SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Zwienacht

weber_zwienacht_1.jpgAUTOR

>Raimon Weber< kenne ich vor allem durch seine Drehbücher zu den Hörspielen des >DARKSIDE PARK< und >PORTERVILLE<, GABRIEL BURNS und >MINDNAPPING<. Er hat jedoch auch einige Romane geschrieben. Neugierig, wie ich bin, muss ich die natürlich alle irgendwann lesen. Da ZWIENACHT mich vom Inhalt her am meisten ansprach, habe ich also mit diesem begonnen.


INHALT

Nach einem peinlichen und für ihn unerklärlichen Vorfall zieht Richard, Bestsellerautor, in eine neue Stadt, er taucht unter und beginnt ein neues Leben. Doch abgesehen von seiner Schreibblockade leidet er plötzlich an Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Er sucht einen Psychiater auf und hofft sein Leben endlich wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Dann ist da noch Maria, die freundliche Krankenschwester des mobilen Pflegedienstes und einige Nachbarn. Immer enger webt sich das Band, das sie verbindet und auf ein gemeinsames Ende zusteuern lässt. Doch was geht tatsächlich in diesem seltsamen Haus vor sich? Ist Richard krank, oder steckt mehr dahinter?


AUFBAU

Spannung baut sich hier auf drei Ebenen auf: im ersten Drittel strebt der Leser danach, mehr zu erfahren über die seltsamen Vorfälle, die zu Richards Umzug führten. Es passiert nicht wirklich etwas, der Autor führt gemütlich und mit Bedacht einzelne Figuren in den Roman ein, zeigt dem Leser - ganz typisch im Horrorgenre, absoluter Klassiker - eine alltägliche, scheinbar normale Welt mit einem etwas aus der Bahn geratenen Protagonisten. Kein Grund zur Sorge, alles in Ordnung, kleine Unregelmässigkeiten gibt es überall. Der Leser wiegt sich in Sicherheit, wäre da nicht die seltsame Vorgeschichte und die Frage, was es mit den einzelnen Charakteren auf sich hat ...

Dann im zweiten Drittel beginnt es langsam unheimlich zu werden. Lauter kleine Vorfälle, hier ein seltsames Geräusch, dort eine leicht verzerrte Wahrnehmung, dort eine komische Bemerkung, eine ungewöhnliche Beobachtung. Dinge liegen da und sind plötzlich weg, ein seltsamer Anruf. Dazu eine Szene, die recht eklig ist und vermutlich über bloße Einbildung hinausgeht. Aber wer zur Hölle tut so etwas? Die Fassade bröckelt, der Alltag bekommt - wie auch das Mauerwerk in Richards Wohnung - tiefe Risse. Der Leser bekommt eine Gänsehaut, schaltet abends kurz das Licht ein, bevor er ins Bad geht.

Und im letzten Drittel zieht Raimon Weber alle Register. Langsam kommt Licht in das Geschehen, die Charaktere finden zueinander, das Geschehen ist am Höhepunkt, der Leser rast nur so über die Seiten und kann das Buch nicht mehr beiseite legen. Man ekelt sich aber muss doch hinsehen, es ist grausig aber man will es nonstop lesen, und bitte nachts das Licht dauerhaft brennen lassen!


CHARAKTERE

Drei Protagonisten gibt es zu Beginn: Richard Gerling, der Hauptprotagonist. Billy, anfangs ein Fremder für den Leser. Und "den Reisenden", einen brutalen Serienmörder. Anfangs ist unklar, wie sie zusammen hängen. Billy und der Reisende bleiben lange im Dunkeln, über Richard erfährt man bald mehr. Was ihn antreibt, was ihn bewegt, das erfährt man recht schnell. Warum er jedoch so seltsam ist, das ist Teil der Kernfrage. Dadurch fällt es schwer, sich in eine der Figuren hineinzuversetzen, sie sind bewusst undeutlich gezeichnet. In ZWIENACHT ist man weniger ein Beteiligter als vielmehr ein Zuschauer in erster Reihe. So, wie die Charaktere sich untereinander beobachten, so beobachtet auch der Leser und muss schrittweise die Puzzleteile an die richtige Stelle setzen.

Eine Figur gibt es jedoch, die überdeutlich hervorsticht: Maria. Ich mochte sie vom ersten Moment, und sie wurde immer sympathischer, mit ihr habe ich mitgefiebert, gelitten, gezweifelt, gebangt. Sie ist der Lichtstrahl in dem ansonsten eher düsteren Setting.  


EIGENE MEINUNG

Hier bei ZWIENACHT saß an Ort und Stelle, das Buch ist rückblickend in sich absolut stimmig. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass eine der Figuren zwar die Spannung erhöhte und den obligatorischen Sex-Sells-Aspekt in den Thriller brachte, jedoch nicht wirklich etwas zur Handlung beitrug und somit für mich eher überflüssig war (aber das ist Geschmackssache. Ich kann mir vorstellen, dass andere Leser genau diese Figur besonders gelungen fanden). Und auch, wenn der Anfang der Atmosphäre dient und insgesamt sehr gut zum Aufbau passt, hatte ich die ersten 20 Prozent des Buches noch nicht wirklich das Gefühl "ich muss jetzt unbedingt sofort weiterlesen". Doch nachdem ich dann in die Handlung hineingefunden hatte, wurde es recht bald zum Pageturner.

Das Korrektorat - zugegeben, ich bin von der Psychothriller GmbH Besseres gewohnt, hier hat man ein paar Kleinigkeiten übersehen. Aber gut, es waren keine drastischen Fehler, man konnte flüssig darüber hinweglesen.

Trotz dieser beiden kleinen Anmerkungen - ich war absolut begeistert, nachdem ich das Buch abgeschlossen hatte. Was mir an Raimon Weber immer wieder gefällt: er versteht es, Spannung aufzubauen und mit Bildern zu arbeiten, die eher unterbewusst wirken. Viele kleine Symbole und Andeutungen, kurze Momente, Dialogfetzen, das passende Wetter, immer das richtige Wort. Horror im Oldschool - Style, wunderbar ruhig, subtil und unaufdringlich. Dann mal ein, zwei eklige oder derbe Momente, um den Leser so richtig wachzurütteln, aber sofort fährt er wieder herunter und deutet auf den Riss in der Fassade - als wolle er verschmitzt fragen "na, willst Du WIRKLICH wissen, was dahinter auf Dich lauert?" ...

Und was mir hier besonders gefällt: die Lösung ist schlüssig und klar, die Handlung sehr gut geplottet. Von Beginn an gibt es viele kleine Hinweise, und doch wusste ich bis zum letzten Moment nicht exakt, was nun hinter all den Vorfällen steckt. Es ist lange unklar, in welche Richtung sich ZWIENACHT entwickeln wird, ob es nun ein Mindfuck ist, ob übernatürliche Elemente im Spiel sind, ob jemand wahnsinnig wird, ob es blutig endet oder oder oder. Sehr, sehr oft wurde ich schon von anderen Autoren enttäuscht in diesem Genre. Hier jedoch wird alles sehr schön aufgelöst. So simpel und logisch, dass man sich fast schon fragt "wie, das war es jetzt"? Und DAS gefällt mir: so eine abgef*ckte, verdrehte Handlung und so eine simple Lösung. Genial! Darauf muss man als Autor erst einmal kommen.


FAZIT

Ein Roman, der mir außerordentlich gut gefallen hat, nachdem ich mich etwas eingelesen hatte. Raimon Weber versteht sein Handwerk und überzeugt die Leser mit eindringlichen Bildern und überzeugenden Plots.

Wertung: 7,5 von 10 blaue Schlieren

SaschaSalamander 12.06.2013, 09.16

Kommentare hinzufügen

Die Kommentare werden redaktionell verwaltet und erscheinen erst nach Freischalten durch den Bloginhaber.



Kein Kommentar zu diesem Beitrag vorhanden

Einträge ges.: 3848
ø pro Tag: 0,5
Kommentare: 2809
ø pro Eintrag: 0,7
Online seit dem: 21.04.2005
in Tagen: 7131
RSS 2.0 RDF 1.0 Atom 0.3