SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Wayfarer 3 - Unter uns die Nacht

KLAPPENTEXT: Seit Jahrzehnten lebt die Menschheit im Exil: Ihre Siedlerschiffe der Exodus-Flotte kreisen um eine neue Sonne, und das Leben mit begrenzten Ressourcen ist der neuen Generation längst zur Gewohnheit geworden. Doch nicht jedem gefällt ein Dasein unter künstlichen Bedingungen, und je weiter sich die Exodaner der Galaktischen Union öffnen, desto mehr geraten die alten Traditionen unter Druck. Und so stehen auch Kip, Tessa, Sawyer, Isabel und Eyas vor der Frage: Ist ihr Alltag auf der Asteria alles, was das Leben für sie bereithält?






BEZUG ZUR REIHE

UNTER UNS DIE NACHT ist der unabhängige dritte Teil der WAYFARER Reihe, die ich mit Teil 1 >DER LANGE WEG ZU EINEM ZORNIGEN KLEINEN PLANETEN< und Teil 2 >ZWISCHEN ZWEI STERNEN< bereits begeistert vorgestellt habe. 

Die Handlung spielt im gleichen Universum, einige Charaktere treten mehrfach in der Reihe auf oder werden namentlich auch in den anderen Büchern erwähnt, dennoch ist jeder Titel ein Einzelwerk.

Was für Erstleser dieses Bandes neu ist, sind Begriffe und Bezeichnungen sowie manche außerirdischen Rassen, Sprachen oder Rituale. Für Fans der Reihe finden sich hier viele Dinge wieder, die man bereits kennen und schätzen gelernt hat. 


CHARAKTERE

Die Charaktere waren eine Stärke der ersten beiden Bände. Zwar gab es viele Figuren, die in der Handlung eingebunden waren und eigenen Raum bekamen, dennoch gab es eine bzw zwei feste Protagonisten. Hier dagegen gibt es sechs Protagonisten. In jedem Teil des Buches bekommen sie eine oder mehrere kurze Episoden gewidmet, in denen ein Ausschnitt seines / ihres Lebens dargestellt wird. Die Teile des Buches beinhalten auch große Zeitsprünge, sodass wir zB Kip als Kind, als pubertären Jugendlichen und auch jungen Erwachsenen erleben. 

Es tut mir leid, immer wieder Vergleiche zu den anderen beiden Büchern zu ziehen, doch durch die Buchreihe drängt sich dies natürlich auf. Bei den ersten beiden Bänden hatte ich als Leser das Gefühl, Teil der Mannschaft, Teil des Freundeskreises zu sein. Eine verschworene Gruppe, der ich angehörte. Hier dagegen soll eine ganze Raumstation dargestellt werden. Es ist eine schöne Idee, die Vor- und Nachteile des Lebens auf der Exodus-Flotte aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Doch durch die ständigen Brüche in der Handlung, die extrem kurzen Ausschnitte, die ständigen Zeitsprünge war es mir nicht möglich, irgendeine Verbindung zu den Figuren herzustellen. 

Die Charaktere entwickeln sich deutlich weiter, es vergeht viel Zeit. Jedoch darf ich als Leser nur an einzelnen wichtigen Momenten ihrer Entwicklung teilhaben, sodass der Großteil ihres Lebens ungesehen an mir vorübergeht. Dadurch wirkt die Entwicklung für mich stellenweise zwar nachvollziehbar aber wenig interessant. 

Dazu kommt: es ist ein Science-Fiction Roman. Zwar ist das Setting in der Zukunft, und es gibt auch Aliens. Aber für mich ist das Buch zu alltäglich. Es schildert gewöhnliche Situationen, die ich in einem aktuell gegenwärtigen Setting nicht als Buch lesen würde, etwa "die Kinder sind aus dem Haus, was kommt danach", "ich habe die Schule abgeschlossen und weiß nicht, was für eine Ausbildung ich machen möchte" oder "ich liebe meinen Job, fühle mich aber nicht ausgefüllt und möchte mich selbst verwirklichen". 


SCHREIBSTIL - SPANNUNGSBOGEN

Der Schreibstil der Autorin ist gekonnt. Sie weiß, wie sie ihre Worte platziert (habe einige Seiten auf Englisch auf meinem Kindle gelesen, aber auch die deutsche Übersetzung finde ich sehr gelungen). Sie erklärt nicht, sondern sie lässt den Leser direkt am Geschehen teilhaben und schafft dadurch eine Nähe. Bereits der Einstieg eines jeden Kapitels animiert zum Weiterlesen. 

Was in den ersten Büchern noch erklärt wurde, wird hier einfach umgesetzt, etwa genderneutrale Sprache, gewisse Begriffe für Außerirdische oder Rituale oder Lebensmittel. 

Trotzdem hat das Buch leider keinen Spannungsbogen. Anfangs hoffte ich, dass die Cliffhanger aufgelöst werden. Durch die vielen Perspektivwechsel und die ständigen Zeitsprünge fallen einige Ereignisse aber völlig unter den Tisch oder werden rückblickend nur kurz einmal angesprochen. Ich empfand es als ständiges Anfixen und dann wieder Fallenlassen, das war anfangs in Ordnung (weil ich dachte, es würde sich auflösen), wurde ab der Hälfte des Buches aber für mich immer frustrierender. 

Gelegentlich kommt ein wenig Fahrt in die Handlung, wenn sich die einzelnen Charaktere kurz begegnen. Auf gewisse Weise sind sie alle miteinander verwoben, allerdings war mir das doch etwas zu schwach umgesetzt. Zu viele einzelne Fragmente, zu oft wurde ich aus einer eigentlich spannenden Handlung herausgeworfen und dann in eine neue Szene platziert. Jedes neue Kapitel stellte den Leser vor eine neue Situation, und sobald man sich eingefunden hat und wissen möchte, wie es weitergeht, endet das Kapitel mit einem Cliffhanger, ohne später fortgesetzt zu werden. 


THEMA

Im ersten Band war der Clash of Cultures ein wesentliches Merkmal der Handlung: die Protagonistin musste sich in einer ihr fremden Situation zurechtfinden, verpackt in eine schöne Space-Opera. Im zweiten Teil waren eine KI und ein auf sich allein gestelltes Mädchen das Medium, um über die Fragen nach Identität und Menschsein zu philosopheren. Hier im dritten Band wird nun anhand vieler Charaktere das Leben auf der Raumstation geschildert: Von der Geburt bis zur Kompostierung, verschiedene Berufe, Tauschhandel und Währung, künstliche Gravitation, Wirkweise der Maschinen zur künstlichen Schwerkraft oder Wasseraufbereitung, Müllverarbeitung, Ernährung und viele anderen wichtigen Themen werden sehr realitätsnah und glaubwürdig beschrieben. Hard Science Fiction vom Feinsten, wie ich es liebe.

Gegen Ende von UNTER UNS DIE NACHT allerdings nähert sich die Autorin der Sinnfrage: woher kommen wir, wohin gehen wir, was ist der Sinn des Lebens, wozu das alles? Damit hat sie sich meiner Ansicht nach etwas übernommen. Dies wäre vielleicht möglich mit einem festen Charakter, den man über lange Zeit hinweg begleitet, nicht jedoch mit stetig wechselnden Akteuren in kurzen Momentaufnahmen. 


QUEER

Sehr schön finde ich, genauso wie in den beiden anderen Titeln, die Selbstverständlichkeit unterschiedlicher Lebensentwürfe. Da erzählt jemand ganz nebenbei von einem Kumpel und dessen Ehemann. Eine der Protagonisten lebt in eheähnlicher Gemeinschaft mit einer Frau. Es gibt sehr viele generneutrale Namen. Prostitution ist kein verruchtes Tabu sondern ein regulärer Job, der ebenso angesehen ist wie andere Berufe auch. Verhütung ist ein aktives Thema für beide Geschlechter, Jungen schneidern und nähen (auch), Mädchen sind (auch) wild und toben. Die Autorin wirbelt wild alle Klischees durcheinander und mischt die Karten völlig neu, lässt sich ihre Charaktere frei von Erwartungen und heute noch gängigen Konventionen entwickeln. Sie zeichnet das Bild einer Zukunft, in der Menschen gelernt habe, sich von gängigen binären Klischees zu lösen. 


EIGENE MEINUNG

Obwohl ich das Universum der Wayfarer interessant finde, habe ich gegen Ende viele Szenen quergelesen, die sich irgendwann nur noch in Dialogen über die Unzufriedenheit der gegenwärtigen Situation ergingen. Ich bin immer öfter abgeschweift und musste einige Seiten sogar mehrfach lesen, weil ich gedanklich zusehr abgedriftet bin. Immer wieder fragte ich mich "kommt jetzt noch was? Worauf will die Autorin hinaus?". 

Dabei muss ich aber sagen, dass ich das sehr schade finde. Denn ich mag das Wayfarer-Universum, ich schätze den Schreibstil der Autorin, und ich mag ihre aufgeschlossene Denkweise sowie die Methoden, mit denen sie ihren Lesern diese Weltsicht vermittelt. Es gab sehr viele wunderbaren Momente, die mich zutiefst bewegten und die ich noch lange in mir tragen werde. Auch habe ich einzelne Charaktere nach wenigen Sätzen bereits ins Herz geschlossen, leider waren das jedoch nur Nebenfiguren. 


FAZIT

Für Fans von Becky Chambers ist dieses Buch natürlich ein Muss. Einfach, um mehr von dem süchtigmachenden Stoff zu konsumieren. Wer aber in ihre Werke einsteigt, dem würde ich dieses Buch nicht empfehlen. Es bietet zu wenig Handlung, ist kein Pageturner, eher ein "zwischendurch mal kurz ein paar Seiten". Nicht schlecht, aber kein Vergleich zu den anderen Titeln. 

SaschaSalamander 25.10.2019, 09.48

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