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Ausgewählter Beitrag
Der Mann meines Bruders
INHALT
Yaichis Zwillingsbruder Ryuoi wanderte damals nach Kanada aus, um dort zu heiraten. Seitdem hatten die beiden keinen Kontakt mehr. Doch nach Ryojis Tod steht plötzlich der Witwer Mike Flanagan vor Yaichis Tür und möchte seine Trauer verarbeiten, indem er die Lieblingsplätze seines verstorbenen Mannes aufsucht. Widerwillig bietet Yaichi ihm seine Gastfreundschaft an. Während er selbst damit kämpft, sich die Abneigung nicht anmerken zu lassen, geht seine Tochter Kana völlig locker auf den Fremden zu und stellt ihm viele neugierige Fragen über den Onkel, den sie nie kennenlernen durfte.
GENRE
Auch, wenn es hier um schwule Männer geht, handelt es sich nicht um einen Shonen Ai oder Yaoi. Das zu betonen ist mir sehr wichtig! Es gibt also keine hübschen Jungs mit mädchenhaften Gesichtern. Und es gibt auch keine erotischen Andeutungen oder gar explizite Szenen, keinen Kitsch, keine entsprechenden sonstigen Klischees. Es ist kein Manga von Frauen für Frauen, sondern eine ernste Geschichte für Erwachsene.
Verständlich also, dass Carlsen das Ganze mal wieder mit etwas größerem Format verlegt und 10 Euro dafür verlangt. Und fast schon erstaunlich, dass es nicht als Hardcover für 14 oder gar 20 Euro unter dem Begriff "Graphic Novel" verkauft wurde *seufz*. Immerhin: Die Reihe ist in vier Bänden abgeschlossen.
Verständlich also, dass Carlsen das Ganze mal wieder mit etwas größerem Format verlegt und 10 Euro dafür verlangt. Und fast schon erstaunlich, dass es nicht als Hardcover für 14 oder gar 20 Euro unter dem Begriff "Graphic Novel" verkauft wurde *seufz*. Immerhin: Die Reihe ist in vier Bänden abgeschlossen.
"Drama" möchte ich es ungern nennen, denn es gibt viele herzwärmenden und witzigen Momente. Ich sehe ihn vor allem als Clash of Culture: Kanada trifft auf Japan, erwachsene Vorstellungen treffen auf kindliche Neugier, Homosexualität trifft auf Ablehnung. Es ist ein Manga voller Gegensätze, in denen alle Parteien sich erst einmal mächtig zusammenraufen müssen, um irgendwie miteinander klarzukommen.
AUTOR
Gengoroh Tagame, Jahrgang 64, arbeitet seit 1994 als Gay Erotic Artist. Seine Titel werden vor allem im Ausland vermarktet. Auf seiner >Homepage< findet man neben einer Biographie und seinen Interessen auch recht viele Zeichnungen. Er zeichnet (abgesehen von dieser ernsten Geschichte) vor allem Erotik und Pornographie. Mit Männern. Mit Muskeln, Behaarung, jeder Menge SM-Anteil. Man merkt, dass er es gerne derb und deftig mag.
Ich würde seine sonstigen Veröffentlichungen also nicht unter den üblichen Yaois einsortieren (weibliche Zielgruppe), sondern eher in westlichen Hardcore Gaymagazinen (Zielgruppe homosexuelle Männer). Für alle Mangafans, die sich hierfür interessieren, sind seine Werke eine Perle unter den ansonsten jugendfreien Veröffentlichungen.
ZEICHNUNGEN
Tagame zählt Tezuka zu seinen favorisierten Mangaka, und das sieht man seinem Werk eindeutig an in Charakterdesign, Bildaufbau, Perspektive und Gestaltung.
Mit 176 Seiten, wenig Text und großen Bildern ist der Manga sehr schnell gelesen. Tagame hält sich nicht mit unnötigen Hintergründen auf, auch mit Details ist ehr sehr sparsam, nur schlichte ungemusterte Rasterfolie zum Füllen der Szenerie. Die Panels sind sehr geradlinig und exakt angeordnet, auch dies sehr hilfreich für den Lesefluss.
Die Menschen sind sehr realistisch gehalten: Körpersprache, Proportionen, Gesichtsausdruck, Kleidung, alles ist sehr gut herausgearbeitet. Und auch, wenn es kein erotischer Manga ist - man erkennt dennoch, wieviel Wert der Zeichner auf die Körperlichkeiten legt. Ohne Anzüglichkeit baut er entsprechende Szenen ein, etwa unter der Dusche oder beim Schlafen, in denen schwule Leser einige Leckerbissen zu sehen bekommen.
Auch in der Optik wird sehr deutlich herausgearbeitet, wiesehr Mike und Yaichi sich unterscheiden. Der zwar kräftige aber eher kleine und unbehaarte Japaner, neben ihm der große, muskulöse, bärtige, am ganzen Körper sehr stark behaarte Kanadier.
So schlicht die Zeichnungen eigentlich sind - Tagame arbeitet sehr viel mit Gesichtsausdrücken. Kanas kindliche Freude und Neugier, ihr Strahlen ist ansteckend und lässt den Leser lächeln. Yaichis japanische Beherrschtheit, seine verschlossene Miene, die Zurückhaltung drücken sich klar in seiner Körpersprache aus, die Ablehnung des Fremden wird niemals ausgesprochen aber ist überall zu sehen. Und der bärige Mike hat den besten Hundeblick, den ich je in einem Manga gesehen habe, seine Augen sind nur ein paar Striche mit Punkt darin, die Mimik nur ein Strich unter den Augen oder auf der Stirn, aber damit ist alles gesagt. Großartig, wie der Zeichner das mit so einfachen Strichen so gelungen einfangen kann!
CHARAKTERE
Die Charaktere wurden sehr gut herausgearbeitet. Der Manga kommt bis auf ein paar einzelne Panels ausschließlich mit drei Personen aus: Yaichi, Mike und Kana.
Yaichi findet Sex zwischen Männern widernatürlich. Sosehr er versucht, seine Abneigung zu verheimlichen und ein höflicher Gastgeber zu sein, gelingt ihm dies nur sehr schwer. Allerdings begreift er im Laufe seiner Begegnung mit Mike, dass es vor allem seine eigenen Vorurteile und auch gesellschaftlichen Vorbehalte sind, die ihn von seinem Bruder getrennt haben. Zur Trauer über den Tod kommt bald die Erkenntnis, wieviel er eigentlich durch seine eigene Schuld verloren hat und wiesehr er sich von seinem Bruder entfremdet hat. Mikes freundschaftliches Auftreten und Kanas kindliche Neugier helfen ihm, sich schrittweise zu öffnen.
Mike ist groß, mächtig, behaart, er ist ein Ausländer, ein "Kanadier" (dies zu betonen ist ihm selbst sehr wichtig). Doch sein bulliges Auftreten steht in klarem Kontrast zu seiner ruhigen, sanften und verletzlichen Art. Während Yaichi beherrscht, ernst und kontrolliert ist, steht Mike zu seinen Gefühlen, weint aus Trauer, er umarmt die kleine Kana stürmisch. Er äußert seine Gefühle verbal, in seiner Körpersprache und auch durch Mimik / Gestik. Durch sein auffälliges Äußere sowie sein ungewöhnliches Verhalten fällt er überall in der Nachbarschaft sofort auf. Dass Yaichi genauso aussieht wie sein verstorbener Mann macht es ihm sehr schwer.
Kana ist ein quirliges Mädchen. Manchmal vermisst sie ihre Mutter, aber das soll ihr Vater nicht erfahren. Sie findet alles spannend: Mike kann toll Mac´n Cheese kochen, voller Begeisterung wuschelt sie in den Bauchhaaren ihres Onkels, sie möchte mehr wissen über das Zusammenleben zweier Männer (gibt es da auch eine Rollenverteilung Mann/Frau? Warum darf man in Japan nicht auch heiraten? Dürfen auch Frauen untereinander heiraten?). Sie versteht nicht, warum ihr Vater sich auf einmal so distanziert verhält, und warum er ihr nie von seinem Bruder erzählt hat. Für sie ist Mike ein großes Abenteuer, und ihre Begeisterung ist ansteckend.
AUFBAU
Der Manga ist in vier Bänden abgeschlossen. Bisher habe ich nur den ersten Band gelesen, freue mich aber schon sehr auf die Fortsetzungen.
Es sind einzelne Episoden, in denen Mike zB erst ankommt oder später die Umgebung erkundet oder in denen er Kanas Fragen beantwortet. Nach und nach beginnt vor allem Yaichi sich zu verändern in seiner Wahrnehmung, er beginnt sich zu hinterfragen. Zumindest im ersten Band ist der Schwerpunkt also auf seine Entwicklung gelegt.
DARSTELLUNG HOMOSEXUALITÄT
Das Thema Homosexualität finde ich sehr schön umgesetzt. Es geht nicht um Erotik oder Sex. Sondern um die Liebe zwischen erwachsenen Menschen. Es wird ganz schlicht und selbstverständlich erklärt, dass sie nicht Mann und Frau sind, sondern einfach nur Mann und Mann. Die Gesellschaft wird repräsentiert durch den Bruder, seine Ängste und Vorurteile werden anschaulich dargestellt und hinterfragt. Er wird nicht bloßgestellt oder als "böse" verurteilt, sondern er wird gezeigt als liebender Vater, als verantwortungsvoller Mensch, er ist höflich und ebenso wie die anderen Charaktere ein Sympathieträger.
Seien Entwicklung geschieht nicht plötzlich sondern schleichend und schrittweise. Die Gedankengänge der Beteiligten sind nachvollziehbar, die Handlung ist realistisch.
Der Manga positioniert sich klar für die gleichgeschlechtliche Liebe, verurteilt aber nicht mit mahnendem Zeigefinger die Gegenstimmen. Sondern er reicht dem ablehnenden Bruder die Hand, zeigt und erklärt. Er möchte Verständnis wecken und behandelt beide Seiten mit Respekt. Dadurch macht er es möglich, dass beide aufeinander zugehen und sich als Menschen begegnen.
FAZIT
DER MANN MEINES BRUDERS ist ein wundervoller Manga, dessen erster Band mich sofort begeistert hat. In ruhigen Bildern wird die Annäherung zweier völlig gegensätzlicher Menschen und Meinungen aufgezeigt. Sobald man ein paar Seiten gelesen hat, kann man den Titel nicht mehr aus der Hand legen und möchte wissen, wie es mit den dreien weitergeht. Absolute Empfehlung nicht nur für Mangafans!
SaschaSalamander 18.02.2019, 08.46
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