SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Das Glücksbüro

izquierdo_gluecksbuero_1.jpgINHALT

Albert Glück arbeitet nicht nur in einem Büro, er lebt sogar dort. Heimlich, wenn alle nach Feierabend das Gebäude verlassen, geht er hinunter in sein Zimmerchen. Die Welt draußen hat er schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Doch er ist bescheiden und zufrieden mit seinen Anträgen, Verwaltungsabläufen und den täglichen Ritualen. Bis eines Tages ein Antrag auf seinem Tisch liegt, den er nicht kennt und der etwas völlig Ungewöhnliches beantragt: nämlich nichts. Um herauszufinden, was es damit auf sich hat, muss er sich auf die Suche nach der Antragstellerin machen. Und dies wird sein Leben ganz schön umkrempeln, ...


AUTOR

Der deutsche Autor >Andreas Izquierdo< ist Journalist, schreibt jedoch auch Krimis, historische Romane, Kurzgeschichten, Drehbücher und nun auch den Roman DAS GLÜCKSBÜRO. Ich gebe zu, mir war er bis dahin nicht bekannt, doch das hat sich nun erfreulicherweise geändert, ich war hingerissen von seinem Roman und freue mich schon auf weitere Titel. Auch, wenn ich KÖNIG VON ALBANIEN oder APOCALYPSIA nicht kenne, kann ich mir nach der Lektüre des aktuellen Titels sehr gut vorstellen, warum er den Sir-Walter-Scott-Preis gewann bzw von Lesern bei Lovelybooks und Vorablesen zu den Preisträgern gehörte ;-)


THEMA

Es ist schwer, diesen Roman einzuordnen. Romantische Elemente - vorhanden, aber nicht unbedingt der Kern. Ich sehe DAS GLÜCKSBÜRO als ein unabhängiges Buch, fernab jeglicher Klischee - Schubladen und Genres, einfach ein Roman ganz für sich, es muss nicht verglichen werden um zu bestehen.

Anfangs geht es vor allem um das Leben und die Arbeit im Büro. Es scheint, als wäre es eine Liebeserklärung an Verwaltung, Bürokratie und Perfektionismus. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn man mir davon erzählt hätte: Izquierdo schreibt mit solch einer Poesie von Anträgen, Verwaltungsvorschriften, Dienstanweisungen und Formularen, dass dem Leser warm ums Herz wird. Zwei Seiten, auf denen der Autor die unterschiedlichsten Anordnungen, Behörden, Vorschriften aufzählt und aneinanderreiht, und es liest sich wie ein erotisches Versprechen, verheißungsvoll gehaucht ins Ohr der Liebsten. Noch nie waren A 12, A 401, B 20, B 21 so lebendig. Noch nie waren das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen, Bundeszentralamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie, Bundesnetzagentur für Elektrizität so persönlich und leidenschaftlich.

Er vermag es mit seinen Metaphern und gewählten Worten, tristen Objekten Leben einzuhauchen und Magie in einen scheinbar kalten, menschenverachtenden Ort zu transportieren. Es ist kein lautes Buch, sondern still, voller herzlichem Humor, unaufdringlich und sanft.

Doch bald wird klar, dass dies nicht das Thema des Buches ist. Was der Autor sich zum Ziel gesetzt hat und wie andere es empfinden, kann ich nicht beurteilen. Für mich war der Kern die Entwicklung vom autistischen, fast schon misantropischen Charakter hin zum Menschenfreund, dessen Streben dem Wohl der anderen gilt. Diese Entwicklung wurde auf eine Weise umgesetzt, die davon zeugt, dass hier nicht nur ein Schreiberling am Werk war, sondern ein professioneller Autor, der sein Handwerk mit geschickter Feder führt.


CHARAKTERE

Protagonist des Buches ist natürlich Albert Glück, der dem Buch seinen Namen gab und dessen Name Programm ist. Glück kann man nicht kaufen, aber beantragen. Albert wirkt autistisch, er verfügt über unglaubliche Inselbegabungen, die ihn regelrecht zu einem Savant auf dem Gebiet der deutschen Verwaltung machen. Wo andere verzweifeln - Albert ist perfektionistisch, er kennt alle Anträge in Deutschland, seine Lektüre sind die unterschiedlichsten Formulare aller Behörden. Sein Erleben, sein innerer Wandel ist Kern des Buches und wurde meisterlich umgesetzt, die Entwicklung ist nachvollziehbar. Während in den meisten Büchern Charakterentwicklung nebenher geschieht, ist es hier regelrecht spannend zu verfolgen, man fragt sich was als nächstes geschieht und welchen Schritt er nun geht.

Anna ist das genaue Gegenteil von Albert, und sie ergänzen sich ganz wunderbar. Ich habe viel gelacht, denn unterschiedlicher können zwei Menschen kaum sein, was natürlich zu sehr viel witzigen Situationen führt. Es ist wunderschön, wie die lebenslustige, abenteuerfreudige Anna dem vorsichtigen Albert gegenübertritt und wie die beiden versuchen gemeinsam einen Weg zu beschreiten.

Faszinierend finde ich, wie der Izquierdo auch Formularen, Anträgen und innerbehördlichen Vorgängen eine Persönlichkeit verleiht (sogar zu einem Wiedergänger mutiert einer von ihnen), und wie er im Gegenzug anfangs die Menschen objektifiziert. Die Kollegen sind für ihn Büronummern, Geburtsdaten, pünktlich zu den exakten Uhrzeiten beginnen sie ihre Rituale, die er voller Freude beobachtet und an denen er heimlich teilnimmt. Begeistert verfolgte ich, wie auch dies sich wandelt. Wie Anträge immer mehr an Farbe verlieren, Menschen dafür an Substanz gewinnen. Etwas, das ich in dieser Form noch nicht gelesen habe und das ich eine angenehme Abwechslungs finde, weil es einfach etwas ganz Besonderes ist.


SPRACHE

Die Sprache ist leichtfüßig und doch eloquent, Izquierdo verwendet seine Worte bewusst, sein Wortschatz ist gut verständlich, ohne umständliche Formulierungen oder Fremdwörter. Dennoch greift er bevorzugt zu eher unüblichen und ungewöhnlichen Begriffen, sodass auch hier stets der Hauch des Besonderen über den Seiten schwebt. Normalerweise zitiere ich gerne einzelne Sätze aus dem Buch, hier jedoch könnte ich jede beliebige Seite aufschlagen, fände überall etwas, das ich gerne zitieren möchte, weil es so besonders klingt.

Ich liebe gekonnte Sprache und finde es schade, dass manche Autoren sie als Mittel zum Zweck (des Transportes der Story) missbrauchen, ungeachtet ihrer Schönheit und Zartheit. Im GLÜCKSBÜRO kam ich auf meine Kosten, hier konnte ich in Formulierungen, Zitaten schwelgen und mich an all den filigranen Formulierungen berauschen. Dabei jedoch bleibt der Autor gleich seinem Protagonisten immer bescheiden, niemals übertreibt er (denn gerade hier lauert die Gefahr, ins Schwülstige abzudriften, die Metaphern zu übertreiben oder die bewusst ungewöhnlichen Worte zu übertreiben, bis der Text ein einziges Kunstobjekt ist, den zu lesen keinen Spaß mehr macht).

Das Buch erzeugt beim Lesen sehr klare Bilder im Kopf, oft hatte ich regelrecht eine Verfilmung vor mir, in der ich deutlich die Musik hörte, die Kamerafahrten durch die langen Gänge sah. Alles ist sehr plastisch gehalten, die Beschreibungen sind greifbar und direkt, erzeugen eine lebendige Vorstellung beim Leser. Man meint regelrecht den Muff der alten Teppiche, das Papier der Anträge zu riechen.


AUFBAU

Den Aufbau habe ich ja in den anderen Punkten bereits klar beschrieben: zu Beginn geht es vor allem um das Büro und die Anträge, Menschen sind Randerscheinungen, und immer mehr gerät dies in den Hintergrund, beginnt die eigentliche Handlung. Auch das Tempo ist diesem angepasst. Langsames Arbeiten im Büro, rhyhtmisch und beständig, bis es bald immer rasanter, unrhythmischer, unplanbarer wird und die Ereignisse sich überschlagen.

DAS GLÜCKSBÜRO ist in sich in jeder Hinsicht stimmig. Charaktere, Sprache, Handlung, Aufbau, alles bildet eine Einheit und ist untrennbar verwoben.


FAZIT

Ich bin sicher, der Autor trug beim Schreiben ein verschmitztes Lächeln. Denn DAS GLÜCKSBÜRO zaubert dem Leser ein Lächeln ins Gesicht, es macht glücklich, es verzaubert. Das Buch ist eine Perle unter den aktuellen Neuerscheinungen, die ich allen Lesern unbedingt ans Herz legen möchte! :-)

SaschaSalamander 25.02.2013, 08.55

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