SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Die Eisläuferin

muenk_eislaeuferin_1.jpgINHALT

Die Regierungschefin eines im Buch nicht näher genannten Landes genehmigt sich einen unerlaubten Urlaub. Bei der Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn fällt ihr ein großes Schild auf den Kopf - und sie verliert die Erinnung an die letzten 20 Jahre ihres Lebens. Nun heißt es in einer Krise solchen Ausmaßes für die Beteiligten das Schlimmste abzuwenden. Rücktritt? Sie als Marionette benutzen? Ihr eine Auszeit genehmigen und das Gedächtnis "zurückholen"? Während andere Politiker nun jeweils versuchen, sie für ihre Zwecke zu missbrauchen, versucht sie auf ihre ganz eigene Weise, den Alltag zu meistern. Sie hält Ansprachen, trifft sich mit Landesoberhäuptern, steht Rede und Antwort beim Tag der offenen Tür. Und will sich nebenbei die Träume ihrer Jugend erfüllen, um dadurch wieder den Zugang zu sich selbst zu finden. Ob das lange gutgehen kann?


STORY

Die Story ist hervorragend! Im Grunde hat man als Bürger doch oft das Gefühl, als wären die Politiker alle austauschbar. Man fragt sich, was gespielt ist, was echt ist, was von "oben" vorgegeben wurde und was die wahre Meinung der Menschen hinter der Kamera ist. Wer hat bei all den Intrigen und Skandalen noch den Überblick? Was ist Wahlversprechen, und was ist wirklich ernsthaftes Vorhaben? Da ist es eine grandiose Idee, die "oberste Regierungschefin" (natürlich wissen wir auch ohne Nennung der Namen, von wem hier die Rede ist, allzu viele weibliche Staatsoberhäupter in verschiedenfarbigen Blazern gibt es nicht) einfach mal ihres Gedächtnisses zu berauben und dann zu sehen, wie die Sache sich entwickelt. Ein amüsantes Was-wäre-wenn Szenario.


UMSETZUNG DES THEMAS

Ein spannendes Thema, aus dem man leider sehr viel hätte herausholen können, das aber erstaunlich blass blieb, vom ersten bis zum letzten Track. Es gibt Seitenhiebe auf einzelne Politiker der oberen Ränge, national wie international. Namen werden nicht genannt, doch von Beginn an ist dem Leser klar, um wen es sich handelt. Was Katharina Münk sehr gut gelingt: sie ist ironisch, gelegentlich sogar herrlich spitzzüngig. Hinter der Fassade teilt sie ordentlich aus. Doch ihre Scherze gehen niemals unter die Gürtellinie und bleiben immer humorvoll. Zugegeben, manchmal hätte ich mir sogar ein wenig mehr Esprit und Schärfe gewünscht, es gab sehr gute Vorlagen hierfür. Doch statt dessen handeln die Figuren alle sehr unemotional und fast schon leblos, man ist als Leser nicht beteiligt. Ich empfand keinerlei Wut über die bewusst inszenierte Manipulation. Ich litt nicht mit dem Ehemann, der nun eine schwere Bürde und große Verantwortung trug. Ich bangte nicht mit Herrn Bodega (die einzige Person, die mir doch etwas sympathisch war) um das Wohlergehen der Regierungschefin. Es war mir auch egal, als die Politiker über die Entscheidungen der Chefin hinwegtrampelten und ungefragt dementierten, Fakten verdrehten und Videoaufzeichnungen verschwinden ließen.

Was ich allerdings sehr schön fand: es wurde ein menschliches Gesicht der Politik gezeigt, wie sie sein könnte. In dem Moment, wo die Regierungschefin bei Fehlern erwischt wurde, begannen die Oberen zu leugnen, sie jedoch stand dazu. Welch Chaos, welch Drama, wie kann ein Regierungsoberhaupt nur einen Fehler zugeben! Doch sie tat es - und wurde dem Volk (und auch dem Hörer) sympathisch. Ja, das ist es, was die Bürger sich oft wünschen: Politiker, die zu ihren Schwächen stehen, die auch einmal einen Fehler zugeben können. Die auch mal leidenschaftlich einem Hobby frönen, die nicht nur maskenhaft vor der Kamera stehen sondern auch lebendig greifbar unter ihnen sind. Das wurde hier sehr schön deutlich, und das waren die positiven Momente des Hörbuchs, in denen ich gebannt lauschte.

Auch die Passagen, in denen sie ihre Rolle erfüllen musste, gefielen mir sehr gut. Journalisten stellten ihr Fragen, in denen sie keinerlei Sinn erkennen konnte, da ihr natürlich der Zusammenhang fehlte. Doch mit leeren Worthülsen stellte sie alle zufrieden und gab ihnen das Gefühl, sie hätte nun Worte von großer Wichtigkeit gesagt. Wie oft hört liest man in der Zeitung solche Phrasen, fallen in Interviews solche inhaltslosen Sätze. So fernab der Realität schien das Szenario an manchen Stellen gar nicht zu sein ;-)

Leider waren diese Momente im Buch eher selten, meist schleicht es träge vor sich hin. Etwas hat mich sehr fasziniert: normalerweise hat ein Buch, selbst ein ruhiges, handlungsarmes, einen gewissen Spannungsaufbau. Momente, in denen man mitfiebert. Ein Ziel, auf das alles hinsteuert. Einen zu lösenden Konflikt. Gut, den Konflikt (Gedächtnisverlust) und das Ziel (Gedächtnis zurückholen) gab es, aber es war nicht umgesetzt. Müsste ich eine Spannungskurve aufzeichnen, so würde ich mit dem Lineal eine gerade Linie zu Papier bringen. Das ist etwas, das ich nur schwer verstehe, denn ein Buch mit diesem Thema müsste eigentlich eine Berg- und Talfahrt sein, durch die der Leser geworfen wird, von der Ehekrise bis hin zur nationalen Katastrophe. Was für eine grandiose Vorlage! Und was für eine enttäuschende Umsetzung.

Schade finde ich auch, dass nicht gelegentlich auf die Punkte eingegangen wurde, die sich verändert hatten. In 20 Jahren hat sich in Deutschland sehr viel getan. Aber statt gelegentliche Fettnäpfchen einzubauen oder die Protagonistin immer wieder über vereinzelte Neuerungen stolpern zu lassen, wurde als einziges immer wieder der demokratische Aufbrauch genannt, in welchem sie damals aktiv war. Einmal stolperte sie über die Frage, ob ein Land nun bereits zur EU gehöre oder nicht, aber darin erschöpft es sich weitgehend.


CHARAKTERE, SPRACHE

Ein großes Minus ist die Sprache, die leider absolut unauffällig bleibt. Gute, klare Sätze, nicht zu lang, nicht zu kurz. Aber extremst unpersönlich. Nicht nur die Beschreibung der Charaktere ist unpersönlich, nicht nur die jeweilige Anrede, sondern auch die Sprache weißt keine Besonderheiten oder hervorstechenden Merkmale auf. Kein Wortwitz, aber auch keine Kanten, an denen man sich stören könnte. So glatt und künstlich wie die Politiker, die man täglich vor der Kamera sieht. Insofern sehr gut passend für den Roman. Nur, wenn die Sprache nicht beeindruckt, wenn die Charaktere flach bleiben, wenn die Handlung keinen Spannungsbogen aufweist - was bleibt?


HÖRBUCH

Da ich nur das Hörbuch gehört habe, kann ich das Buch nicht beurteilen. Vielleicht lag es an der Sprecherin, dass ich das Buch als zu glatt empfand. In diesem Fall lag man bei der Wahl der Sprecherin leider sehr daneben. Maren Kroymann hat eine sehr angenehme Stimme, der ich gerne in anderem Kontext lausche. Ich könnte sie mir wunderbar vorstellen als Erzählerin eines Buches von Dora Heldt oder Virgina Ironside, oh ja! Sie ist ideal für ein einfach gestricktes Buch zur Unterhaltung, mit wenigen Charakteren, am besten als Ich-Erzählerin einer Dame mittleren oder reiferen Alters.

Für DIE EISLÄUFERIN wäre eine Sprecherin erforderlich gewesen, die den vielen Charakteren Persönlichkeit verleiht. Die ihre Stimmen variiert, die Emotion in die Sätze legt. Die Spannung erzeugt, die den Hörer mitzieht. Auf diese Weise hätte man das Buch zusätzlich zur an sich spannenden Story und den netten Momenten aufwerten können.

Das heißt nicht, das Maren Kroymann schlecht ist, im Gegenteil, sie gefiel mir sehr gut. Nur ist sie eben unpassend. So, wie man in einem Film die Besetzung der Hauptrolle beachten muss, um etwas glaubhaft darzustellen (man denke etwa an den alten Gerard Depardieu in den Rollen junger, ausgemergelter, vom Schicksal gebeutelter Helden), so muss auch der Sprecher eines Hörbuches mit seiner Stimme, Melodie und Variationsmöglichkeit geeignet sein für den Inhalt des Hörbuches.

Statt dessen gibt sich Maren Kroymann ebenso glatt, unemotional und flach wie die Geschichte. Sie spricht sehr monoton, und man hört nicht einmal, ob der gesprochene Satz nun wörtliche Rede oder Erzählung ist. Mann, Frau, Politiker, Bürger, Deutscher, Ausländer, Kind, alle sprechen mit gleicher Stimme, nämlich mit der Stimme einer unbeteiligten Erzählerin. Einzig der russische Therapeut bekam von ihr eine eigene Sprachmelodie verliehen, was ich überaus angenehm fand. In einem Buch kann der Leser den gelesenen Worten seine eigenen Bilder und Klänge verleihen. Im Hörbuch dagegen ist der Hörer auf den Sprecher angewiesen, der ihn führt und anleitet.


FAZIT

DIE EISLÄUFERIN bietet ein faszinierendes und sehr schön erdachtes Szenario, das mit einigen herausragenden Momenten glänzt. Leider aber bleiben die Charaktere leblos, vermögen die Ereignisse nicht zu fesseln. Es fehlt ein Spannungsaufbau, der den Hörer durch die Geschichte führt, und auch der Sprecherin will dies trotz ihrer an sich angenehmen Stimme leider nicht gelingen. Schade, denn an einigen Stellen zeigte sich die tatsächliche Größe, die in der Geschichte steckt und die immer wieder an die Oberfläche drängte aber niemals wirklich zugelassen wurde.

SaschaSalamander 06.02.2012, 09.00

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