SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Stella Menzel und der goldene Faden

INHALT

Klappentext: Stella liebt ihre Decke aus blauem Seidensatin, die sie von ihrer Ururgroßmutter geerbt hat - eine Decke, übersät mit Sternen und Scheeflocken aus Silberbrokat und mit einem goldenen Faden eingefasst. Auf jeden, der ihn besitzt, übt dieser Stoff eine magische Wirkung aus - denn seine Falten bergen die Kraft, die Geschichten seiner Besitzerinnen einzufangen: wundersame Geschichten vom alten Russland, vom Berlin der 20er Jahre, von der Flucht der jüdischen Familie nach New York und einem Neuanfang in Berlin. Dieses Erbstück begleitet Stella von der Wiege bis zum ersten Kuss. Und während der Stoff sich im Laufe der Zeit verwandelt und immer kleiner wird, wird auch Stella schließlich ein Teil seiner Geschichte.

STELLA MENZEL UND DER GOLDENE FADEN ist vordergründig die Geschichte vom Aufwachsen eines jungen Mädchens zwischen den Kulturen. Dahinter ist es die Geschichte einer Großfamilie, verstreut über Russland, Amerika und Deutschland mit jüdischen Wurzeln. Kultur, Tradition, Kulinarisches, Sprachliches, eine kleine Reise durch Zeiten und Länder. Kindgerecht erzählt, ohne pädagogischen Zeigefinger, dafür mit viel Liebe, Herz und Wärme. 


CHARAKTERE

Heldin der Geschichte ist Stella. Der Leser begleitet sie von ihrer Zeit als Kleinkind hin bis zu ihrer ersten Liebe. Sie ist sympathisch, weil die Autorin sie menschlich darstellt, unperfekt und liebenswert durch und durch. Neugierig, aufgeschlossen, manchmal auch quenglig und in späteren Jahren dann auch gerne einmal frech und rebellisch. Sie ist neidisch auf eine Klassenkameradin, ihr passieren Missgeschickte, sie erlebt kleine und große Abenteuer, und immer hat sie hinter sich ihre Familie: 

Die alte Oma, eine typische Bilderbuchoma, die Besonnene, Ruhige, die Geschichtenerzählerin. Die "weise Alte", die selbst aus nichts noch etwas machen kann. Die Mutter, liebevolle aber strenge Erzieherin, stets ein wenig skeptisch gegenüber der großmütterlichen Gelassenheit und dem Humor des Vaters. Der Vater, Künstler und immer ein wenig anders, mit schelmischem Grinsen und einem witzigen Spruch, oft amüsiert er sich, wenn seine Frau wieder einmal viel zu ernst ist. Dazu all die anderen Familienmitglieder, die man im Laufe der Geschichte kennenlernt und ins Herz schließt. Nein, es ist keine perfekte Familie, und gerade deswegen mag man sie sosehr.  


SPRACHE

Während Stella sich ebenso wie ihre Geschwister entwickelt und verändert, als Identifikationsfigur für die jungen Leser, bleibt die erwachsene Kernfamilie gleich. Ihnen legt die Autorin Schlüsselsätze in den Mund, die sich häufig wiederholen, sich nur selten verändern und erst zum Schluss auch von anderen Personen übernommen werden. Sie sind einer der vielen Fäden, die sich symbolisch durch die Geschichte ziehen. Der Leser kann sich an ihnen festhalten, freut sich über die Wiederholung. Auch, wenn alles im Leben sich ändert - manche Dinge bleiben gleich, und diese Dinge bedeuten Geborgenheit, Gewissheit und Zusammenhalt.

Die Übersetzerin sowie die Autorin haben sehr gute Arbeit geleistet, um Stellas Geschichte und die ihrer Familie nicht nur in Worten zu präsentieren, sondern auch zwischen den Zeilen zu vermitteln. Metaphern wie "es löste ein Kichern in ihrem Herzen aus" oder Wortspiele wie "Das Fundbüro war anscheinend auch verlustig gegangen und nirgends zu finden" lösen ein Lächeln beim Leser aus und erzählen viele kleine weitere Geschichten. Als Stellas Eltern sich das erste Mal begegnen, "stieß er zufällig absichtlich mit ihr zusammen", diese wenigen Worte in ihrer widersprüchlichen Kombination sind so beredet, dass jeder sofort eine komplexe Handlung vor Augen hat, ohne dass diese erst erklärt werden muss. 

Trotz ihrer Feinsinnigkeit ist die Geschichte für junge Leser ebenso geeignet wie auch zum Vorlesen. Kinder müssen nicht jedes Detail verstehen, um die Geschichte zu mögen. Sie werden STELLA MENZEL aus anderen Gründen lieben als die Erwachsenen, und das macht auch den Reiz dieses Buches aus.

>Hier< und >hier< habe ich bereits geschrieben, wie allein der erste und letzte Satz sowie die Kapitelüberschriften das Buch zu etwas Besonderem machen.


AUFMACHUNG DES BUCHES

Nicht nur die Geschichte, auch das Buch ist ein Erlebnis. Dezent und unaufdringlich, aber Ton in Ton zur Geschichte illustriert und gestaltet. Ein goldenes Bändchen als Lesezeichen. Auch auf den Seiten windet sich überall ein goldener Faden auf dem Papier, verbindet alles und hält die Geschichte zusammen, mal oben, mal unten, mal diagonal oder nur in der Ecke. Die Blätter auf der Innenseite der Deckel sind geschmückt mit dem blauen Stoff, um den es im Buch geht. Vereinzelt finden sich in warmen Farben gehaltene Bilder, gleich Fotos, in denen das Geschehen in einem besonderen Moment festgehalten wurde für den Leser. Alles sehr schön aufeinander abgestimmt und passend. 


PERSÖNLICHE MEINUNG ZUM SCHLUSS

STELLA MENZEL ist eines der Kinderbücher, wie ich sie liebe: kindgerecht, aber mit Hintersinn und so erzählt, dass auch Erwachsene ihre Freude daran haben. Kinderbücher lassen mich den Alltag vergessen und für einen Moment selbst wieder Kind sein. Abtauchen in ein Universum, in dem andere Dinge gelten als für "die Großen". Lachen und Weinen können über Dinge, die älteren Menschen unbedeutend und klein geworden sind. Das Staunen des Kindes spürt man beim Lesen in sich, und es tut gut, beim Lesen das Herz zu öffnen, wenn die Oma wieder einmal mit ihrer Geschichte ansetzt. Ich habe das Buch geliebt :-)


SaschaSalamander 16.05.2014, 08.49

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