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Blogeinträge (Tag-sortiert)
Tag: Drama
Shortbus
Eine klassische Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Protagonistin ist die Paartherapeutin Sofia, die selbst noch niemals einen Orgasmus erlebt hat. Im Club "Shortbus" trifft sie auf weitere Hauptcharaktere. Etwa ein schwules Paar, von denen einer polygam ist und der andere Suizidgedanken hegt. Eine Domina auf der Suche nach Heim und Herd. Der trannssexuelle Leiter des Clubs. Ein Voyeur, der dem schwulen Pärchen gegenüber wohnt. Und einige weiteren interessanten Personen, die man im Laufe des Filmes kennenlernt. Sie treffen sich im Club, tauschen sich über ihre Erfahrungen beim Orgasmus und während des Sex aus, leben ihre Lust und tragen ihr inneres Leid täglich mit sich. Es geht weniger um die Handlung, auch nicht um den (ausgiebig gezeigten) Sex, vielmehr um die Charaktere, ihre Wünsche und Sehnsüchte. Und die Darstellung von Sexualität als etwas Alltäglichem.
CHARAKTERE
Die Protagonisten sind sympathisch, skurrill und ungewöhnlich. Das Ungewöhnliche daran ist, dass sie auf ihre Weise absolut normal sind. Sie sehen normal aus, der Film wurde "normal" gedreht, so als hätte man beliebige sexuell aufgeschlossene Personen von der Straße genommen, um einen Film zu drehen. Das gefällt mir, da es keine Superheroes, aber auch keine klassischen Antihelden sind. Sondern ganz normale Menschen. Es bleibt für den Zuschauer sehr viel Raum zur freien Interpretation. Wir haben während des Filmes viel diskutiert, auch kurz pausiert, um mögliche Bedeutungen einzelner Szenen zu hinterfragen. Die Vergangenheit, die Motive, die tatsächlichen Gefühle und Gedanken bleiben dem Zuschauer fern. Es wird zwar über Sex geredet, doch die wahren Gefühle dahinter sind vor der Kamera verborgen. Sehr viel Handlung ergibt sich aus Kameraführung, Blicken, Gesichtern und schweigend vollführten Aktionen.
SEXUALITÄT
Hier wird sehr offen und freizügig alles gezeigt. Dass der Film ab 18 sein muss, ist unbestritten. Man sieht deutlich Geschlechtsteile, bereits zu Beginn des Films werden die Protagonisten in sehr expliziten Szenen gezeigt, sowohl alleine als auch zu mehreren. Hierbei wird bereits klar, dass es weniger um den Sex als solchen geht, als vielmehr um die kunstvoll inszenierte szenische Darstellung durch die Filmemacher. Musik, Bild, Schnitt, alles geht Hand in Hand und vermittelt ein sehr geschmackvolles Bild.
Wer es gerne "normal" möchte, wird den Film schnell ausschalten. Es gab nicht eine "normale" Szene in diesem Film (bis auf ein Paar zu Beginn, und selbst hier waren die Positionen sehr kreativ und sportlich). Hier gibt es Homosexuelle, Transsexuelle, Gewerbliche. Senioren und Jungspunde. Menschen, die es liebend und innig wollen, andere die Schmerz und Demütigung wollen. Paare in geschlossenen Beziehungen ebenso wie polyamouröse Bindungen. Und alle streben sie nur nach einem: zu sich selbst zu finden und Zufriedenheit zu erfahren, jeder auf seine Weise. Nichts davon wird pervertiert oder abgewertet, alles hat seine Berechtigung, der Film zeigt eine pralle Vielfalt, ohne dabei anrüchig zu werden.
Erstaunlich ist, dass der Film eindeutig dem Genre Porno zugeordnet werden müsste, weil sehr deutlich alles gezeigt wird, sogar die Vereinigung von Geschlechtsteilen sowie genitale Nahaufnahmen. Trotzdem ist er weder erregend noch empfunden pornographisch, weil in diesem Fall die Darstellung nicht dem sexuellen Kontext dient sondern allein dem Aufzeigen der Geschichte, die ohne große Worte auskommt und sich dafür sehr intensiver Bilder bedient. Auch ist die Handlung nicht geschönt oder wie in Pornos üblich bis ins Unrealistische übersteigert, sondern sehr realitätsnah gehalten. Etwa der Dreier, bei dem die Männer anfangen mitten während des Sex herumzualbern und am Ende lachend beisammenliegen. Die hilflosen Versuche, durch eigenhändige Stimulation einen Orgasmus zu erlangen und doch immer wieder zu versagen. Das schnöde Abreagieren, die leidenschaftliche Lust, alles findet einen Platz in diesem Film, solange es realistisch bleibt und keine Hochglanz-Kopfkinos bedienen soll.
AUSSAGE
In diesen Film darf jeder hineininterpretieren, was er möchte. Der eine wird sich an den kreativen Bildern erfreuen, vielleicht sogar erregen (auch wenn das sicher nicht die Intention des Filmes ist). Andere mögen sich mit einer der Protagonisten identifizieren, sich auf diese Weise verstanden fühlen, mitleiden. Ein anderer freut sich über das lockere Ambiente des Clubs, die Freizügigkeit der Charaktere untereinander. Andere mögen sich animiert sehen, über Sinn, Unsinn und Relevanz von Sexualität zu philosophieren. Was der Film vor allem zeigen möchte: Sexualität alleine macht nicht glücklich. Aber sie ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Jeder darf leben und lieben, wie er das möchte, muss seinen eigenen Weg dafür finden.
FAZIT
SHORTBUS ist ein zutiefst menschlicher und bewegender Film, der in der Darstellung von unterschiedlichen Sexualpräferenzen kein Blatt "vor die Linse" nimmt. Angesiedelt zwischen Tragikomödie, Erotik und Charakterstudie ist dieser Film ein kleines Meisterwerk des Independent. Ein Film zum Lachen, Weinen und Nachdenken ...
SaschaSalamander 09.01.2012, 09.09 | (0/0) Kommentare | PL
Raum
RAUM ist geschrieben aus der Sicht des kleinen Jack. Was der Leser schnell begreift: Jacks Mutter wurde vor sieben Jahren entführt, der Täter hält sie seitdem in einem winzigen schallisolierten Schuppen gefangen und missbraucht sie. Jack ist der Sohn des Entführers. Inzwischen ist Jack fünf Jahre alt, und was für andere Menschen Folter ist, das ist für ihn die Normalität, er kennt es nicht anders, der RAUM vermittelt ihm Geborgenheit, und seine Mutter tut alles, dass der Kleine so gut als möglich aufwachsen kann, sie unterrichtet ihn, spielt mit ihm, fordert ihn. Doch an seinem fünften Geburtstag erzählt sie Jack, dass der Raum nicht die einzige Welt ist, und dass es außerhalb dieser vier Wände mehr gibt. Die Figuren im TV sind echt, und sie kommt ursprünglich von dort draußen, und dort möchte sie auch wieder hin, und gemeinsam mit ihrem Sohn schmiedet sie nun einen wagemutigen Plan, ihrem Gefängnis zu entkommen.
AUFBAU
Das Buch ist gegliedert in fünf Teile. Ich möchte nicht spoilern, deswegen gehe ich hierauf nicht ein. Da ich vorher keine Rezensionen las, hat der Fortgang des Buches mich sehr überrascht. Anhand der Kapitel hätte ich es erahnen können, aber im Nachhinein sind natürlich Dinge klar, die man vorher nicht verstand, sodass ich über die Wendung dann sehr erstaunt war, da ich mit einem anderen Buch gerechnet hätte (und der letzte Satz, den ich so gerne lese, in der Tat einen falschen Eindruck vermittelte. Clevere Schachzug der Autorin!)
JACK
Das Buch ist geschrieben aus der Sicht des kleinen Jack. Schon nach den ersten Sätzen war er mir so sympathisch, dass ich das Buch nicht mehr zur Seite legen konnte. Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die kindliche Sprache wiederzugeben, und der Leser hat sofort ein klares Bild vor Augen, wenn er an Jack denkt. Er ist klein und blass, er kennt kein Tageslicht, seine Haare haben noch keine Schere gesehen. Aber er ist flink und intelligent. Seine Mutter hat rund um die Uhr Zeit, ihn zu unterrichten, und spielerisch erfährt Jack mehr als so manch andere Kind seines Alters. Doch so intelligent er in manchen Dingen ist, so überfordert ist er von anderen Bereichen, die außerhalb des Raumes liegen, und die Welt draußen ist eine Belastung für ihn.
Gemeinsam mit Jack betrachtet der Leser die Welt aus den Augen eines Kindes. Naive Fragen, unschuldig, rein. Was andere Menschen täglich sehen und begreifen, ist für ihn fremd und muss erlernt werden, und so stellt er alles infrage, was für uns Alltag ist.
Dem Leser wird schmerzlich bewusst, dass alles, was Jack als Spiel empfindet, grausame Realität für seine Mutter ist. Sie spielen "Schreien" und stellen sich an das Oberlicht des Schuppens und lärmen, soviel sie können. Ein witziges Spiel, bei dem Jack sich herrlich verausgaben kann. Für seine Mutter der verzweifelte Versuch, andere Menschen auf sich aufmerksam zu machen. Das Sparen und Haushalten mit den wenigen Besitztümern ist für die Mutter eine Qual, Jack dagegen macht es Spaß, die Eier nicht zu zerschlagen sondern auszublasen und daraus eine Schlange zu basteln, sodass er wenigstens ein kleines Spielzeug in seinem RAUM hat.
ANDERE CHARAKTERE
So deutlich Jack dem Leser ist, so klar er Einblick in seine Gefühle und Gedanken gibt, sosehr sind andere Figuren verschwommen. In die Mutter kann man nicht hineinsehen, Jack beschreibt sie, er liebt sie, sie ist alles, was er hat, aber er ist noch ein kleines Kind und sieht die Welt mit anderen Augen. Und so ist vieles für ihn unbegreiflich, was sie sagt oder tut. Er ist eben ein Kind, quengelig und trotzig, und wenn er gegen seine Mutter aufbegehrt, dann zerreißt es dem Leser schier das Herz, denn der Leser weiß, wiesehr seine Mutter ihm gerne ein normales Leben bieten würde, wie gerne sie ihm Kerzen auf den Kuchen geben würde, doch Jack verlangt nur und begreift nicht, was dies wirklich bedeutet.
Der Täter, von Jack "Old Nick" genannt nach einer Filmfigur, bleibt sehr unklar. Er vergewaltigt die Mutter, aber dies ist niemals voyeuristisch. Wie sollte es auch, weiß Jack nichts von der wahren Bedeutung und findet seine eigenen Möglichkeiten, mit diesen Momenten umzugehen und sie in seine kleine Welt einzufügen. Alles, was außerhalb von Jack liegt, bleibt zu einem großen Teil die freie Interpretation des Lesers, und das ist oft schlimmer, als wenn man den Dingen einen klaren Namen geben würde ...
SPRACHE, STIL
Die Autorin verfasst das Buch in der Sprache eines Fünfjährigen. So werden Vergangenheitsformen manchmal falsch verwendet (genimmt, geschneidet, etc), einige Wörter konsequent falsch gesprochen (Scherztablette). Auch sagt er z.B. immer "anstatt" statt "statt dessen", und manchmal musste ich schmunzeln, weil ich die Übersetzung sehr gelungen fand und die Darstellung der einzelnen Begriffe und Formulierungen sehr realistisch.
Außerdem personifiert er die meisten Objekte (was gesunde Fünfjährige wohl auch tun, aber keinesfalls in diesem Ausmaß, was ein Zeichen von Jacks Deprivation ist). So spricht er von Pflanze auf Schrank, er guckt aus Oberlicht, er schläft auf Teppich und spielt mit Eierschlange. Das ist anfangs niedlich (und erschreckend, wenn man den Grund dafür bedenkt), mit der Zeit wurde es für mich anstrengend, und nach etwa der Hälfte des Buches überlas ich es dann einfach und störte mich nicht mehr daran.
PERSÖNLICHE MEINUNG
Ich habe viel Gutes über das Buch gehört, mich zuvor aber nicht zu intensiv damit befasst, um keinen Spoiler zu erhalten. Deswegen hatte ich die Befürchtung, das Buch könnte möglicherweise voyeuristisch sein oder einfach nur auf einer Welle mitreiten, wo doch inzwischen immer mehr Fälle dieser Art bekannt werden. Dies war zum Glück nicht der Fall. Das Buch mag durch einen solchen Fall inspiriert sein, befasst sich jedoch einzig und allein mit der Wahrnehmung des betroffenen Kindes. Und diese hat mit Voyeurismus, Vergewaltigung, Folter, Freiheitsberaubung und dergleichen Dingen nichts zu tun.
FAZIT
RAUM ist ein Buch, das man kaum beschreiben kann. Man muss es erleben, um es zu begreifen und zu verstehen. Man muss bereit sein, sich auf die Sichtweise des Kindes einzulassen, darf nicht analysieren. Und man muss akzeptieren, dass gerade das, was viele eigentlich lesen wollen, in diesem Buch nicht zu finden ist, einfach weil es Jack nicht interessiert. Lasst Euch von Jack an die Hand nehmen, und er wird Euch zu vielen neuen faszinierenden Entdeckungen führen, wird Euch lehren, die Welt vorübergehend mit den Augen eines Kindes zu sehen.
SaschaSalamander 27.10.2011, 09.02 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL
Ich darf nicht schlafen
Das Buch wird angepriesen als ein Thriller, was ich jedoch nicht als solchen empfand. Es war vielmehr ein Drama um eine Frau, die auf der steten Suche nach sich selbst ist. Ähnliche Situationen kennt man aus verschiedenen Filmen und Büchern, Amnesie ist ein beliebtes Thema in den Medien, weil es sehr gut Spannung erzeugen kann, wenn der Leser immer ein klein wenig mehr weiß als der Protagonist.
Auch hier ist dies sehr gut gelungen. Allerdings wirkt es wie gesagt nicht wie ein Thriller, dazu wirkt die Situation nicht bedrohlich genug. Ich hatte eine Ahnung, die sich gegen Ende auch bestätigte, doch die daraus resultierende Gefahr wirkte im Verlauf des Buches nicht wirklich so groß, vielmehr war ich verwundert und fragte mich, wie und warum es dazu gekommen sein könnte. Es ist ein Pageturner, auf jeden Fall, die Erfahrungen und Erinnerungen werden geschickt so aufgebaut, dass man im nächsten Moment immer ein kleines weiteres Puzzleteil in die Finger gespielt bekommt, und immer glaubt man das Bild nun besser zu erkennen und möchte noch flink das nächste Teil einfügen, schnell noch ein Kapitel lesen, schnell noch einen Track hören.
Ein kleines Manko, das ich nicht als Punktabzug gelten lassen möchte, das mich aber beständig ein wenig wurmte: die Tagebucheinträge sind keine Tagebucheinträge sondern geschrieben in Romanform. Christine sitzt oben in ihrem Zimmer und schreibt, sie muss sich beeilen, hat kaum Zeit und fürchtet entdeckt zu werden. Und dann schreibt sie in detailierter Romanform ausführliche Handlungsbeschreibungen? Mir ist klar, dass man nicht das komplette Buch als Tagebuch schreiben kann, das wäre zu anstrengend für den Leser. Aber ich hätte es gut gefunden, wenn wenigstens die Ich-Erzählerin einen Vermerk gemacht hätte, dass sie ihr Tagebuch nachträglich überarbeitet hat, um dem Leser nun diese Geschichte zu erzählen. So dagegen musste ich mir einige Male an den Kopf langen, wie unrealistisch der entsprechende Text in einem Tagebuch wäre.
Was mir am Hörbuch besonders gefällt ist Andrea Sawatzki. Ich mag ihre Stimme, höre sie sehr gerne, und sie verleiht den Charakteren auf eine Weise Leben, dass man sie vor sich zu sehen glaubt. Ich konnte mir Christine sehr gut vorstellen und in sie hineinversetzen.
Das Ende war wie gesagt zu erwarten, jedoch kam auch im Showdown für mich nicht wirklich eine Bedrohung auf, nur für einen kurzen Moment, der dann jedoch auch sehr schnell wieder verflog, bis sich alles in Wohlgefallen auflöste. Vielleicht bin ich zu abgebrüht, vielleicht wurde das Buch ja auch einfach ungünstig vermarktet. Oder günstig, denn ein Thriller mit diesem Thema dürfte wohl höhere Verkaufszahlen erreichen als ein Drama mit gleichem Inhalt
Insgesamt jedenfalls ein spannendes und unterhaltsames Buch. Kein Novum, kein herausragender Bestseller, den momentanen Hype nicht wert. Aber durchaus zu empfehlen und sehr gut geschrieben, ich freue mich auf weitere Titel aus gleicher Feder :-)
SaschaSalamander 25.10.2011, 09.59 | (0/0) Kommentare | PL
Sieben Minuten nach Mitternacht
Normalerweise habe ich beim Lesen eines Buches bereits Gedanken im Kopf, was ich in die Rezension schreiben möchte. Dieses Mal nicht, ich fühle mich leer. Das Buch hat mich komplett eingenommen, sodass ich an nichts anderes denken konnte währenddessen. Und ich weiß auch nicht wirklich, wie ich das, was ich nun fühle, in Worte fassen soll. Manchmal fällt es so unendlich schwer, seinen Gedanken Gestalt zu verleihen. Es gibt Dinge, die man selbst erleben muss, weil andere sie nicht erzählen können. Und doch hat der Autor in diesem Buch es geschafft, unaussprechliche Gefühle in klare, kindgerechte Worte zu packen. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Meisterleistung und möchte SIEBEN MINUTEN AN MITTERNACHT als ein ganz besonderes Buch für Leser aller Altersklassen empfehlen.
Die letzten beiden Kapitel dieses Buches musste ich mehrfach unterbrechen. Ich musste sosehr weinen, dass der Text vor meinen Augen verschwamm, und ich hätte gerne laut aufgeschrien über die Ungerechtigkeit, und zugleich fühlte ich mich so erleichtert und frei, als zum Schluss endlich die Wahrheit ausgesprochen wurde und das Buch zwar kein glückliches aber ein erlösendes Ende fand.
VORGESCHICHTE DES BUCHES
Patrick Ness ist Literaturkritiker beim GUARDIAN. Siobhan Dowd war Redakteurin und freischaffende Autorin, sie verstarb 2007 an Krebs. Zuvor erarbeitete sie das Exposé des vorliegenden Buches, doch sie kam nicht mehr zu ihrer Ausarbeitung. Dies hat Patrick Ness für sie übernommen, er erzählt im Vorwort die bewegende Geschichte dieses Buches.
INHALT
Conor hat jede Nacht einen schrecklichen Albträum. Und um 00.07 kommt das Monster, er fürchtet sich. Bis er sieht, dass das Monster nach Mitternacht gar nicht das Wesen aus seinem Albtraum ist. Das Monster macht ihm keine Angst, denn er hat schon viel schlimmere Dinge gesehen, und so beginnt eine seltsame Freundschaft zwischen den beiden. Bald beginnt das Monster Conor drei Geschichten zu erzählen. Der Junge versteht den Inhalt der Geschichten nicht, und die vierte Geschichte soll er erzählen, denn in ihr steckt die Wahrheit. Der Grund, warum das Monster ihn jede Nacht besucht. Doch vor dieser Wahrheit hat Conor Angst:
Conors Mutter leidet an Krebs, sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, doch bald wird sie sterben. In der Schule wird der Junge deswegen gemieden, die Lehrer fassen ihn mit Samthandschuhen an, er wird von Mitschülern gemobbt, seiner Freundin kann nicht verzeihen, dass sie damals den anderen von der Krankheit seiner Mutter erzählte. Er ist alleine, sein Vater ist in Amerika, und seine Großmutter mag er nicht. Das Monster ist gekommen, um ihm zu helfen. Aber helfen wobei? Kann es seine Mutter gesund machen? WOBEI das Monster ihm helfen will, erfährt Conor erst am Schluss, als er endlich in der letzten Geschichte die Wahrheit aussprechen muss.
ERZÄHLSTIL
Die Geschichte ist in sehr schlichten, kindgerechten Worten erzählt. Kurze Sätze, die umso eindringlicher auf den Leser wirken. Keine Fremdwörter, keine komplizierten Formulierungen. Dafür ein umso intensiverer Text, dessen Inhalt sich gerade jüngeren Lesern nicht unbedingt sofort erschließt. Aber das ist in Ordnung, denn auch Conor gibt zu, dass er die Geschichten nicht versteht. Erst am Ende erschließt sich die komplette Bedeutung, als der Leser Conors Albtraum erfährt. Und dieser ist weit schlimmer als das Mobbing, als der nahende Tod, als die mitleidigen Blicke der Lehrer.
Gerade, weil dieses Buch so schlicht geschrieben ist, berührt es so tief. Der Leser, gleichwelcher Altersklasse, kann sich problemlos in Conor hineinversetzen, spürt mit ihm die Hilflosigkeit, die Wut, die Angst. Und noch ein starkes Gefühl, welches ich nicht verraten möchte, weil es erst am Ende zur Sprache kommt. Es hängt unausgesprochen über dem ganzen Buch, der Leser spürt es, will es jedoch ebenso wie der Junge nicht wahrhaben, weil die Wahrheit so schmerzlich ist und weil es ein Tabuthema innerhalb des Themas sterbende Angehörige ist.
BILDER
Die Bilder empfinde ich persönlich als sehr beängstigend aber dennoch kindgerecht, da sie sehr von der jeweiligen Interpretation abhängig sind. Dürre Äste, dunkle Wälder, ein riesiger Baum-Mann, zerstörte Ruinen einer Kirche, alles in Schwarz, Weiß und Grau. Bilder, die direkt aus Conors Albtraum zu kommen scheinen. Keine klar umrissenen Konturen sondern Silhouetten, Schemen, bedrohliche Klauen, die aus der Dunkelheit nach dem Leser greifen. Sie passen sehr gut zu dem entsprechenden Text und unterstreichen die Kernaussage der jeweiligen Kapitel, vermitteln eine sehr gute Atmosphäre.
Manche Bilder sind auf einer kompletten Doppelseite vertreten, andere Bilder sind um den Text herum gemalt, der Text in die Zeichnung integriert, verwoben zu einer Gesamtheit, die Geschichte in einen passenden Rahmen setzend.
PÄDAGOGISCHER ASPEKT
Es ist harter Tobak, auf jeden Fall. Und manch einer wird sagen "das kann man einem Kind nicht zumuten". Kann man nicht? Man kann. Denn einem Kind wird es auch zugemutet, dass die Mutter stirbt, das ist tägliche Realität. Und es ist wichtig, dass Kinder sich mit solchen Themen auseinandersetzen. Conor litt in dem Buch vor allem darunter, dass die Lehrer nur mitleidig wegblickten, dass die Eltern ihm das wahre Ausmaß der Krankheit verschwiegen, dass die Großmutter ihn nicht für seine bösen Taten bestrafte. Und so wie Conor geht es vielen Kindern, die doch eigentlich darüber reden möchten. Die begreifen wollen, was geschieht. Die ihre Gefühle nicht aussprechen können, wenn die Erwachsenen um sie herum die Wahrheit leugnen. Und die Gefühle sind nicht schön, sie sind urgewaltig, glühend und mächtig, so wie das Monster. Kinder brauchen einen Erwachsenen, der sie an die Hand nimmt, der mit ihnen über Schuld, Verantwortung, Trauer, Angst, Wut, Zorn, Hass, Hilflosigkeit redet. Sie müssen erfahren, dass diese Gefühle gestattet sind, und dieses Buch kann ihnen dabei helfen, endlich über das Unaussprechliche zu reden, wofür die Erwachsenen keine Worte haben.
Allerdings sollte man gerade jüngere Kinder nicht alleine mit diesem Monster lassen. Es werden sehr viele Fragen hervorbrechen, und nicht auf alles wird es eine Antwort geben. Die Geschichten sind stellenweise verwirrend, und es wäre vielleicht sogar gut, wenn der Vorleser das Buch zuvor selbst gelesen hat, um den Inhalt der Geschichten im Gesamtkontext zu begreifen und dem Kind Fragen zu beantworten, die erst im späteren Verlauf der Handlung erklärt werden.
FAZIT
Dem Autor ist es gelungen, unaussprechliche Gefühle in greifbare Worte zu verpacken. Siobhans Geschichte, Patricks Umsetzung, das wurde zu einem ganz besonderen Buch, das ich nie wieder vergessen werde ...
SaschaSalamander 17.10.2011, 09.16 | (0/0) Kommentare | PL
Ich darf nicht schlafen
Eine 47jährige Frau wacht täglich aufs Neue auf und hält sich für ein jüngeres Selbst, begreift nicht wie ihr auf einmal eine gereifte Frau gegenüberstehen kann. Täglich erfährt sie von ihrem Ehemann, der ihr völlig fremd ist, dass sie an Amnesie leidet. Und dann ist da noch der Psychiater, der ihr ohne das Wissen des Mannes täglich zu helfen versucht, ihr Gedächtnis wiederzufinden.
Doch, hat was. Ist kein Novum, kennt man aus MEMENTO, und auch sonst gibt es hier und da mal wieder Bücher, in denen jemand seine Identität sucht. Meist tatsächlich ein Thriller, hier aber wie gesagt bisher zumindest ein Drama. Wirkt weniger bedrohlich als vielmehr traurig und mit einem melancholischen Unterton für mich. Aber auf jeden Fall packend, ich bin enorm gespannt auf den Rest des Hörbuches.
Und Andrea Sawatzki könnte mir ja eh die Gebrauchsanleitung meiner Waschmaschine vorlesen, ich würde ihr dennoch lauschen ;-)
SaschaSalamander 14.10.2011, 18.40 | (0/0) Kommentare | PL
Lost and Found
Shunsuke ist ein ganz normaler Schüler, nur dass er in seinen Klassenkameraden Kyohei verliebt ist. Dieser allerdings interessiert sich nur für Mädchen. Und Shunsukes Sandkastenfreundin eröffnet ihm, dass sie in ihn verliebt ist. Er ist hin und hergerissen, möchte sein Geheimnis für sich behalten, doch seine Freundin macht ihm Mut zur Offenheit, möchte ihn gerne unterstützen. Shunsuke nimmt sich dies zu Herzen und macht Kyohei ein Geständnis. Danach nehmen die Dinge eine Wendung, wie Shunsuke sie sich trotz seiner Ängste nicht hätte ausmalen können, es wird immer schlimmer. Einzig ein Fremder, der ihm gelegentlich über den Weg läuft, scheint nun sein Verbündeter ...
Aufgrund der großen Panels und nur wenigen kurzen Textpassagen ist der Manga leider viel zu schnell gelesen, gerne hätte ich mich länger in die eigentlich sehr schöne Geschichte vertieft. Ich finde es schön, dass die Autorin einmal vom klassischen Schema abgewichen ist und nun statt einer Liebesgeschichte ein Drama erzählt. Es ist die tragisches Geschichte eines Jugendlichen, der zwangsgeoutet und gemobbt wird, von zu Hause keine Unterstützung erhält und sich alleine in einer Welt voller Menschen findet, die anders zu sein scheinen als er. Eine Tatsache, die zwischen all den romantischen Liebeswirren und heißen Küssen der sonst üblichen Boys Love gerne übersehen wird, denn die Realität ist für homosexuelle Männer leider nicht so rosig wie in diesen Geschichten geschildert.
Was ich an der Story schade finde ist das recht krasse Ende, oder besser gesagt die extreme Ausgestaltung des fremden Jungen. Eine brisante Hintergrundgeschichte, eine heftige Vergangenheit okay, was hier präsentiert wird finde ich dem eher realistisch gehaltenen Beginn gegenüber schon sehr heavy und unpassend. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen und zerstört leider ein wenig das ansonsten sehr positive Gesamtbild der restlichen Erzählung. Weniger das Thema an sich als vielmehr der drastische Wechsel des Genres vom Drama hin zum Hardcorecrime, was zuvor mit keinem Wort angedeutet wurde und auch nicht nötig gewesen wäre.
Zeichnerisch gefällt mir Mikikos erster Manga sehr gut. Man merkt, dass sie noch am Beginn ihrer Karriere steht, erkennt aber auch, dass sie einen sehr eigenen und vor allem aussagekräftigen Stil hat. Sie vermag es, auch ohne Worte Geschichten zu erzählen und Emotionen zu vermitteln, allein durch Körperhaltung und Gestik. Sie zeichnet schmucklos ohne Hintergründe, Details, Faltenwürfe, legt dafür sehr großen Wert auf die Darstellung ihrer Charaktere.
Es gibt zwei Arten von Künstler (ob nun Musik, Autoren, Zeichner etc): die einen scheinen von Beginn an alles sofort zu können und ruhen sich dann auf ihrem Erfolg aus, müssen nicht mehr besser werden, beginnen nachlässig zu werden und sinken ab. Und dann gibt es diejenigen, die zwar Talent haben aber noch lernen müssen. Sie arbeiten daran, verbessern sich, intensivieren ihre Arbeit, lernen aus den Fehlern und werden von Mal zu Mal besser. Das sind die Künstler, die ich mag, denn sie legen Herzblut in ihr Werk, und ich liebe es, sie dabei zu beobachten, wie sie sich immer mehr steigern. Mikiko ist so jemand: zeichnerisch und storytechnisch muss sie hier und da noch ein wenig feilen, aber sie hat großes Talent, wie man auch auf ihrer >Homepage< sehen kann. Ich freue mich auf weitere Titel von ihr und bin gespannt, wie sie sich weiterentwickeln wird. Ihre Zeichnungen mag ich jetzt schon, denn man sieht ihr klar an, dass sie bereits einen Weg gefunden hat: keine störenden Details, dafür absolute Konzentration auf das Wesentliche, sowohl in den Zeichnungen wie auch in der Story.
Leider war es in diesem One-Shot nicht möglich, die Geschichte um Shunsuke auszubauen. Gerne würde ich einen Mehrteiler von ihr lesen, in dem sie den Charakteren und deren Entwicklung Raum zur Entfaltung geben kann.
Einen kurzen Vergleich zur Geschichte KÖNIG DROSSELBART in der Sonderedition des GRIMMS MANGA möchte ich kurz noch anfügen: die Zeichnungen und Inhalte sind getreu dem Gesamtbild des Manga eher humorvoll gehalten, die Panels sind deutlich kleiner, trotzdem erkennt man ihre Eigenheiten sehr deutlich: Fokus auf das Wesentliche, kein einziger unnötiger Strich, stringent und effektiv erzählt, nicht umsonst eine meiner liebsten Geschichten dieser Anthologie.
Zur seichten Nebenbeiunterhaltung sollte man den Manga nicht lesen, das wäre schade und dem Werk nicht gerecht. Man sollte sich die Zeit nehmen, die Story wirken zu lassen und in den ansonsten schlichten Zeichnungen die filigranen Zwischentöne wahrzunehmen. Auf jeden Fall sollte man Mikiko Ponczeck als junges Talent im Auge behalten. Ich werde ihre Titel weiter verfolgen und bin schon sehr gespannt auf ihr weiteres Schaffen :-)
SaschaSalamander 30.09.2011, 16.46 | (0/0) Kommentare | PL
Wer früher stirbt ist länger tot
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Auf die Gefahr hin, mich zum unzähligsten Male zu wiederholen: deutsche Filme liegen mir nicht. Aber ich bin nicht prinzipiell dagegen. Es gibt manchmal ein paar Glanzlichter, die mir ausgesprochen gut gefallen und sogar zu meinen Favoriten zählen. Und schon wenige Minuten nach Beginn war klar, DIESER Film würde auf jeden Fall dazugehören!
Der 11jährige Sebastian ist ein echter bayerischer Lausbub. Während eines Streits wirft sein älterer Bruder ihm vor, die Schuld am Tod seiner Mutter zu tragen, die bei seiner Geburt verstarb. Und wer Schuld auf sich läd, der wird nach seinem Tod im Fegefeuer büßen. Sebastian hat nun Angst, denn abgesehen von dem Tod seiner Mutter hat er viele weitere Dinge angestellt. Etwa die Hasen des Bruders getötet, möglicherweise den Tod von Evis Oma verursacht, er hat einem Gast in der Wirtschaft ins Essen gespuckt und viele bösen Dinge mehr. Der Junge sieht nur eine Möglichkeit, wie er dem Fegefeuer entgehen kann: er muss unsterblich werden! Und wenn das nicht klappt, dann muss er wenigstens seine Schuld bereinigen, indem er seinem Vater eine neue Frau sucht.
Ein wunderbarer Film! Vordergründig mag er aus vermeintlich platten Witzen bestehen: ein Junge baut jede Menge Unsinn, alles geht schief, und der Humor ist ziemlich derb. Wenn man jedoch zwischen den Zeilen liest, ist es ein sehr vielschichtiger Film, der auf ungewöhnliche Weise die Ängste eines Jungen aufzeigt. Geprägt von einer streng katholischen Erziehung, versucht er seine Seele reinzuwaschen. Er möchte Gutes tun, und je edler sein Ansinnen, desto schlimmer das Ergebnis. Es gibt auch keinen Erwachsenen, dem er sich anvertrauen kann, sodass er nach außen hin kindlich-naive Fragen stellt und eben die Antworten auf allein diese Fragen erhält, niemals jedoch für sein eigentliches Problem. Auf die Frage, wie man unsterblich wird, erfährt er also von Vampiren in Transsylvanien, von den sieben Leben einer Katze, von der Fortpflanzung zwischen Mann und Frau, von legendärer Musik. Doch seine Versuche als Casanova, Vampirfreund, Katzenlebentester, Rockmusiker sind leider zum Scheitern verurteilt, denn woher soll er die Gitarre nehmen, wie soll er nach Transsylvanien kommen, etc?
Ich habe den Film gebannt gesehen, ständig die Hand vor dem Mund. Sei es, um erschreckte Aufschreie zu unterdrücken, die sich anbahnten, sobald ich eine schlimme Situation kommen sah, etwa wenn er der Lehrerin eine wichtige Frage ins Ohr flüstern wollte oder bei laufendem Radiosender seinen Gruß formulierte. Und doch endete es alles in einem Lachen, teils erleichtert, teils um sich irgendwie Luft zu machen. Ein wenig erinnerte es mich an Michel von Lönneberga, wo ich zwar auch ständig lachen musste aber das Kind im Grunde doch von den Erwachsenen verkannt wurde in vielen Situationen.
Allein schon der Beginn! Nein, kein Spoiler, es sind gerade einmal die ersten zwei Minuten des Filmes: der Junge fährt wild mit dem Rad durch das Dorf, man sieht einen Laster heranfahren, es ist klar, was passieren wird, man mag gar nicht hinsehen. Ein metallisches Scheppern, ich saß da mit geweiteten Augen, fassungslos. Szenenschnitt, das Fahrrad eingekeilt unter dem Laster, der Fahrer guckt irritiert und fährt weiter, der Junge wie tot auf der Straße. Nächste Szene, der Junge steht auf, "Glück gehabt" sagt er, und dann geht er zu dem geparkten LKW (dessen Fahrer ein Kumpel seines Vaters ist und den Laster vor seinem Haus parkte), versucht sein Rad herauszuholen, es klappt nicht. Schnitt, ein Scheppern, der Laster landet im Hasenstall, der Junge wollte doch nur sein Fahrrad hervorholen und dafür den LKW ein wenig vorrollen. Man möchte schreien, dass der Junge überlebt hat und sie ihn gefälligst in den Arm nehmen sollen, aber es hatte ja niemand den Unfall bemerkt, statt dessen Vorwürfe für die toten Hasen. Und der Junge schweigt, denn er ist ja schließlich schuld an den toten Hasen und hätte nicht ans Steuer des LKW gedurft.
Skurill, absurd, absolut schwarzer Humor. Und einige Szenen sehr unwirklich, eben Traumsequenzen, entsprungen der seltsamen Phantasie des 11jährigen Jungen, welcher sich vor dem Fegefeuer fürchtet. Die Träume erinnern an Hyronimus Bosch, und man muss schon einen Sinn für schräge Komik haben, gebe ich zu. Wenn man den Film nur nebenbei sieht, entgehen einem die vielen Kleinigkeiten, die ihn aus der Masse der schwarzen Komödien hervorheben.
Auch die Kameraführung ist genial! Normalerweise fällt mir so etwas wie Schnitt und Kameraführung gar nicht auf, ich bin ein Filmbanause. Aber in diesem Fall ist es auffällig und so genial, dass sogar ich es bemerke. Es werden beispielsweise zwei, einmal sogar drei Szenen miteinander verknüpft, immer wieder hin- und hergesprungen zwischen drei Parteien, alle unterhalten sich bzw agieren, jeder für sich und doch zeitgleich zusammen. Auch die Kameraführung, die Bilder. Die Bilder sind ein Genuss: die Landschaft, die Gesichter, die Drehorte.
Es stimmt einfach alles. Sogar die Musik. Sie fällt nicht störend auf, sie drängt sich auch nicht brachial in den Vordergrund. Lautstärke und Musik sind perfekt abgestimmt (passiert selten in Filmen, normalerweise habe ich immer die Fernbedienung der Lautsprecher in der Hand, wenn ich einen Film sehe), und der Soundtrack ist es wert einzeln gehört zu werden. Sogar einen fiktiven Musiker haben sie gebracht und einen Song von ihm gespielt, der wirklich klasse ist! ;-)
Wäre es kein urbayerischer Dialekt, könnte man den Film glatt für eine britische Komödie halten. Der Humor kommt sehr derb daher, sehr bayerisch. Als Franke (irgendwie ja auch Bayer) kann ich leider nicht sagen, ob man selbst Bayer sein muss, um den Film zu verstehen, Lokalkolorit ist auf jeden Fall drin, und die Mentalität des kleinen Dorfes kommt schon sehr gut zur Geltung. Die DVD gibt es auch mit hochdeutschen Untertiteln, die sind für alle Nicht-Bayern unbedingt zu empfehlen!
Achtung allerdings, wer den Film kaufen möchte! Die DVD ist nur in reinen Playern abspielbar, nicht jedoch auf dem Laptop oder PC (Mac soll angeblich funktionieren). Für seltene Anlässe haben wir einen DVD-Player, aber ich gucke meine Filme in der Regel auf dem Laptop, von daher werde ich mir den Film vermutlich nicht kaufen, denn den Beamer / Player nutze ich normalerweise (außer wenn wie hier erforderlich) nur für unterhaltsame Filmabende mit Freunden, nicht jedoch alleine. Schade, denn wenn ein Film es verdient hätte, bei mir im Regal zu stehen, dann dieser! Doch diese Mentalität bestraft die ehrlichen Käufer, das mag ich nicht unterstützen :(
SaschaSalamander 29.09.2011, 21.02 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL
Off Road Kids
Koichis Vater ist Arzt und kündigt seinen Job, um nun als Arzt im Ausland tätig zu sein. Er fliegt auf die Philippinen und bietet seinem Sohn an, ihn zu begleiten. Koichi ist begeistert, hofft er doch auf einen gemütlichen Urlaub, wo er für ein paar Wochen nicht zur Schule muss! Statt dessen landet er in den Elendsvierteln und erleidet einen Kulturschock. Er will nach Hause und erträgt es nicht, all das Leid mit anzusehen. Doch als begeisterter Fußballspieler freundet er sich mit einem der Straßenjungs an und lernt nun mehr über ihr Leben, ihre Träume, ihre Ziele.
Akira Himekawa, der unter anderem auch einzelne Spiele der kultigen Zelda-Reihe als Manga umgesetzt hat, nahm mit diesem Manga ein Projekt an, in dem es um Straßenkinder gehen sollte. Der Autor reiste in verschiedene Länder, arbeitete zusammen mit "Kinder ohne Grenzen" und setzten sich intensiv mit diesem ernsten Thema auseinander. Und es gelang ihm hervorragend, es auch für Kinder packend umzusetzen.
Drei zusammenhängende Geschichten. Die erste und längste spielt auf den Philippinen und erzählt von einer Kinderbande, die auf dem Friedhof nächtigt und tagsüber auf der Müllhalde gebrauchte Gegenstände sammelt und verkauft, um sich ein minimales Grundeinkommen zu sichern. Das harte Leben dieser Kinder wird sehr berührend dargestellt, und am Ende hatte ich sogar Tränen in den Augen. Denn Schicksalsschläge und menschliche Dramen werden hier zwar kindgerecht umgesetzt, doch es ändert nichts an der Tragik und Trauer.
Die zweite Geschichte erzählt von einem kleinen Jungen in Vietnam, der als Schuhputzer seinen Lebensunterhalt verdient und sich in ein Mädchen verliebt, dem er ein ganz besonderes Geschenk machen möchte. Diese Geschichte ist etwas kürzer und zwar sehr bewegend, fesselt jedoch nicht ganz so stark wie die erste. Denn hier ist die Hauptfigur ein Straßenkind, und sich in dieses hineinzuversetzen fällt natürlich schwerer als in einen typischen Jungen der fünften Klasse, wie Koichi es in der ersten Geschichte ist.
Die letzte Gschichte spielt in Afghanistan und zeigt das Leben eines Kindersoldaten auf. Sie ist recht kurz, dennoch sehr ergreifend.
Zu den einzelnen Ländern gibt es jeweils eine Extraseite, welche das Land kurz beschreibt hinsichtlich Größe, Einwohnerzahl, Klima und andere Faktoren. Ich finde das sehr hilfreich und interessant, und im Kontext des Mangas wird Kindern auf diese Weise nebenbei Wissen vermittelt, ohne dass man mahnend den Zeigefinger heben oder sie mit trockenen Fakten langweilen würde.
Dem Autor gelingt es, ein sehr ernstes Thema auch für Kinder sehr gut zu beschreiben. Er erzählt keine künstliche Happy-End-Story, sondern schildert das dramatische Leben auf der Straße. Ich finde es eine gelungene Umsetzung, die ich absolut empfehlen kann. Die Geschichte ist packend, die Handlung wird pädagogisch sinnvoll erklärt, und auch über die betreffenden Länder gibt es (nicht nur für Kinder, sondern auch für erwachsene Leser) eine Menge zu lernen.
SaschaSalamander 21.09.2011, 15.27 | (0/0) Kommentare | PL
ZWEIundDIESELBE
Jenna erwacht nach einem Jahr aus dem Koma und kann sich an nichts mehr erinnern. Doch sie fühlt, dass irgend etwas nicht in Ordnung ist. Ihre Eltern scheinen etwas vor ihr zu verbergen, die Großmutter behandelt sie wie ein unerwünschtes Objekt, und auch in ihrem Alltag entdeckt sie viele Ungereimtheiten. Warum hat sie keine Freunde, die nach ihrem Erwachen zu Besuch kommen? Warum ist die Familie kürzlich umgezogen? Was hat es mit den einzelnen seltsamen Erinnerungsfetzen auf sich?
Das Buch ist aus Jennas Sicht geschrieben. Normalerweise ist es so, dass der Leser auf dem gleichen Wissensstand ist wie der Ich-Erzähler. In diesem Fall allerdings hat der Leser einen Vorsprung, da er sich aus Jennas Beobachtungen Dinge zusammenreimen kann, die dem Mädchen selbst nicht möglich sind. Zum einen aufgrund der Gedächtnislücken, zum anderen spielt das Buch in der Zukunft. Was für Jenna also normal ist, das ist für den Leser ein Hinweis auf das Genre Dystopie und lässt bereits nach wenigen Seiten sehr schnell erahnen, worauf es hinauslaufen wird.
Nun ist das Problem, dass das Buch sich meiner Ansicht nach an eher junge Leser von 13 bis 17 richtet. Aber es lässt sich auch sehr gut von Erwachsenen lesen, es hat mir sehr gefallen. Aber wo Jugendliche vielleicht noch mitfiebern oder etwas länger brauchen bis sie die Zusammenhänge begreifen, da weiß es ein älterer Leser nach unzähligen Filmen ähnlicher Art und nach einigen knappen Andeutungen der Autorin eben sofort. Dies war für mich anfangs sehr unangenehm, da ich das Gefühl hatte, das Buch sei zu langsam. Nicht langweilig, aber zu langsam. Ich hätte mich gerne intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt und musste statt dessen immer wieder auf das nächste Bröckchen warten, welches der Protagonistin in die Hände gespielt wurde und was mir schon lange klar war. Nach etwa einem Drittel des Buches legt sich dieses Gefühl glücklicherweise, und der der Leser ist mit Jenna auf einem Stand.
Mit Jenna mitfühlen ist etwas schwieriger, denn sie selbst ist ratlos und weiß nicht, was vor sich geht, der Leser dagegen weiß Bescheid. Dennoch konnte ich mir vorstellen, wiesehr sie unter der Ungewissheit zu Beginn und später unter der Frage "wer oder was bin ich" litt. Ich fand ihre Reaktionen sehr realistisch, ihre Gefühle für verständlich und angemessen. Die Autorin hat ein theoretisches Problem sehr lebendig werden lassen.
Die Sprache ist sehr einfach gehalten, aber es gefiel mir, da es sehr gut zu Jennas Entwicklung passt. Sie muss sich Wörter neu erarbeiten, denkt in sehr einfachen Bahnen und muss erst langsam zu sich selbst finden. Die Kapitel sind sehr kurz, teilweise sind es einzelne Gedankenfetzen oder Erinnerungen über eine halbe Seite, manchmal auch nur einzelne Episoden über zwei oder drei Seiten. Ich mag diesen Stil, da keine kontinuierliche Handlung beschrieben wird, sondern es immer wieder neue Puzzleteile sind, die nach und nach das fertige Bild Jennas ergeben. Das englische Cover ist sogar ein Puzzle und passt meiner Ansicht nach sehr viel besser zum Buch als die deutsche Variante (wenngleich der blaue Schmetterling ebenfalls einen symbolischen Bezug zum Buch hat).
Das Thema der Genforschung spielt eine zentrale Rolle im Buch und bezieht sich nicht alleine auf den Menschen, sondern es werden auch Verbindungen hergestellt zur Patentierung von Genmais (ein Name wurde nicht genannt, aber der Leser dürfte wissen, worum es geht), zum Züchten von Pflanzen, Tieren, Menschen. Aber da es ein Jugendbuch ist, dürfte mancher Erwachsene ein wenig enttäuscht sein, falls er einen wissenschaftlichen Thriller erwartet hatte. Hier wird nicht erklärt. Hier geht es nicht um den wissenschaftlichen Hintergrund oder eine exakte ethische Beleuchtung. Sondern hier geht es einzig darum, welche Gefühle dies in einem Mädchen auslöst. Und das ist hervorragend gelungen. Ich denke, dadurch wird das Thema für manch einen Leser greifbarer, als würde man ihn mit Fakten erschlagen.
Für Erwachsene fehlt, finde ich, irgendwie ein bisschen "Pfeffer". Ich kann es schwer in Worte fassen. Man weiß, worauf es hinausläuft. Man kann sich denken, wie es enden wird. Die Gefühle sind nachvollziehbar. Der Konflikt ist vorhanden, und doch fehlt er. Der Konflikt ist Jenna an sich, sodass das Buch - so kam es mir beim Lesen vor - ständig von einer Seite zur nächsten fließt, ohne wirklich zum Punkt zu kommen, und zwischendurch fragte ich mich "wo kommt jetzt der Punkt, an dem etwas passiert?". Es passiert nichts. Es fließt.
Für Erwachsene, die dem Thema entsprechend auf Tiefgang sowie wissenschaftliche oder moralische Wertung hoffen und sich beim Lesen intensiv damit auseinandersetzen wollen, ist es weniger geeignet. Für Erwachsene, die sich mit einem wichtigen Thema leicht unterhalten lassen wollen sehr nett zu lesen. Aber junge Leser, die sich gerne mit ernsten Themen befassen, ist es ein hervorragender Titel. Aufgrund des Diskussionsbedarfs und der interessant gestaltenten Sprache und Form halte ich es sogar für ideale Schullektüre, mit denen man Jugendlichen so richtig Lust aufs Lesen machen könnte.
SaschaSalamander 19.07.2011, 09.17 | (0/0) Kommentare | PL
Der Märchenerzähler
Dieses Buch ist meine aktuelle Top-Empfehlung, denn es hebt sich deutlich aus all den anderen Titeln hervor. Es ist ein gekonnter Mix aus Märchen, Thriller, Romantik und Drama, den man in keine bekannte Schublade stecken könnte. Daher fällt es auch schwer, das Buch zu vergleichen oder zu beschreiben, sodass man einen völlig neuen Ansatz finden muss, davon zu erzählen.
Vorab sei erwähnt, dass DER MÄRCHENERZÄHLER als Jugendbuch vermarktet wird. Jedoch sind die Inhalte sehr intensiv, teilweise auch grausam und dabei erschreckend realistisch, sodass ich es doch eher für junge Erwachsene empfehlen möchte. Es wird ein Wertebild vermittelt, das auf den ersten Bild romantisch klingt, bei genauerer Betrachtung jedoch - meiner Ansicht nach - ungeeignet ist als Vorbild für junge Menschen.
Die Charaktere des Buches werden vor dem Leser lebendig, als kenne er sie persönlich. Mit nur wenigen Worten erschafft die Autorin Eigenheiten, Vorlieben, Angewohnheiten und lässt den Leser einen Teil der Welten werden, in denen Anna, Abel und Micha leben. Vom ersten Moment an bangt, fürchtet, hofft man mit ihnen. Das Buch aus der Hand zu legen - gleichbedeutend sich von einem guten Freund verabschieden zu müssen.
Auch der Aufbau fesselt, und einmal begonnen, befindet sich der Leser im Sog des Märchenerzählers. Das erste Kapitel sofort ein blutiger Einstieg, in dem zugleich sehr viel Traurigkeit mitschwingt, was ist geschehen, wann wird man endlich mehr darüber erfahren? Immer wieder glaubt der Leser nun verstanden zu haben, was das Märchen bedeutet, nur um sich dann auf einer anderen Fährte wiederzufinden, alte Vermutungen über Bord zu werfen, umzudenken und erneut in einer Sackgasse zu landen. Dabei sind die Märchen so eindeutig, so verständlich, wenn man sie im Nachhinein erkannt hat. Und so, wie wohl Anna nicht die Bedeutung hinter den Worten sehen will und ihre Augen verschließt, so wird auch der Leser am Ende die gesamte Wahrheit erkennen und feststellen, dass sie all die Zeit vor ihm lag.
Besonders erwähnen möchte ich den Schreibstil, der in seiner ungewöhnlichen Sprache ein wenig an "die Bücherdiebin" von Markus Zusak erinnert. Sinne werden miteinander verknüpft ("ihre Stimme schmeckte nach Eis", "sie ertrank in dem Blau", "sie beobachtete sein Schweigen"), tote Gegenstände werden lebendig ("Die blauen Stickgarn-Augen [... ] blickten müde und ein wenig ängstlich"), Farben spielen eine sehr wichtige Rolle, Menschen werden zum Teil ihrer Umwelt ("Es war, als wäre auch [Abel] weggetaut, mit dem Schnee verschwunden"). Ungewöhnliche Metaphern schmücken die Seiten ("Jahreszahlten surrten über ihren Köpfen durch die Luft wie merkwüdig gestaltlose Winterbienen", "es begann aus den entsetzten blauen Augen zu regnen"). Die Autorin setzt sich hinweg über die normalen Konventionen des Schreibens und stellt ihre eigenen Regeln auf. Anna nennt Abel gerne "Abel de Saint-Exupery", und auch das Buch selbst strahlt insgesamt sehr viel vom kleinen Prinzen aus. Eine kindliche Logik, und dabei doch tiefsinnig und hintergründig, gemalt in unschuldigen Worten.
Doch hier beginnt der Genre-Mix: hinter den unschuldigen Worten verbergen sich grausame Taten, neben Märchen, Diamanten, Einhörnern und Regenbögen gibt es in eine Anzahl an Verbrechen, deren Nennung dem Leser jedoch zuviel von der späteren Handlung vorwegnehmen würde. Und diese Verbrechen wirken umso tragischer, je unschuldiger der Handlungsrahmen ist. Niemand wird das Buch lesen können, ohne nicht spätenstens am Ende Tränen in den Augen zu haben.
"Der Märchenerzähler" ist ein Buch, das man nicht so schnell vergisst, für begeisterte Bücherwürmer ebenso wie für Leute, die nur wenig, dafür jedoch ausgewählt lesen. DIE Empfehlung im Frühjahr 2011 :-)
SaschaSalamander 11.04.2011, 09.40 | (0/0) Kommentare | PL
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