SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

The Chronicles of the clueless age

Neun Kurzgeschichten von Usamaru Furuya und Otsuichi. Zu ersterem kann ich wenig sagen, kenne seine Werke nicht näher. Otsuichi findet sich häufiger in meinem Regal, unter anderem die Mangas GOTH, HOLIDAY, CAN YOU HEAR ME und KIZU, melancholische Werke mit Tiefgang, düsteren Zeichnungen und interessanter Handlung, abseits vom Mainstream. Aus Zeitgründen werde ich die Rezension nicht so ausführlich gestalten, wie ich gerne würde, aber eigentlich hätte dieses Meisterwerk eine tiefgreifende Analyse verdient. 

CHRONICLES OF THE CLUELESS AGE beinhaltet neun Kurzgeschichten. Teenager, die in ihrer Position als Außenseiter versuchen das Leben zu meistern. Da ist zum Beispiel das junge Mädchen, das sich wünscht, die Welt möge versinken. Ein Junge, der von Ameisen fasziniert und Angst davor hat, seine Mitschülerin zu einem Date einzuladen. Die junge Frau, deren Mutter nur an Geld und Reichtum interessiert ist. Ein Schüler, dessen bester Freund in eine bessere Schulklasse wechselt, während er bei den Nachzüglern bleiben muss. Eine junge Frau, die gerne abnehmen würde, wenn da nicht die als Süßigkeiten getarnten Aliens wären, die es zu vernichten gilt. Diese und viele andere sehnen sich nach Anerkennung und Freundschaft. Sie tauchen ab in bizarre Traumwelten, die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit verschwimmt. Der Leser begleitet die Protagonisten in verstörende Abgründe ... 

Ich möchte nicht spoilern, sage nur soviel: man kann die Geschichten anfangs als einzelne Episoden lesen, doch bald wird erkennbar, dass mehr dahinter steckt. Es ist gelungen, wie die Autoren die Dinge am Ende verknüpfen und auf welche Weise sie einen roten Faden hineinbringen. Schon beim ersten Lesen hatte ich hier und da das Gefühl, es müsse wohl mehr dahinter stecken, und ich bin sicher, dass ein zweites Lesen auf jeden Fall zu vielen Aha-Effekten führen wird. Gegen Ende habe ich sehr oft zurückgeblättert, um die Dinge besser zu verstehen, um die Zusammenhänge zu erkennen und den Manga vollumfassend zu genießen. 

Die Geschichten sind sehr unterschiedlich, und die Abwechslung gefiel mir sehr. Manche Episoden bieten Humor, aberwitzige Momente und am Ende hoffnungsfrohes Lachen. Andere dagegen sind depressiv, düster und ohne eine Aussicht auf ein Licht. Auch die Phantasien und Erlebnisse der Charaktere gehen in jeweils andere Richtungen, sodass das Genre zwischen Phantastik, Horror, Fantasy, Magical Girl, Surrealismus, Sci-Fi und vielen Schubladen wechselt, diese teilweise sogar sprengt und nicht mehr einzuordnen ist. 

Die Zeichnungen sind den jeweiligen Geschichten angepasst. So gibt es Bilderorgien, die vor Details und winzigen Feinheiten nur so strotzen, dass man pro Seite mehrere Minuten betrachten muss, um alles zu erfassen. Dem gegenüber stehen minimalistische Strichzeichnungen und Skizzen, schnell hingeworfen, passend zu den in der Story vorkommenden Kinderkritzeleien, ebenso niedliche Elemente für das Magical Girl. Allein die Frontbilder zu den einzelnen Kapiteln sind Posterqualität, die man sich (sofern man nicht allzu leicht zu Albträumen neigt) am liebsten ins Zimmer hängen möchte. Es ist faszinierend anzusehen, wie die beiden Autoren hier ihr gesamtes Können auspacken und inhaltlich wie graphisch alles ausreizen, was ihnen möglich ist. 

Am Ende des Mangas folgt ein mehrseitiger Dialog zwischen den Autoren, die rückblickend die Entstehung dieses Werkes beleuchten. Sie schildern, wie sie auf die Ideen zu den Geschichten kamen, auf welche Weise sich das Gesamtkonzept bildete und wie sie es dann umgesetzt haben. Der Blick hinter die Kulissen liest sich in diesem Fall ebenso spannend wie der Manga selbst, macht umso mehr Lust, ihn direkt nach Abschluss noch einmal von vorne zu beginnen.

Dem Leser wird Flexibilität abverlangt für all die Genres, wechselnden Zeichnungen, die Stimmungswechsel und auch die verschiedenen Anliegen, welche die Autoren präsentieren. Es ist kein Manga, den man nebenbei lesen kann. Um ihn zu erfassen, sollte man sich einen Nachmittag Zeit nehmen, die Bilder zelebrieren, die Episoden wirken lassen und sich ganz darin versenken. Außerdem wird der Manga in einem hübschen Schuber geliefert, der einen Teil des Covers verdeckt und selbst ein schicker Schmuck ist. Wirklich ein Blickfang!

Meiner Meinung nach kein normaler Manga, sondern ein kleines Kunstwerk, das auf jeden Fall ins Regal gehört, um immer wieder darin zu blättern. 


SaschaSalamander 01.07.2014, 09.51

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