SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Broken Girl

INHALT

Der Ich-Erzähler beobachtet einen tragischen Unfall, bei dem ein Mädchen zu Tode kommt. Ihre Freundin, welche den Unfall überlebt, verhält sich seltsam. Doch der Alltag geht weiter, er fährt in die Uni und versucht diesen Vorfall zu vergessen. Kurz darauf aber wird er von eben jenem überlebenden Mädchen "entführt". Sie sperrt ihn in die Abstellkammer und versorgt ihn täglich mit Nahrung. Eigentlich könnte der junge Mann fliehen, aber etwas hält ihn zurück. Er möchte gerne mehr über das seltsame Mädchen erfahren.




GENRE / ERZÄHLTECHNIK

Drama? Mystery? Krimi? Kammerspiel? Ich ordne es am ehesten unter Kammerspiel ein, so man dies bei einem Manga sagen kann. Zumal sich sogar die halbe Geschichte tatsächlich in der Abstellkammer abspielt, in welcher der Protagonist "eingesperrt" wird. Bis auf die knappe Einleitung auf der Straße und in der Uni spielt die Geschichte komplett in dieser Abstellkammer. Schwerpunkt ist der innere Monolog bzw die Reflektion des Ich-Erzählers (die Geschichte wird rückblickend erzählt).

Da es ein Ich-Erzähler ist, könnte man meinen, die Geschichte würde nur aus seiner Perspektive erzählt. Da er jedoch rückblickend erzählt und er nun nach 10 Jahren mehr weiß als der Leser während der Handlung, kann er als allwissender Erzähler auftreten, sodass der Manga manchmal auch den Schauplatz in andere Zimmer oder in die Schule und die Alltagswelt des Mädchens außerhalb der Wohnung wechselt. Das verleiht der Geschichte ein wenig Abwechslung.

BROKEN GIRL basiert auf einem Roman von Nisioisin, der von Mitsuru Hattori als Manga umgesetzt wurde. Hätte ich den Roman gelesen, hätte ich mich wohl gefragt, wie man aus dieser ungewöhnlichen Geschichte einen Manga machen möchte, da die Handlung nicht mit Bildern spielt. Als Film könnte ich es mir gerade noch vorstellen, da man mit Kameraschwenks und entsprechender Musik das Setting "ausleuchten" könnte, aber tatsächlich ist die Umsetzung in Bilder außergewöhnlich gut gelungen!


ZEICHNUNGEN

Die Zeichnungen passen zum schlichten, schnörkellosen Stil. So, wie der Ich-Erzähler sich nur an die wichtigen Dinge erinnert und sich vor allem auf sich und das Mädchen konzentriert, so wird hier alles andere auch weitgehend ausgelassen. Nur, wenn es wirklich für die Handlung wichtig ist, wird der Hintergrund gezeigt, ansonsten belässt Hattori es weitgehend bei gemusterter Rasterfolie, die nicht von den Figuren ablenkt.

Die Geschichte spielt zu Beginn nur in der Kammer. Jedoch erinnert der Ich-Erzähler sich an viele Dinge, zieht Vergleiche zu seiner Kindheit, berichtet von dem Leben des Mädchens, erzählt von seinen Erinnerungen an die Zeit als untalentierter Autor. Diese Bilder sind "von außen" gezeichnet, als Überblick über die gesamte Szene. Zwischendurch wird auch aus seiner Sicht gezeichnet, sodass man sieht, was er vor sich sieht, etwa das ihn bedrohende Mädchen, die Kammer um ihn herum, der Blick durch die Tür nach draußen. Sehr schön dargestellt, bei einem Film würde ich sagen "ganz tolle Kameraführung" :-)


CHARAS

Außer den den beiden Protagonisten gibt es nur Randfiguren, denen nur extrem wenige Panels gewidmet werden. So etwa eine Lehrerin, die sich kurz nach dem Befinden ihrer Schülerin erkundigt.

Das Mädchen ist von Beginn an unheimlich und geheimnisvoll. Sie sieht niedlich aus, hat sehr gute Manieren, ihre Stimme ist leise und freundlich, doch im nächsten Moment wird sie gefährlich, droht mit dem Messer. Sie wirkt verloren, verletzlich, traurig, zugleich aber auch gefährlich und unberechenbar. Ihre Motive bleiben lange im Unklaren.

Der Ich-Erzähler ist ebenfalls schwer einzuschätzen, denn sein Verhalten ist durch und durch ungewöhnlich. Ist es Trägheit, dass er nichts unternimmt? Sorge um das Mädchen? Angst vor möglichen Konsequenzen? Man kann viel hineininterpretieren. Obwohl er sich selbst reflektiert und viel über sich erzählt, bietet der dem Leser sehr viel Projektionsfläche.

Beide Charaktere entwickeln sich, kommen sich näher. Dennoch sind beide sehr rätselhaft und lassen den Leser nicht alles erfahren. Aber auf jeden Fall sind beide durch und durch sympathisch, und das Handeln des jungen Mannes erscheint erstaunlich nachvollziehbar, so falsch und vor allem unglaubwürdig es anfangs auch sein mag.


EIGENE MEINUNG

Gerne würde ich den Roman lesen, und sogar als Film kann ich mir BROKEN GIRL extrem gut vorstellen. Während des Lesens hatte ich klare Worte und Bilder im Kopf, die den Manga ergänzten und für mich sehr lebendig werden ließen.

In einigen Punkten ist die Handlung etwas unrealistisch, gebe ich zu. Aber daran will ich gar nicht herumkritteln, denn dazu hat mir der Manga einfach zu gut gefallen. Es geht eher um die Idee dahinter, um die Darstellung der Szenerie, um die Verbindung der Charaktere. Wer weiß schon, wie man sich in Wirklichkeit verhalten würde und was realistisch wäre. Und die Erklärung, die man erst im dritten Band erfährt, nun ja, ein bisschen weniger dramatisch wäre wohl besser gewesen (und vermutlich glaubwürdiger), aber das ist okay. Ich sehe es als künstlerische Freiheit, mit der der Ich-Erzähler rückblickend der Geschichte ein wenig mehr Drama verleiht.

Der Manga ist in drei Bänden abgeschlossen. Da es nur sehr wenige Dialoge gibt, ist er auch extrem schnell gelesen (für alle drei Bände zusammen hatte ich gerade einmal eine Stunde benötigt, obwohl ich ihn in Ruhe ohne Hektik gelesen habe). Mit 7 Euro pro Band ist das also ein ziemlich teures Vergnügen. Dennoch: BROKEN GIRL wird mein Regal zieren. Ich behalte diejenigen Titel, die ich ein weiteres Mal lesen werde und die mich nach dem Lesen weiterhin beschäftigen. Dies ist hier der Fall. Ich glaube, diese beiden namenlosen Protagonisten werde ich so schnell nicht vergessen ...


FAZIT

BROKEN GIRL ist ein Manga, der sich erzähltechnisch über die Genregrenzen hinwegsetzt. Die schlichte, geradlinige Erzählweise bildet eine gelungene Einheit zu den klaren Bildern, sodass der Leser sich völlig auf die Charaktere und ihre gemeinsame Entwicklung konzentrieren kann. Von mir eine absolute Empfehlung für alle, die sich auf einen ruhigen, dialogarmen aber sehr intensiven Manga einlassen möchten.

SaschaSalamander 05.11.2018, 08.21

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