SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Still Missing

stevens_missing_1.jpgAnnie ist eine erfolgreiche Maklerin. Eines Tages bei einer Hausbesichtigung wird sie entführt und in eine vorbereitete Hütte gebracht. Schalldicht, keine anderen Menschen in der Umgebung, eine Flucht aussichtslos. Der Täter unterzieht sie einer Art psychischer Folter. Nicht im klassischen Sinne, wie man es aus den Thrillern kennt. Sondern er will ein Kind mit ihr und lebt mit ihr das aus, was er unter Beziehung versteht und haben will, und wenn sie nicht mitmacht, wird er böse. Er hat sehr strenge Regeln und Vorstellungen, die er recht brutal umsetzt. Durch die "weichen" Momente, die er mit ihr verbringt, wird es umso grausamer. Sie kann entfliehen, und die Suche nach dem Täter beginnt.

Auf diesen Titel bin ich gestoßen, weil ich begeistert nach Titeln suchte, die von Laura Maire gesprochen wurden. Dass es auch noch ein aktuelles Buch war, umso angenehmer. Das Buch ist in mancherlei Hinsicht eher ungewöhnlich. Zum Beispiel beginnt es erst im Nachhinein. Es erzählt die Geschichte bis zu einem Punkt rückblickend. Annie erzählt ihrer Therapeutin, was geschah, wie sie sich fühlte, wie es weiterging. Und auch, wie es sich heute auf sie auswirkt, von welchen Ängsten sie geplagt wird und wie sich dies im Alltag zeigt. Ab dem Punkt der Flucht (etwas nach zwei Dritteln des Buches) sind wir dann in der Gegenwart, die Suche nach dem "Warum" und "was steckte dahinter" beginnt.

Wer einen klassischen Thriller erwartet, sollte vorgewarnt sein. Das Buch ist "anders". Wie in der Inhaltsangabe beschrieben: es geht nicht um die klassische Folter, um Deprivation, Schläge, Qualen, Blut, Gewalt. Es ist subtiler. Ohne vorwegzugreifen soviel: was er ihr als "Beziehung" abverlangt, ist schrecklich, traumatisch. Aber es kommt eben nicht so brutal daher wie die typischen Romane. Daher kann es sein, dass manch einer, der eher auf derbe Kost steht (Reichs, Gerritsen, Hayder, Fadyen und Co), sich hier langweilt.

Die blutigen, brutalen Sachen lassen mich kalt, das ist ein Buch. Dieses hier dagegen hat mich sogar in einen meiner Träume verfolgt. Ich hatte keine Angst, konnte problemlos schlafen. Doch die Thematik dahinter hat mich dann doch sehr bewegt und nicht losgelassen.

Das Ende fand ich ungewöhnlich aber realistisch. Man könnte sagen, dass es sowas nicht gibt, und es war auch schon recht seltsam, zugegeben. Aber ich halte es für durchaus realistisch, doch. Und auch, wenn ich nicht damit gerechnet hatte, dass es so enden würde, hatte ich es sogar irgendwie gehofft. Also insgesamt sehr, sehr stimmig.

Laura Maire, dazu muss ich nichts mehr sagen. Grandios. Sie ist einfach klasse. Sie ist für mich DIE weibliche Stimme. Zwar ein wenig unangenehm im Ohr, wenn sie ZU emotional wird, aber gut, es passt jeweils perfekt zur Situation, daher ist es okay. Kommt nicht allzu oft vor. Aber was ich an ihr so großartig finde ist etwas, das ich sonst nur bei Männern kenne: sie verleiht den einzelnen Charakteren eine Persönlichkeit, eine eigene Sprache. Aus dem Zusammenhang gerissen könnte ich anhand eines Satzes erkennen, wer da nun spricht. Mann, Frau, Kind, Wut, Trauer, Beschwichtigung, Panik und so weiter. Männliche Pendants fallen mir da nur Rufus Beck und Stefan Kaminski ein.

Ich gebe zu, dass ich anfangs etwas gebraucht habe. Das Buch entwickelt sich - für meinen Geschmack - eher langsam. Es ist ein subtiles Buch, das den Leser nicht überfällt mit Action und Brutalität. Sondern es führt an die Situation hin. Auch, nachdem sie entführt wurde, erkennt man erst nach und nach, was der Täter geplant hat, worauf es hinauslaufen wird und warum es für Annie so schrecklich ist. Da ich keine Rezensionen gelesen hatte und absolut nicht wusste, worauf ich mich einließ, fragte ich mich während der ersten beiden CDs doch, ob da nun noch Spannung reinkäme und wie es weitergehen würde, wo der rote Faden sei. Anfangs habe ich eigentlich nur gehört, weil ich neugierig war, wie sie ihm entkommen würde, dachte auch, dass dies wohl das Ziel des Buches sei. Umso erfreuter, dass es sich dann ganz anders entwickelte.

Ja, ein sehr ungewöhnliches Buch. Aber ich kann es absolut empfehlen. Allerdings muss man sich ein wenig Zeit dafür nehmen und sollte dem Inhalt Zeit geben, sich zu entwickeln ...

SaschaSalamander 04.04.2011, 09.15

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