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Ausgewählter Beitrag
Hölle (Pilo Family Circus)
Eines nachts überfährt Jamie scheinbar einen Clown. Daraufhin wird er verfolgt, erhält Drohungen und Botschaften von den Clowns. Um sich zu retten, soll er eine seltsame Prüfung ablegen. Und dann wird er Mitglied des Pilo Family Zirkus. Eine groteske, bizarre Welt mit eigenen Gesetzen, in denen Jamie einen neuen Teil seiner Persönlichkeit kennen- und hassen lernt. Er kämpft gegen den Zirkus, gegen sein dunkles Selbst und muss versuchen, der Hölle zu entfliehen.
Ich bin vor einiger Zeit über das Buch gestolpert, seitdem wartet es in meinem Regal darauf, gelesen zu werden. Nachdem ich bei Spotify dann über die Audioversion gestolpert bin, habe ich es also endlich gehört, denn Oliver Rohrbeck schiebt man nicht immer wieder hinaus, manche Sprecher lösen bei mir einen unsichtbaren Hörzwang aus ;-)
Hm, ich gebe zu, ich hatte mir etwas mehr davon erwartet. Es ist ein Romandebut von Will Elliot, und der Autor hatte es nicht einmal darauf ausgelegt, erfolgreich zu werden, er wollte einfach schreiben. Dass er dann so viel Beachtung fand und sogar einen ordentlichen Preis dafür gewann und für weitere nominiert wurde, sei ihm gegönnt, er hat all das für seine innovative Idee auf jeden Fall verdient. Trotzdem finde ich HÖLLE (der originale Titel ist bei weitem aussagekräftiger, warum müssen die Deutschen das so oft verhunzen?) noch nicht ganz ausgereift.
Einem klaren Genre lässt es sich nicht einordnen. Es ist unter Horror zu finden, ich würde es aber eher als Groteske bezeichnen. Ein sehr schräger Humor, lächerliche Clowns, ein knallbunter Zirkus, und all das eingebettet in absurde Szenen, eine bizarre Welt voller Blut, Ausscheidungen, Gewalt und bitterböse Streiche weit unter der Gürtellinie. Nichts ist den Zirkusmitgliedern heilig. Religiöse Werte sowie Ethik werden hier auf paradoxe Weise verzerrt und in einem morbiden Bühnenbild inszeniert.
Ob das gefällt, sei dahingestellt. Ich mochte die abgedrehten Ideen und die teils wirklich ungewöhnlichen Darstellungen, die von einer ziemlich durchgeknallten Phantasie des Autors zeugen, etwa die ungewöhnliche Hochzeit (mehr kann ich vorab leider nicht verraten). Grandios! Allerdings waren manche Szenen nicht mehr durchgeknallt sondern schienen recht unreif, vergleichbar einem Affen oder Kind, das voller Freude im eigenen Kot wühlt und dabei über die angewiderten Gesichter der Umstehenden lacht. Das empfand ich nicht mehr als Mittel zum Zweck sondern als eine Katharsis des Autors, die er dem Leser auch gerne hätte ersparen dürfen.
Die Charaktere an sich sind faszinierend. So lernt man mit der Zeit neben den Clowns auch andere Zirkuskünstler und den Direktor kennen. Jamie als Protagonist beehrt den Leser gleich zweimal, nämlich in seiner normalen und in seiner geschminkten (und somit verzauberten, bösartigen) Gestalt. Leider werden die Figuren nicht vertieft. Man erfährt überhaupt nichts über deren Vorleben oder Interessen. Es mag vielleicht für die Handlung im Pilo Zirkus nicht wichtig sein, aber dadurch vermitteln sie auch keine Tiefe, man kann sich nicht wirklich in sie einfühlen und hat auch kein Interesse, sie näher kennenzulernen. Gerade bei Figuren wie Gonko, dem Anführer der Clowns, oder Winston, Jamies Verbündetem, wünscht man sich als Leser etwas mehr Hintergrund.
Ähnlich wie die Charaktere ist auch die Welt aufgebaut: im aktuellen Zustand zwar sehr gut beschrieben, aber ohne Hintergrund. Was zählt, ist nur der gegenwärtige Stand, und davon berichtet der Autor sehr viel. Aber viele Fragen über die Hintergründe bleiben unbeantwortet und lassen mich etwas unbefriedigt zurück.
Die Erzählweise des Autors ist temporeich. Der Anfang lässt noch etwas Raum zum Atmen, doch sehr schnell steigert sich das Tempo, und sobald Jamie im Zirkus ist, geht es nonstop von einem Abenteuer zum nächsten. Wild und abgedreht wird der Leser von einer Szene in die nächste geworfen. Ich habe das Gefühl, dass der Autor vorab wenig geplottet sondern einfach mal drauflosgeschrieben hat, um sich selbst zu überraschen, wohin die Reise gehen könnte. Es wirkt stellenweise etwas undurchdacht, und einen Spannungsaufbau im eigentlichen Sinne gibt es nicht, lediglich eine Aneinanderreihung von Höhepunkten aus Streichen, Kämpfen, Intrigen, Geheimtreffen, Streitereien und Verwüstung. Der Sinn mancher Szene möchte sich mir nicht so recht in Bezug auf die gesamte Handlung erschließen, sie sind wohl als Selbstzweck zu betrachten, dienten dazu, dass der Autor sich einfach so richtig austoben konnte.
Oliver Rohrbeck als Sprecher ist wie zu erwarten großartig. Er hat den Dreh raus: wann muss er sich als Sprecher zurücknehmen, wann muss er die Charaktere aufbauen, wann wird er langsamer, schneller, lauter, leiser, wann wechselt er Tonfall und Stimme. Problematisch allerdings fand ich seine Darstellung einiger Clowns. Wannimmer er mit dieser hohen, nervigen Stimme sprach, schmerzten mir die Ohren. Es passte zwar sehr gut, er hat den Nerv des Buches damit perfekt getroffen, aber ein bisschen weniger perfekt wäre mir offen gesagt lieber gewesen, meinem gemarterten Trommelfell zuliebe: die Stimme ging wirklich durch Mark und Bein und klang wie Kreide auf der Schiefertafel *schüttel*.
Alles in allem also ist HÖLLE ein Debut mit ungewöhnlichen Ideen und großartigen Momenten. Allerdings ist der Storyaufbau etwas hektisch, und sowohl die Charaktere als auch die Welt lassen ein wenig an Hintergrund vermissen. Es ist (noch) kein Meisterwerk, aber Will Elliott als Autor werde ich nicht so schnell vergessen und bin neugierig auf weitere Titel.
SaschaSalamander 06.03.2015, 09.46
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