SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Die Hungrigen und die Satten

Seit seinem Buch ER IST WIEDER DA dürfte Timur Vermers ja allen Lesern gut bekannt sein. DIE HUNGRIGEN UND DIE SATTEN ist sein neues Buch, und ich war mächtig gespannt. Ja, auch gespannt, ob es mithalten konnte, denn die Messlatte lag schon ziemlich hoch, auch wenn man zwei Titel nicht miteinander vergleichen sollte.


Nach Einführung der Asylobergrenze hat Europa in sehr naher Zukunft seine Flüchtlinge nach Nordafrika ausgelagert, wo sie nun warten. Lionel ist der Ansicht, dass er in den zig Jahren, die er hier schon wartet, auch zu Fuß nach Europa hätte gehen können. Dann kommt Nadeche Hackenbusch, Fernsehmoderatorin der Sendung "Engel im Elend", und sie berichtet live vor Ort über die Verhältnisse in den Lagern. Lionel nutzt die Gelegenheit, Nadeche hilft ihm, und gemeinsam machen sich 150.000 Flüchtlinge auf den Fußmarsch nach Deutschland. Der Sender freut sich über die Quoten, die deutsche Regierung schiebt Panik, die anderen Ländern sind verunsichert und reagieren unterschiedlich, immer mehr Menschen schließen sich dem Trek an, die Lage wird immer ernster, und alles spitzt sich zu bis zum großen Showdown ...

Das Buch ist hochbrisant und absolut politisch. Von "fiktiv" zu reden würde ihm nicht gerecht, weil es die Themen brandaktuell und realistisch aufgreift und das Szenario erschreckend realistisch darstellt. Natürlich mit anderen Namen, neuen Akteuren, gleichzeitig aber extrem vielen Seitenhieben auf reale Personen, Sender, TV-Formate und politische Positionen. Daher fehlt es mir für die Rezension auch an Hintergrundwissen. Manches kann man als Leser wohl nur erfassen, wenn man sich in der Thematik besser auskennt. Man merkt diesem Buch an: der Autor weiß, wovon er schreibt, und er schreibt beängstigend klar.

"Gefallen" kann man bei diesem Buch also schlecht sagen. Humor kommt anfangs nicht zu kurz, dieser ist allerdings wie bereits aus seinem Erstlingswerk gewohnt sehr düster und bleibt oft im Halse stecken.

Zugegeben, die Anfangszeit fiel mir schwer zu lesen, denn gerade das TV-Format, der Dreh der Sendung, all die nervigen Charaktere der Sendereihe, das wurde mir zu anstrengend und nervtötend. Stellenweise zog es sich extrem, selbst in der gekürzten Hörbuchfassung war ich oft versucht, einfach abzubrechen. Ich wollte aber wissen, wie es weitergeht mit den Flüchtlingen. Und vor allem: für welches Szenario würde sich der Autor entscheiden, sobald sich die Flüchtlinge der deutschen Grenze näherten?

Sobald die Flüchtlinge ihren Fußmarsch beginnen, zog das Buch für mein Empfinden deutlich an, die Spannung wächst. Der Trek ist gut organisiert, unterschiedliche Probleme wurden auf kreative Weise gelöst. Und immer wieder ethische Fragen bezüglich Flucht, Schleppern, Asyl, Menschlichkeit und natürlich der Rolle der Medien.

Der Spannungsbogen steigt zum Ende hin dramatisch an, für meinen Geschmack ZU dramatisch, das Weiterlesen fiel mir diesmal wieder schwer. Nicht, weil es langweilig war, sondern weil es auf sehr, sehr schmerzliche Weise real grausam wurde. Von "Lesegenuss" konnte keine Rede mehr sein, weil es bis ins Innerste trifft und man sich selbst knallharten Fragen stellen muss: über sich selbst, über das Land in dem wir leben, über die Bedeutung von Menschlichkeit.

DIE HUNGRIGEN UND DIE SATTEN ist alles andere als ein schönes Buch. Lustig ist es, aber auf sehr makabere, bösartige Weise. Es ist ein grausames, realistisches Buch, das den salzigen Finger mitten in der Wunde dreht, um noch tiefer zu gelangen. Aber bei manchen Themen ist das leider notwendig, deswegen ist es zugleich auch ein wichtiges Werk, das man einigen Politikern in die Hand drücken müsste, ...

SaschaSalamander 07.11.2018, 09.09

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