >Facebook<. Mit >Entoman< hat er eine aus meiner Sicht ziemlich geniale Kultfigur geschaffen. Er hat schon einiges an Preisen gewonnen und Titel unterschiedlichster Art veröffentlicht. Bei >Wiki< könnt Ihr mehr darüber lesen :-)


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Tatsächlich mal wieder ein Manga, den ich empfehlen möchte. Nachdem ich in den letzten Jahren eher mit Argwohn dem neuen Gesülze aus Japan gegenüberstand, weil es eigentlich nur drei verschiede Comics waren, die immer wieder von anderen Leute gezeichnet wurden, hat es nun doch mal wieder eine dieser seltenen Perlen über das Kaspische Meer geschafft. Die Rede ist von "Gute Nacht, Punpun" - erschienen bei Tokyopop. Dem besten Großverlag, wenn's um mutige Ausreißer-Titel geht.

Im Prinzip ist Punpun (so nennen das die coolen Kids, um's abzukürzen) ein Slice-of-Life/Coming-of-Age-Comic und erinnert an Genre-Klassiker wie "Stand By Me" oder die Jugend-Episoden aus "20th century boys". Aber es gibt zwei nette Boni:

1. Gemäß der japanischen Tradition des medialen Avatars zum Füllen mit eigenen Gefühlen und Assoziationen gibt es in Punpun keinen richtigen Helden, sondern einen Platzhalter. Wie bei Pendants wie Link in "Zelda", Ryu in den "Breath of Fire"-Spielen oder den Helden in "Dragon Quest", redet der Held nicht wirklich, hat kein echtes Aussehen (sein Platzhalter ist ein stilisierter Strichmännchen-Vogel - so wie Entoman).
Durch den hohen Abstraktionsgrad ist der Leser selber gefordert, die charakterlichen und zwischenmenschlich interaktiven Lücken zu Füllen. Coole Idee, geglückt umgesetzt - das kann nämlich auch ordentlich schief gehn.

Der andere Twist gegenüber Genre-Nachbarn: Der Comic glorifiziert - soweit das geht - die Kindheit mit all ihren Schattenseiten. Das heißt, er erzählt zum einen rein aus Kindersicht und blendet somit auch das Weltwissen das Autors weitgehend aus. Die Folge ist endlich mal ein Werk, das junge Menschen ernst nimmt und ihnen keine bescheuerten sprechenden Toaster und Lokomotiven serviert, um sie an der Hand zu nehmen und sicher durchs Leben zu bugsieren, bis sie 45 Jahre alt sind.
Genauso ist das ein nötiger Schlag ins Gesicht für all die Spinner, die die Floskel rauspalavern, dass es doch so schön und einfach war, als man noch klein war. War's eben nich! Die Scheiße verlagert sich nur im Alter und man vergisst gerne mal die Aversionen des Großwerdens.

Punpun feuert einem die Runterzieher kapitelweise um die Ohren - richtig so!

Ferner geht die Kindersicht einen Schritt weiter und verzerrt den Blick auf Erwachsene. Die Folge sind bizarre Entgleisungen der Großen. Dumme Fressen, unwirkliche Verhaltensweisen. Die Erzählersicht versteht eben die Erwachsenen nicht und reagiert mit einer derartig verfremdeten Wahrnehmung. Ziemlich gediegen.

Was aber unterm Strich bleibt, ist das unbehagliche Gefühl, dass es sich hier tatsächlich um einen Manga handelt, der mir gefällt - und das Schicksal will es für gewöhnlich, dass Manga, die mir gefallen, nach 'n paar Bänden wieder eingestellt werden, weil Deutschland keinen großen Markt für so gute Titel hat.
Stichwörter: "Gantz", "Yakitate!! Japan", "What's Michael?" ...

Mal gucken, ob Punpun durchhält.

SaschaSalamander 13.06.2013, 08.18| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Manga | Tags: Tip

Zwienacht

weber_zwienacht_1.jpgAUTOR

>Raimon Weber< kenne ich vor allem durch seine Drehbücher zu den Hörspielen des >DARKSIDE PARK< und >PORTERVILLE<, GABRIEL BURNS und >MINDNAPPING<. Er hat jedoch auch einige Romane geschrieben. Neugierig, wie ich bin, muss ich die natürlich alle irgendwann lesen. Da ZWIENACHT mich vom Inhalt her am meisten ansprach, habe ich also mit diesem begonnen.


INHALT

Nach einem peinlichen und für ihn unerklärlichen Vorfall zieht Richard, Bestsellerautor, in eine neue Stadt, er taucht unter und beginnt ein neues Leben. Doch abgesehen von seiner Schreibblockade leidet er plötzlich an Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Er sucht einen Psychiater auf und hofft sein Leben endlich wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Dann ist da noch Maria, die freundliche Krankenschwester des mobilen Pflegedienstes und einige Nachbarn. Immer enger webt sich das Band, das sie verbindet und auf ein gemeinsames Ende zusteuern lässt. Doch was geht tatsächlich in diesem seltsamen Haus vor sich? Ist Richard krank, oder steckt mehr dahinter?


AUFBAU

Spannung baut sich hier auf drei Ebenen auf: im ersten Drittel strebt der Leser danach, mehr zu erfahren über die seltsamen Vorfälle, die zu Richards Umzug führten. Es passiert nicht wirklich etwas, der Autor führt gemütlich und mit Bedacht einzelne Figuren in den Roman ein, zeigt dem Leser - ganz typisch im Horrorgenre, absoluter Klassiker - eine alltägliche, scheinbar normale Welt mit einem etwas aus der Bahn geratenen Protagonisten. Kein Grund zur Sorge, alles in Ordnung, kleine Unregelmässigkeiten gibt es überall. Der Leser wiegt sich in Sicherheit, wäre da nicht die seltsame Vorgeschichte und die Frage, was es mit den einzelnen Charakteren auf sich hat ...

Dann im zweiten Drittel beginnt es langsam unheimlich zu werden. Lauter kleine Vorfälle, hier ein seltsames Geräusch, dort eine leicht verzerrte Wahrnehmung, dort eine komische Bemerkung, eine ungewöhnliche Beobachtung. Dinge liegen da und sind plötzlich weg, ein seltsamer Anruf. Dazu eine Szene, die recht eklig ist und vermutlich über bloße Einbildung hinausgeht. Aber wer zur Hölle tut so etwas? Die Fassade bröckelt, der Alltag bekommt - wie auch das Mauerwerk in Richards Wohnung - tiefe Risse. Der Leser bekommt eine Gänsehaut, schaltet abends kurz das Licht ein, bevor er ins Bad geht.

Und im letzten Drittel zieht Raimon Weber alle Register. Langsam kommt Licht in das Geschehen, die Charaktere finden zueinander, das Geschehen ist am Höhepunkt, der Leser rast nur so über die Seiten und kann das Buch nicht mehr beiseite legen. Man ekelt sich aber muss doch hinsehen, es ist grausig aber man will es nonstop lesen, und bitte nachts das Licht dauerhaft brennen lassen!


CHARAKTERE

Drei Protagonisten gibt es zu Beginn: Richard Gerling, der Hauptprotagonist. Billy, anfangs ein Fremder für den Leser. Und "den Reisenden", einen brutalen Serienmörder. Anfangs ist unklar, wie sie zusammen hängen. Billy und der Reisende bleiben lange im Dunkeln, über Richard erfährt man bald mehr. Was ihn antreibt, was ihn bewegt, das erfährt man recht schnell. Warum er jedoch so seltsam ist, das ist Teil der Kernfrage. Dadurch fällt es schwer, sich in eine der Figuren hineinzuversetzen, sie sind bewusst undeutlich gezeichnet. In ZWIENACHT ist man weniger ein Beteiligter als vielmehr ein Zuschauer in erster Reihe. So, wie die Charaktere sich untereinander beobachten, so beobachtet auch der Leser und muss schrittweise die Puzzleteile an die richtige Stelle setzen.

Eine Figur gibt es jedoch, die überdeutlich hervorsticht: Maria. Ich mochte sie vom ersten Moment, und sie wurde immer sympathischer, mit ihr habe ich mitgefiebert, gelitten, gezweifelt, gebangt. Sie ist der Lichtstrahl in dem ansonsten eher düsteren Setting.  


EIGENE MEINUNG

Hier bei ZWIENACHT saß an Ort und Stelle, das Buch ist rückblickend in sich absolut stimmig. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass eine der Figuren zwar die Spannung erhöhte und den obligatorischen Sex-Sells-Aspekt in den Thriller brachte, jedoch nicht wirklich etwas zur Handlung beitrug und somit für mich eher überflüssig war (aber das ist Geschmackssache. Ich kann mir vorstellen, dass andere Leser genau diese Figur besonders gelungen fanden). Und auch, wenn der Anfang der Atmosphäre dient und insgesamt sehr gut zum Aufbau passt, hatte ich die ersten 20 Prozent des Buches noch nicht wirklich das Gefühl "ich muss jetzt unbedingt sofort weiterlesen". Doch nachdem ich dann in die Handlung hineingefunden hatte, wurde es recht bald zum Pageturner.

Das Korrektorat - zugegeben, ich bin von der Psychothriller GmbH Besseres gewohnt, hier hat man ein paar Kleinigkeiten übersehen. Aber gut, es waren keine drastischen Fehler, man konnte flüssig darüber hinweglesen.

Trotz dieser beiden kleinen Anmerkungen - ich war absolut begeistert, nachdem ich das Buch abgeschlossen hatte. Was mir an Raimon Weber immer wieder gefällt: er versteht es, Spannung aufzubauen und mit Bildern zu arbeiten, die eher unterbewusst wirken. Viele kleine Symbole und Andeutungen, kurze Momente, Dialogfetzen, das passende Wetter, immer das richtige Wort. Horror im Oldschool - Style, wunderbar ruhig, subtil und unaufdringlich. Dann mal ein, zwei eklige oder derbe Momente, um den Leser so richtig wachzurütteln, aber sofort fährt er wieder herunter und deutet auf den Riss in der Fassade - als wolle er verschmitzt fragen "na, willst Du WIRKLICH wissen, was dahinter auf Dich lauert?" ...

Und was mir hier besonders gefällt: die Lösung ist schlüssig und klar, die Handlung sehr gut geplottet. Von Beginn an gibt es viele kleine Hinweise, und doch wusste ich bis zum letzten Moment nicht exakt, was nun hinter all den Vorfällen steckt. Es ist lange unklar, in welche Richtung sich ZWIENACHT entwickeln wird, ob es nun ein Mindfuck ist, ob übernatürliche Elemente im Spiel sind, ob jemand wahnsinnig wird, ob es blutig endet oder oder oder. Sehr, sehr oft wurde ich schon von anderen Autoren enttäuscht in diesem Genre. Hier jedoch wird alles sehr schön aufgelöst. So simpel und logisch, dass man sich fast schon fragt "wie, das war es jetzt"? Und DAS gefällt mir: so eine abgef*ckte, verdrehte Handlung und so eine simple Lösung. Genial! Darauf muss man als Autor erst einmal kommen.


FAZIT

Ein Roman, der mir außerordentlich gut gefallen hat, nachdem ich mich etwas eingelesen hatte. Raimon Weber versteht sein Handwerk und überzeugt die Leser mit eindringlichen Bildern und überzeugenden Plots.

Wertung: 7,5 von 10 blaue Schlieren

SaschaSalamander 12.06.2013, 09.16| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Buch | Tags: Thriller, Deutsch, Mindf*ck, Horror, Tip,

Um das Böse zu besiegen

spieker_boese_1.jpgKlappentext:
Es gibt gute Gründe dafür, sich mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Das Böse ist nämlich immer. Und überall. Es muss nicht gleich die große Apokalypse sein. Die kleine reicht auch schon. Einmal ins falsche S-Bahn-Abteil zu den falschen Leuten gestiegen und man liegt kurz darauf am Boden, während es Tritte und Schläge hagelt. Sadistische Lehrer, brutale Mitschüler, mobbende Chefs, stalkende Kollegen, Ehrabschneider und Gerüchtestreuer - sie alle können unser Leben infernalisch machen. Darauf muss man sich gefasst machen. Spieker [...] nimmt Bezug auf aktuelle Tragödien, die die Welt erschüttert haben, aber auch auf alltägliche Gefahren im Leben jedes Einzelnen. Und er zeigt, wie man sich gegen das Böse wappnen kann, wenn man es erst erkannt hat. Am Ende, da ist er sich sicher, ist die Liebe stärker.

Der Autor wirft in seinem Buch viele Fragen auf. Diese kann er natürlich nicht beantworten, das maßt er sich nicht an und ist wohl auch nicht möglich. Dennoch bietet das Buch sehr viele interessante Diskussionen und Ansatzpunkte, sich ausführlichere Gedanken über das Thema zu machen.

Markus Spieker geht als überzeugter Christ an die Sache heran. Dem ist prinzipiell nichts entgegenzusetzen, da eigene Erfahrungen und Werte wohl bei jedem Sachbuch in ein Werk einfließen und gerade bei diesem Thema Relgion eine große Rolle spiel. Seine Definition darüber, was böse ist, lässt mich allerdings einige Male mit dem Kopf schütteln. Auch seine Ansicht über einige Themen lassen mich daran zweifeln, ob er wirklich unbefangen an das Thema "Das Böse" herangegangen ist oder nicht doch zu sehr die christlichen Erklärungen zu Rate zieht und zu unaufgeschlossen gegenüber anderen Ideen ist.

Natürlich ist es nicht in Ordnung, den Partner zu betrügen. Aber dass ein Bordellbesuch in der Aufzählung zusammen mit Amoklauf, Mord, Drogen und anderen Dingen, genannt wird, irritiert mich dann doch. Auch seine Einstellung gegenüber Homosexualität zeigt mir, dass er und ich wohl viel Diskussionsgrundlage hätten und niemals an einem Strang ziehen könnten.

Ein weiteres Problem: er benennt stets das Gute und das Böse. Dazwischen gibt es viele Facetten. Diese werden nur selten angesprochen, etwa der Fall der in Amerika zum Tode Verurteilten, die sich dann zum Christentum bekannte. Oder wenn er klar die Schwierigkeit benennt, ob Gewalt zur Abwehr weiterer Gewalt verwendet werden darf. Mir ist das abgesehen von diesen wenigen Ausnahmen trotzdem zu schwarz-weiß, zu eindimensional, zu plakativ. Seine Argumentation zeigt mir, dass er manche Dinge einseitig betrachtet. Und als er beschreibt, dass das Böse oder Gute nicht im Menschen liegt, aber gelernt werden kann, zieht er als Beispiel die Geschwister Scholl und ihre vorbildliche christliche Erziehung heran. Hallelujah, Amen.

Mag sein, dass er beruflich viel mit dem "Bösen" zu tun hat. Und seine Erfahrungen mögen genauso richtig sein wie meine. Aber es sind halt seine persönlichen, keine wissenschaftlich fundierten (Was allerdings seine Lösungsansätze betrifft - da habe ich oft zustimmend genickt. Ja, dem stimme ich in vielen Punkten zu. Und ich sehe da noch sehr viel Handlungsbedarf in unserem Rechtssystem)

Nein, von daher kann ich das Buch nicht empfehlen, weil es Dinge verbreitet, denen ich ganz und gar nicht zustimme. Man empfiehlt nur das, wovon man auch überzeugt ist. Auf der anderen Seite ist das Buch sehr gut geschrieben. Es ist gut gegliedert, die Kapitel sind didaktisch geschickt aufeinander aufgebaut, führen die Diskussion stetig voran, er stellt intelligente Fragen, setzt sich weitreichend und auf verschiedenen Ebenen damit auseinander und bringt zum Abschluss zwar keine Lösungen aber interessante Ansätze und Gedanken. Ich halte es für sehr wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

Auch, wenn ich ihm oftmals nicht zustimmen konnte, hat mich das Buch sehr bereichert. Seine Gedanken haben mir Anlass zum angeregten Nachdenken gegeben. Und um zu sagen "ich bin anderer Meinung" muss man sich erst einmal damit auseinandersetzen, muss eigene Argumente finden, begründen. Ich habe mit anderen Personen viel über einige der Inhalte diskutiert. Manche der Aussagen gingen mir noch später durch den Kopf und haben mich beschäftigt. Von daher - auch, wenn ich es nicht aus Überzeugung empfehlen kann, rate ich dennoch zur Lektüre ;-)

Wertung: ach jeh, wie bewertet man etwas, das gut gemacht ist aber so völlig einigen eigenen Überzeugungen (die ja nicht die einzig richtigen sein müssen) widerspricht? Was für ein Glück, dass ich das nicht muss ...

SaschaSalamander 10.06.2013, 09.11| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Rezensionen Buch | Tags: Fachbuch, Deutsch,

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