SaschaSalamander

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Eine dunkle und grimmige Geschichte

gidwitz_grimm_1.jpgVORABGEDANKEN

Märchen mochte ich als Kind, und ich mag sie noch heute. Es gibt Märchensammlungen zu Themen (Verwandlungen, Königreiche, Frauen, Kinder, Tiere usw) und von Personen (Andersen, Grimm, Bechstein etc) sowie aus verschiedenen Kulturen (besonders gefielen mir die Märchen aus dem Orient). Aber trotz allem behalten die Gebrüder Wilhelm und Jakob Grimm einen Status hier in Deutschland inne, der mit nichts zu vergleichen ist. Wenn man "Märchen" sagt, meint man eigentlich "Gebrüder Grimm". Sie sind so berühmt, dass es sogar japanische Mangas gibt, etwa Kaori Yuki oder Kei Ishiyama, kürzlich stellte ich GRIMMS MANGA >hier im Blog< vor.

Ich weiß nicht, warum immer behauptet wird, die modernen Märchen seien verwaschen und harmlos? War das vor 30 Jahren in meiner Kindheit anders? Vielleicht gehöre ich zu den wenigen Kindern, die vor 30 Jahren mit "echten" Märchen aufwuchsen. Denn in den Märchen, die ich am liebsten hörte, wurde ein Mensch zur Strafe in ein mit nach innen gerichteten Nägeln beschlagenes Faß den Berg hinabgerollt, da wurde ein abgetrennter Pferdekopf in einen Tunnel gehängt und sprach zur Königstochter, da tanzte man in rotglühenden Metallschuhen, und unter der Brücke begrabene Gebeine sangen ein Totenlied. Na, harmlos finde ich das nicht. Mein Favorit, aber das wurde mir als Kind dann doch nicht erzählt, darauf stieß ich erst selbst als Erwachsene: >Wie die Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben<.

>EINE DUNKLE UND GRIMMIGE GESCHICHTE< ist nun also nun ein modernes Märchenbuch im Stil der alten Gebrüder Grimm. Umso mehr freute ich mich, als der Verlag >ArsEdition< bei der Aktion von >BloggDeinBuch< nicht wie sonst üblich 10 Rezensenten auswählte, sondern ALLEN über 80 Bewerbern ein Exemplar dieses Buches zukommen ließ! Eine Form der Werbung, die viele Leser glücklich gemacht hat, ein herzliches Dankschön hierfür, das war eine klasse Überraschung!


INHALT

EINE DUNKLE GRIMMIGE GESCHICHTE erzählt Märchen auf eine ganz besondere Weise: die Königskinder Hänsel und Gretel fliehen vor ihren Eltern und begeben sich auf eine gefahrvolle Reise. Dabei schliddern sie von einem Märchen in das nächste, sind die Protagonisten. Das Märchen mit der Hexe und dem Ofen kommt natürlich vor. Aber die beiden sind zugleich auch die Hauptfiguren der Geschichten "Brüderchen und Schwesterchen", "die sieben Schwalben" und anderen. Als sich die Wege der beiden zeitweise trennen müssen, muss Hänsel alleine in der Geschichte "die drei goldenen Haare" dem Teufel begegnen, Gretel findet sich einem seelenraubenden Mörder gegenüber. Wie die Geschichten zusammenhängen, wäre zuviel verraten, die Handlung lässt sich vorab also nicht wirklich beschreiben, aus den Kapitelüberschriften des Inhaltsverzeichnisses lässt sich der Weg der beiden jedoch schon erahnen.

Der Autor hat nicht die bekanntesten Märchen geschnappt sondern vor allem weniger bekannte Titel genommen, was mich sehr freut. So gehören die Märchen >Der Räuberbräutigam<, >der getreue Johannes< oder >die sieben Raben< nicht unbedingt zum Allgemeingut, und ich bin froh, dass man hier nicht Rapunzel, Schneewittchen und Konsorten wählte sondern etwas ausgefallenere Titel, die junge Leser ganz sicher neugierig machen auf weitere originale Märchen der Gebrüder.


AUFBAU

Das erste Märchen "der getreue Johannes" erzählt die Vorgeschichte der beiden Königskinder und wie es dazu kam, dass sie von ihren Eltern flohen. Der Autor erlaubt sich sehr viel dichterische Freiheit, es gelingt ihm hervorragend, den originalen Erzählstil zu übernehmen, den Inhalt beizubehalten und die Märchen doch so abzuändern, dass sie eine fortlaufende Geschichte erzählen.

Besonders gelungen finde ich den Anfang und das Ende im Kontext. Adam Gidwitz schafft einen Rahmen, der sich um die Geschichten herum spannt und dort endet, wo er anfing. Die Ausgangssituation ist die gleiche wie zu Beginn des Märchens. Doch nun, herangewachsen, gereift und voller neuer Erfahrungen nehmen der Leser und die Protagonisten ihre Situation nun anders wahr. Ein tragisches Ende, und zugleich auch ein Happy End, es gab - was sonst, es ist ja ein Märchen - viele Tote, viele Verluste, doch nun sind alle fröhlich vereint. Das Leben ist ein immerwährender Kreislauf, und ich könnte mir sogar eine Fortsetzung vorstellen ;-)


CHARAKTERE

Die Charaktere sind etwas deutlicher ausgebaut als im Märchen. Während Hänsel und Gretel im Original nur in einem einzigen Märchen erscheinen, müssen sie hier gleich mehrere Abenteuer bestehen, sodass sie natürlich eine eigene Persönlichkeit erhalten. Während mir früher immer Hänsel der sympathischere von beiden war, ist es hier Gretel, die ich mochte. Die anderen Figuren bleiben im Hintergrund, es ist nicht nötig, ihnen Gewicht zu verleihen, denn es ist einzig das Buch der beiden Geschwister, ihnen gebührt die Aufmerksamkeit.


SPRACHE, STIL

Gidwitz schreibt im Ton eines klassischen Märchenerzählers, wenn auch etwas moderner, sodass es für Kinder kein Problem gibt beim Verständnis einzelner Worte. Zudem ist der Text in zwei Teile geteilt: der "normale" Text erzählt das Märchen des Geschwisterpaares, in fettgedruckten Lettern fügt der Autor seine Kommentare ein. Immer wieder weist er darauf hin, dass es JETZT an der Zeit wäre, die kleinen Kinder zu Bett zu bringen, denn gleich würde es gruselig. Er fügt ironische Randbemerkungen ein, er informiert den Leser über Gebräuche, philosophiert über den Wahrheitsgehalt von Märchen und hebt manches Mal auch den moralischen Zeigefinger.

Insgesamt ist das Buch trotz seiner teils sehr brutalen Stellen eher humorvoll gehalten, einige Male musste ich herzlich lachen, denn das Buch ist sehr ironisch. Für Jugendliche ist es bedenkenlos geeignet, für Kinder bedingt. Ich denke, Eltern sollten selbst einschätzen, ob sie ihren Kindern dies zumuten können oder nicht, sie sollten das Buch auf jeden Fall vorher selbst gelesen haben, bevor sie die erste Geschichte vorlesen ;-)


PRÄSENTATION

Der Schutzumschlag springt mit seinem dunklen Cover sofort ins Auge, scherenschnittartig erheben sich schwarze Figuren vor einem dunkelblauen Nachthimmel. Das Motiv passt sowohl vom Inhalt wie auch von der Atmosphäre her sehr gut zum Inhalt des Buches.

Das Buch innen hat nur Zeichnungen zu Beginn jedes Kapitels, auch hier finden sich düstere Scherenschnitte. Aus erzähltechnischen Gründen wird hier nicht mit Platz gespart: ein Kapitel schließt ab mit dem Wort "Ende", auf der folgenden Seite liest man "fast", man blättert um, auf der nächsten Seite ein paar Zeilen, danach "Ende", auf der nächsten Seite "beinahe". So blättert man sich rund 10 Seiten durch das Buch fast ohne Text. Ein Effekt, der trotzdem klasse ist, den Leser an der Nase herumführt und den Humor des Autoren sehr gut verdeutlicht. Zum Glück wird dies nicht überbeansprucht und geschieht nur einmal.


PERSÖNLICHE MEINUNG

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen und bin absolut begeistert. Zugegeben, dieses Märchen ist mindestens so blutig wie mancher aktuelle Thriller, durch den Erzählstil des Märchens jedoch wirkt es etwas abgeschwächt. Ich fand es wirklich gelungen, wie Gidwitz die einzelnen Märchen verbindet und daraus eine neue Geschichte entstehen lässt. Stellenweise musste ich zugeben, dass ich nicht so recht wusste, wo nun das Märchen anfing und die freie Interpretation begann, sodass ich direkt im Anschluss an das Buch ausgiebig recherchiert habe.

Die Anmerkungen des Autores gefielen mir sehr, ich mag es, wenn der Leser direkt angesprochen wird, der Erzähler mehr weiß als der Leser, und wenn er dann mit dramatischer Stimme den Leser vorwarnt, das hat so etwas Absurdes, finde ich, erinnert mich ein wenig an Lemony Snicket.


FAZIT

EINE DUNKLE GRIMMIGE GESCHICHTE ist erfrischend anders als die bekannten Märchenadaptionen, die Brutalität übersteigt nicht das Maß der mir damals bekannten Märchen. Jugendlichen und märchenbegeisterten Erwachsenen kann ich dieses spannende Abenteuer uneingeschränkt empfehlen. Lasst Euch in das düstere Königreich Grimm entführen. Es gibt keinen Ausweg, und nur die Mutigsten werden am Ende den Drachen besiegen und das Königreich retten ... 

SaschaSalamander 24.10.2011, 09.11

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