SaschaSalamander

Ausgewählter Beitrag

Der Übergang

cronin_uebergang_1.jpgEine Rezension zu diesem Buch zu schreiben, fällt mir nicht leicht. Normalerweise bin ich absolut überzeugt von einem Titel, dann fließen die Worte wie von selbst aus den Fingern. Oder ich mochte das Buch gar nicht, dann finde ich ein paar neutrale Worte, meinen Unmut zu beschreiben. Aber was, wenn ein Buch genau dazwischen liegt? Zweigeteilte Rezensionen schreibe ich nur sehr selten. Angenehmer wäre es fast, einen kompletten Verriss zu verfassen oder eine begeisterte Lobeshymne anzustimmen. Doch wie soll man diese beiden Varianten vereinen? Ich werde es versuchen.

Zuerst einmal zum Inhalt: im ersten Drittel lernt der Leser sehr viele Figuren kennen. Allen voran das Mädchen Amy, welches von seiner Mutter in einem Kloster zurückgelassen wird. Die Vorgeschichte der Mutter. Das Polizistenteam, welches das Mädchen abholen wird. Forscher, die im Dschungel ungewöhnliche Erlebnisse notieren. Verbrecher, die für eine besondere Aufgabe rekrutiert werden. Wissenschaftler, die mit den Gefangenen Versuche durchführen. Die "Wächter", welche auf die Versuchsobjekte aufpassen. Und die Versuchsobjekte an sich. Und als der Leser langsam begreift, worauf es hinausläuft, gibt es einen großen Knall, und die Welt, wie wir sie kennen, schliddert ihrem Untergang entgegen. Ich hatte begonnen, ein Dramatis Personae zu erstellen. Als so ziemlich jede Person wenige Seiten nach dem Erscheinen allerdings wieder verschwand, habe ich den Zettel zerrissen ...

Der zweite Teil beschreibt das Leben rund 100 Jahre nach dem Zeitpunkt Null. Virals / Smoker / Jumper, wie man die früheren Versuchsobjekte nennt, stellen eine Bedrohung für die wenigen verbliebenen Menschen dar, die in Kolonien leben. Man lernt die einzelnen Mitglieder der Kolonie kennen. Dafür, dass es einige der wenigen verbliebenen Überlebenden sind, sind es sehr wenige. Dafür, dass sie dem Leser alle vorgestellt werden, sind es recht viele. Das Leben in der Kolonie wird ausführlich und spannend beschrieben. Und gegen Ende des zweiten Drittels taucht Amy endlich wieder auf.

Und dann macht sich die Gruppe im dritten Teil gemeinsam mit Amy auf nach Colorado, weil sie dort auf Antworten und einen Neubeginn hoffen.

Was beim Lesen auffällt ist bereits zu Beginn, dass es sehr viele Parallelen zu allen möglichen bekannten Büchern und Filmen gibt. Einer der Verbrecher erinnert an den Schwarzen aus GREEN MILE. Eine Szene im Zoo lässt sofort an HARRY POTTER denken. OUTBREAK, 28 DAYS AFTER behandeln in ähnlicher Weise den Katastrophenzustand kurz nach Ausbruch. I AM LEGEND und THE STAND zeigen ein dystopisches Szenario ähnlicher Struktur. Einige weitere Titel könnte man noch nennen, und viel zu oft hat man das Gefühl "kenne ich bereits". Trotzdem ist es Justin Cronin gelungen, den Roman als etwas ganz Eigenes darzustellen, das auch den Vergleich in keinster Weise zu scheuen braucht. Es ist klar, dass die Elemente nicht abgekupfert sind, sondern aufgrund des Inhaltes lediglich daran erinnern. Das Rad kann man leider nicht neu erfinden.

Der Roman ist recht breit geschrieben, und dennoch bleiben sehr viele Fragen offen oder werden nur unbefriedigend beantwortet. Das Buch ist der erste Teil einer Trilogie und endet sehr spontan, daher kann es sein, dass die Antworten in den Folgebänden gegeben werden. Oder aber der Autor hat sich in der Masse seines eigenen Buches verloren. Beides scheint mir möglich. Ich finde es jedenfalls frustrierend, wenn ich fünzig Personen inclusive Vorgeschichte und Innenleben kennenlerne, die kurz darauf sterben, sodass alles, was ich über sie erfahren habe, zum Rest des Buches nicht mehr beiträgt und unwichtig wird. Mir fehlt die Komplexität über das Buch hinweg, vermeintliche Tiefe entsteht durch das eindringliche Beschreiben der (kurz danach sowieso ablebenden) Personen. Die eigentliche Handlung ließe sich in weniger als 500 Seiten problemlos beschreiben.

Obwohl die Charaktere sehr ausführlich beschrieben werden, konnte ich mich nur in sehr wenige wirklich hineinfühlen, mich mit niemandem identifizieren, hatte keine Lieblingsfiguren. Sogar das Mädchen Amy bleibt leider recht flach, da zwar beschrieben wird, was mit ihr geschieht, jedoch nicht, was sie fühlt und wie sie damit umgeht.

Auch hätte ich mir gerade von einem Buch wie diesem gewünscht, dass es ein Pageturner ist. Dass ich die Nächte durchmache und nach wenigen Tagen fertig bin mit Lesen. Statt dessen habe ich mehrere Wochen gebraucht, weil es einfach wenig Anreiz gab zum Weiterlesen. Zu zerstückelt, zu viele Personen, zu weit bis hin zum nächsten Lieblingscharakter. Ein Cliffhanger dient normalerweise dazu, dass man weiterlesen möchte. Anfangs hatte das bei mir auch funktioniert, doch als ich merkte, dass es oft mehrere Kapitel dauerte, bis es an der entsprechenden Stelle weiterging, weil in der Zwischenzeit zu viele andere Dinge beschrieben wurden, verlor ich irgendwann das Interesse und habe mich eher hindurchgequält.

Es gibt bereits Diskussionen über eine Verfilmung, und soweit ich erfahren habe, wurden da bereits Rechte verkauft. Als Film kann ich mir den ÜBERGANG sehr, sehr gut vorstellen, und den Film würde ich mir sofort ansehen, lieber als das Buch zu lesen. Denn der Stoff ist absolut klasse, und es hat das Zeug zu einem Klassiker eines Tages.

Warum habe ich nun also weitergelesen, obwohl ich soviel zu bekritteln habe? Das Buch ist auf jeden Fall sehr atmosphärisch. Wenn man die Muse hat, sich in der Handlung zu vertiefen, dann kann man ausgiebig in die neue düstere Welt abtauchen. DER ÜBERGANG erzeugt beim Leser ein beklemmendes Gefühl, der Autor lässt lebendige Bilder entstehen, die nur schwer zu vergessen sind ob ihrer Eindringlichkeit und Dichte. Man will auf jeden Fall wissen, wie es weitergeht mit Amy. Man will Antworten auf die Fragen, die einen von der ersten Seite an gepackt haben. Und man will unbedingt erfahren, auf was das alles hinauslaufen wird.

Und obwohl Cronin mit seinem Schreibstil stark an King, Hohlbein oder ähnliche ausschweifende Masseautoren erinnert, hat er doch einen ganz eigenen Stil der erkennen lässt, dass er zwar Vorbilder hatte, jedoch von niemandem abschrieb. Er hat eine ganz eigene Welt geschaffen, die zwar klar an andere Titel (siehe oben) erinnert, aber so etwas ist eigentlich kaum zu vermeiden bei diesem Genre. Vor allem die Darstellung der "Vampire" gefiel mir sehr gut: ich hatte befürchtet, wieder einen billigen Vampir-Abklatsch zu lesen, doch das Thema wurde komplett neu gedeutet, und der Begriff "Vampire" wurde nur sehr selten genannt und eher von den Lesern im Web geprägt als von Cronin selbst. Auch, wenn das Buch auf den ersten Blick aussieht, als würde es sämtliche Hypes bedienen, stellt man sehr schnell fest, dass der Autor eine sehr gute, eigene Idee hatte und diese auch zielstrebig verfolgt.

Die Frage zum Abschluss: werde ich mir Teil zwei und drei holen, sobald es erscheint? Und ich muss sagen, ich weiß es noch nicht. Als Buch vermutlich auf keinen Fall. Vielleicht als Hörbuch, damit ich die Handlung ein wenig geraffter vor mir habe. Oder als Film, wenn es dann tatsächlich komplett auf Leinwand erscheinen sollte.

Und ob ich den ÜBERGANG empfehle? Unbedingt ja und irgendwie eher nein. Ich kann es auch nicht direkt einem konkreten Leserkreis zuordnen. Denn eigentlich wäre ich die klassische Zielgruppe (dicker Wälzer, Fantasy, Dystopie, ausufernde Erzählung, atmosphärische Dichte, eher Psychologie als Action), und doch gefiel es mir nicht so gut wie erwartet. Die Meinungen zu diesem Buch werden auseinander gehen, die einen werden das Buch lieben, die anderen werden es nach spätestens dem ersten Drittel weglegen. Aber wozu mach gehört, kann man vorab leider kaum an etwas festmachen. Also einfach selbst reinschnuppern und dann entscheiden ;)

SaschaSalamander 17.01.2011, 16.21

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